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       # taz.de -- Detlef Diederichsen Böse Musik: Dämmerung der Majors
       
       > Alle hatten große „Künstler“ unter Vertrag und veröffentlichten
       > „sensationelle“ Produkte. Im grauen Streaming-Alltag heute fusionieren
       > die Majorlabels.
       
   IMG Bild: Labeldämmerung, bald ghet auch bei den Riesen das Licht aus
       
       Kinder, war das herrlich damals, wenn mal wieder ein Paket aus dem Hause
       WEA kam! Damals in meinen musikjournalistischen Lehr- und Wanderjahren, die
       zufällig zusammenfielen mit dem wirtschaftlichen Höhepunkt der
       Tonträgerindustrie. Es gab in diesen Jahren ja noch richtig viele Majors
       (fast mehr als Indies) mit tollen Namen wie Phonogram, Ariola oder
       Electrola – erinnert sich noch jemand? Alle verdienten viel Geld, hatten
       große „Künstler“ unter Vertrag und veröffentlichten „sensationelle“
       „Produkte“.
       
       Doch mein Lieblings-Major war immer WEA. Was daran lag, dass man selbst in
       den musikalisch tristen späten 1980er Jahren immer hoffen konnte, aus ihren
       Promo-Paketen neue Veröffentlichungen von Van Dyke Parks, John Zorn oder
       zumindest Everything But The Girl herausfummeln zu können.
       
       WEA stand für Warner, Elektra, Atlantic – drei der ehrbarsten Adressen der
       US-Tonträgerindustrie der 1950er und 1960er Jahre. Atlantic hatten die
       Brüder Ahmet und Nesuhi Ertegun mit Veröffentlichungen von unter anderem
       John Coltrane, Ornette Coleman und Ray Charles zu einem der prägenden
       Häuser in Sachen Jazz und R & B gemacht, bei Elektra veröffentlichte
       Labelgründer Jac Holzman einerseits große Singer/Songwriter wie [1][Phil
       Ochs], die Incredible String Band oder Tim Buckley, andererseits auf dem
       Schwesterlabel Nonesuch Avantgardisten wie Morton Subotnick, aber auch
       klassische Musik aus Indien.
       
       ## WEA stand für Warner, Elektra, Atlantic
       
       Warner Bros. schließlich war ab Mitte der 1960er zum Labor des
       Musikproduzenten Lennie Waronker aufgestiegen, der dort Exzentrikern wie
       Randy Newman, [2][Ry Cooder] oder der Band [3][Little Feat] mit viel Geduld
       zur Karriere verhalf. Irgendwann wurden diese drei mit weiteren Labels
       gemergt und es entstand ein Tonträger-Multi-Major, der sich lange Zeit sehr
       gut behaupten konnte.
       
       Natürlich verdient ein multinationaler börsennotierter Konzern mit tollen
       Nischenacts kein Geld, und ohne die Milliönchen, die durch die Eagles,
       Madonna und Phil Collins hereinkamen, hätte es ein paar Alben weniger von
       Robin Holcomb, Tom Zé und Mary Halvorson gegeben. Und schon in den 1980ern
       glichen sich Programm und Strategien der Majors immer mehr einander an.
       
       Nach diversen Eigentümerwechseln und Mergern sind im grauen
       Streaming-Alltag von heute noch drei von ihnen übrig, und jetzt geht es
       auch denen an den Kragen. Warner Music (wie WEA mittlerweile heißt) legt
       vor und fusioniert seine bislang von Hamburg und Berlin aus geführte
       Abteilung für „GSA“ (Germany, Switzerland, Austria) mit der Benelux-Sparte.
       
       ## Fusionen und Stellenabbau bei Warner Music
       
       Die deutsche Doppelspitze darf gehen, Benelux-Chef Niels Walboomers
       übernimmt. Ein damit einhergehender massiver Stellenabbau in der deutschen
       Dependance soll die Aktionäre froh machen.
       
       Branchenfuchs Fabian Schuetze erwartet in „Low Budget High Spirit“, dass
       Sony und Universal, die anderen beiden Majors, zeitnah nachziehen – sowohl
       mit Entlassungen wie auch mit Umzügen in die Niederlande: „Nicht zufällig
       sind dort Körperschaftssteuern niedrig und Gewerbesteuer nicht vorhanden.“
       
       Aber: „Der Schritt, Benelux und GSA zusammenzulegen, ist ohne Zweifel nur
       ein erster Milestone auf der Roadmap. Auf den mittelfristigen Plänen der
       Majors steht mit Sicherheit jetzt schon der Fiebertraum, komplett Europa
       aus einem kleinen Büro in London zu managen. Den Rest der Arbeit regeln
       Algorithmus und KI.“
       
       Passt das nicht auch viel besser in eine Zeit, in der Popmusik einfach
       nicht mehr so wichtig ist? In der sie vor allem dazu dient, im Gym und beim
       Hairstyling, in Commercials und Tiktok-Videos die passende Ambience
       zuzuliefern? Die erfolgreiche Musikindustrie von heute und morgen muss eben
       diese untergeordnete Funktion annehmen und sich dementsprechend in der
       medialen Hierarchie bei den niedrigeren kreativen Prioritäten einsortieren.
       Individualismus, Poesie und Kunst überlässt man den Indies und vor allem
       der Eigeninitiative.
       
       1 Nov 2025
       
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