# taz.de -- Merz will Abschiebungen fürs Stadtbild: Mit Verlaub, Herr Bundeskanzler
> Der Bundeskanzler nennt Migrant:innen ein Problem fürs Stadtbild. Was
> ist das? Apartheid? Rassismus? Nazi-Sprech? Es ist Grund für einen
> Aufschrei.
IMG Bild: Wer stört hier im Stadtbild?
Es gibt Tage, da möchte man Joschka Fischer zitieren. Also den jungen
Joschka, der [1][„mit Verlaub“ den damaligen Bundestagspräsidenten] als …
bezeichnete. Aber das macht man ja nicht, man hält sich im Zaume. Auch,
wenn einem das eine berühmte Zitat des [2][Götz von Berlichingen], der
[3][schwäbische Gruß], auf der Zunge liegt.
Diese Woche war es mal wieder so weit. Und damit wären wir beim
Bundeskanzler.
Doch Moment. Vorher noch was anderes. Kennen Sie dieses Gefühl, wenn ihnen
die Fr…, das Antlitz eines Menschen nicht passt? Zum Beispiel, wenn einen
in der Fußgängerzone ein nahezu haarloser Brillenträger auf Wahlplakaten
angrient, weil er Kanzler werden möchte? Und Sie den Impuls verspüren, das
Plakat herunterzureißen, nicht weil Ihnen die Brille nicht passt oder weil
Sie die Frisur irritiert, sondern weil die Ideologie dieser Person Sie
wütend macht?
Kennen Sie? Machen es dann aber doch nicht? Weil Sie ein wohlerzogener
Humanist sind, der die Würde des Menschen achtet, selbst wenn es nur um
dessen Abbild aus Pappe am Straßenrand geht? Weil das einfach nicht geht?
Nicht mal als Gedanke?
Und damit wären wir wirklich beim Bundeskanzler. Denn dem ist solche dem
Menschen zugewandte Zurückhaltung offenbar vollkommen fremd. „Bei der
Migration sind wir sehr weit“, verkündete Friedrich Merz [4][am Dienstag
bei einer Pressekonferenz]. „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild
noch dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei,
jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen“.
Mit anderen Worten. Er möchte nicht irgendein Abbild eines Menschen in die
Tonne treten. Er bezeichnet Menschen mit anderer Hautfarbe als „Problem im
Stadtbild“. Und nennt dies als Begründung für massive Abschiebungen.
## Apartheid? Rassismus? Nazikopie?
Das ist …, das ist …, ja was ist das eigentlich? Apartheidpolitik? Will
Merz die Fußgängerzonen nur noch für weiße Kartoffeln auf dem Weg zur
Arbeit öffnen, am besten mit Taufschein einer christlichen Gemeinde oder
Kreuz am Halskettchen? Ist das lupenreiner Rassismus? Weil Merz einen Teil
unserer Mitbürger:innen wegen ihres Aussehens als ein durch Abschiebung
zu lösendes Problem brandmarkt?
„Jetzt sollten sie selbst, ihre leibliche Erscheinung, aus dem Stadtbild
verschwinden“, erinnerte sich [5][Oskar Rosenfeld], ein Opfer des
Holocaust, in [6][seinem Tagebuch] aus dem Ghetto Litzmannstadt. Eine
solche, zutiefst rassistische „Stadtbildpflege“ erklärt der Bundeskanzler
ganz beiläufig zum Maß seiner Politik.
Was folgt? Ein Aufschrei der Anständigen? Nein. Dietmar Woidke (SPD),
Ministerpräsident von Brandenburg, steht bei der Pressekonferenz direkt
neben Merz. Er zuckt nicht mit der Wimper. Im Gegenteil. Wenn man genau
hinschaut, sieht man ihn sanft nicken.
Ist Merz ein Nazi? Nein, natürlich nicht. Aber er bedient sich leichtfertig
einer Sprache, die jede angeblich so stabile Brandmauer nicht nur weiter
nach rechts außen verschiebt, sondern sie gleich zum Einsturz bringt.
Wem der Vergleich mit der NS-Zeit zu hoch gegriffen erscheint, dem sei
gesagt: Der Nationalsozialismus war nicht erst seit dem Holocaust, der
industriellen Vernichtung von Menschen verachtenswert. Er war in seiner
Gänze und von Anfang an inakzeptabel, lange bevor „nur“ Menschen aus dem
Stadtbild vertrieben wurden.
Das ist …, das ist zum …. „Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen
möchte“, soll der Maler Max Liebermann gesagt haben, als die Nazis 1933 mit
Fackeln durch das Brandenburger Tor marschierten.
Oder zitieren wir doch noch Götz von Berlichingen. [7][Dem legte der gute
Goethe als letztes Worte in den Mund]: „Es kommen die Zeiten des Betrugs.
Die Nichtswürdigen werden regieren mit List, und der Edle wird in ihre
Netze fallen.“ Mit anderen Worten: Die Zivilgesellschaft ist im Arsch.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes wurde
Oskar Rosenfeld fälschlicherweise als Holocaust-Überlebender bezeichnet.
Tatsächlich war er ein Opfer des Holocaust. Er wurde 1944 im
Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordet.
17 Oct 2025
## LINKS
DIR [1] /Arschloch-Raus-Schtonk/!1511206/
DIR [2] /Goetz-von-Berlichingen-als-Theater-Film/!5731889
DIR [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Schw%C3%A4bischer_Gru%C3%9F
DIR [4] https://bsky.app/profile/eckstein.bsky.social/post/3m35hz74xdk2j
DIR [5] https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/geteilte-geschichte/342864/tagebuch-von-oskar-rosenfeld-aus-dem-ghetto-litzmannstadt/
DIR [6] https://ulis-buecherecke.ch/Neue%20Eintr%C3%A4ge%202021/aufzeichnungen_aus_dem_getto_x.pdf
DIR [7] https://www.projekt-gutenberg.org/goethe/berlich/berlic51.html
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DIR Gereon Asmuth
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