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       # taz.de -- Die Freuden des Italo-Pops: Eigentlich ist es ganz einfach mit dem Glück
       
       > Wenn einen die ganzen Zumutungen des Lebens nur noch frösteln lassen,
       > muss man nicht verzagen. Man darf doch im Berliner Schokoladen Italo-Pop
       > hören.
       
   IMG Bild: Der Namensgeber für das Berliner Gebäckorchester: der italienische Sänger Adriano Celentano
       
       Weil man mit Goethe eigentlich wenig falsch machen kann, darf so ein
       Klassikerzitat gleich mal am Anfang ran. Seufz: „Kennst du das Land, wo die
       Zitronen blühn,/ Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn …“
       
       Da geht es um Sehnsucht. Da geht es um Dinge, die man hier bei uns halt
       nicht hat. Und deswegen mag man sich an den Zeilen zwischendurch einfach
       mal festhalten, wenn draußen wieder Stürme toben und der Wind Fangen spielt
       mit den Blättern. Was hübsch aussieht. Wenn der Wind aber die Lust an
       diesem Spiel verliert, fallen die Blätter tumb zu Boden und liegen dort
       dann unnütz rum.
       
       Riecht es nicht auch schon modrig da draußen? Es schmeckt doch bereits
       wieder nach der Kälte, dem grauen in Anoraks verpackten Leben. Es schmeckt
       nach Vergänglichkeit. Winter kommt.
       
       Da kann man sich jetzt an den Rechner setzen und schnell die Flucht buchen,
       Kanaren, Balearen, egal. Hauptsache Sonne. Flugscham ist auch nur ein Wort
       und Klimakrise was für die anderen.
       
       Oder man setzt sich an diesem Samstag trotz Nieselregen auf sein Fahrrad
       und fährt auf der Suche nach Italien durch die Berliner Nacht. Der ewige
       Sehnsuchtsort. Den der Geheimrat in seinem Gedicht „Mignon“ gar nicht erst
       zu nennen brauchte, weil eh alle wussten, dass mit den Zielmarken Zitronen
       und Orangen nur dieses Land gemeint sein konnte. Esakapismus in sieben
       Buchstaben: Italien. Das Versprechen von Sommer mit dem Meer drumherum, von
       dem ja auch in den Liedern gesungen wird und vom blauen Himmel und der
       Liebe, natürlich, das sind [1][die Verlockungen des Italo-Pops].
       
       Deswegen hat man sich ja auch auf dem Weg gemacht, und im Schokoladen,
       [2][diesem fast letzten Widerspruch] zur ansonsten durchgentrifizierten
       Mitte, ist man dann auch nicht allein. Das Konzert ist ausverkauft, manche
       im Saal tragen, dem Anlass unbedingt angemessen, Glitzerbluse oder eine
       Hose im Leopardenlook. Auch sonst ist den Menschen anzusehen, dass sie an
       diesem Abend durchaus den einen Moment länger darüber nachgedacht haben, in
       welchem Casual Look es nun rausgehen soll zum Vergnügen.
       
       ## Punk-Bewusstsein, Augenzwinkern und Seriosität
       
       Auch bei den neun auf die kleine Bühne geklemmten Musiker*innen vom
       Adriano Celentano Gebäckorchester glitzert es hier und da, und überhaupt
       hat man dessen Ansatz – neben dem gleich Appetit machenden
       Kaffeekränzchen-Namen – bereits mit der Spanne beschrieben, die sich da im
       Schokoladen zwischen dem schwarzen Anzug samt Schlips (wenigsten am Anfang
       noch) des hübsch Italienisch parlierenden Sängers und dem trotzig-lässigen
       „Wipers“-Shirt über der Trainingshose des Gitarristen auftut. Eine Mischung
       aus Punk-Bewusstsein, Augenzwinkern und auch Seriosität, die es schon
       braucht, wenn man mit Sehnsuchtsdingen zu tun hat.
       
       Durch die Lieder werden die getriggert und mit Schmackes knallt einem das
       Gebäckorchester das alles vor den Latz, spielt olle italienische
       Beatklopper, Rock-’n’-Roll-Fetzer, Partystampfer und widmet sich in
       charmanter Hemdsärmligkeit diesen waidwunden Herzschmerzschlagern des
       Italo-Pops, die man einst gar nicht am Strand bei Rimini gehört haben
       musste, um sich nicht gleich in ihnen einfinden zu können. Und das Publikum
       macht da umstandfrei mit: Von der ersten Nummer weg wird getanzt, alle sind
       in steter Bewegung, wirklich niemand will da Spielverderber sein und so
       brüllt auch der ganze Saal mit dem Lied von Umberto Tozzi „Gloria“,
       Verzückung ist auf den Gesichtern zu lesen, und nochmal, lauter, „Gloria“,
       und immer wieder die Kennworte: cielo, Himmel, mare, Meer. Amore. „Viva la
       Felicità“ gibt das Gebäckorchester als Losung aus. Glück. In diesem Moment
       wohnt es im Schokoladen.
       
       Von Celentano, der wirklich eine Menge mehr gemacht hat als nur „Azzurro“,
       hat das Gebäckorchester gar nicht so viel im Programm und spielt dieses
       unvermeidliche Lied zum Schluss. Um Sommer geht es in dem Lied, natürlich.
       
       Dass es draußen schon wieder nieselt, kann einem da doch jetzt wirklich mal
       egal sein.
       
       1 Nov 2025
       
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