# taz.de -- Ausstellung im Jüdischen Museum Wien: Wie Juden und Jüdinnen weiß wurden
> Diese Ausstellung zeigt jüdische Selbst- und Fremdbilder. Sie
> widerspricht einem Antirassismus, der jüdische
> Diskriminierungserfahrungen negiert.
IMG Bild: Jüdinnen und Juden waren historisch vielfach in einer fragilen Zwischenstellung: Arbeit „Witness“ von Ella Cooper
Jeder kennt Superman – oder doch nicht? In seinem „Portrait of a young man“
legt der jüdisch-amerikanische Künstler Jason Bard Yarmosky in der
Ausstellung „Schwarze Juden, weiße Juden?“ im Wiener Jüdischen Museum den
Konventionen der Wahrnehmung gleich mehrfach Fallstricke aus. Im
blitzblauen Superheldentrikot unter dem wehenden roten Umhang steckt eine
männliche Person of Color.
Statt auf das kantige Antlitz eines weißen testosterongestählten
Muskelprotzes zu treffen, verfängt sich der ertappte Blick in den
Dreadlocks der eher schmächtigen Gestalt. Die Ausstellung beginnt mit
Bildern, die zum Privilegienchecken einladen und so zeigen, wie
rassifizierende Zuschreibungen, Wertungen und Abwertungen Machtgefälle in
der Gesellschaft normalisieren.
Lockerungsübungen zum Einstieg folgt der Gang durch die Geschichte der
toxischen (Haut)Farbenlehren. Dem christlichen Antijudaismus sind die
religiös anderen, deren bloße Existenz Heilsgewissheiten infrage stellt,
oft schwarz assoziiert. Der [1][Antisemitismus des 19. Jahrhunderts]
versucht das Nicht-Weiß-Sein der vermeintlich biologisch anderen
sicherzustellen und entwickelt eine Fülle grotesker
Klassifikationsstrategien, der sich die Körper letztlich nicht fügen.
Leicht und bruchlos geht hier wissenschaftliches Interesse, die Welt zu
erkennen, über in Herrschaftsinteresse, sie zu unterwerfen. Der
nationalsozialistischen Vernichtungspolitik war Spekulation über physische
Merkmale nur noch Propaganda, ihr genügte die Abstammung über zwei
Generationen.
## Postkolonialer Diskurs
Ausführliches Material aus der Kolonialgeschichte zeigt Jüdinnen und Juden
vielfach in einer fragilen Zwischenstellung. Wo sie auf Seiten der
Kolonisatoren standen, war ihr Status kaum sicher und von Dauer. Dieses
Kapitel scheint auch ein Differenzierungsversuch gegenüber einem
postkolonialen Diskurs zu sein, der Jüdinnen und Juden zunehmend als „weiß“
oder weißen Herrschaftsinteressen dienlich identifiziert.
Zeugnisse jüdischer Selbstdarstellung im 19. Jahrhundert reichen von
Bildern, die die gelungene Assimilation eines liberalen Bürgertums
demonstrieren, bis hin zur Romantisierung eines orientalischen Ursprungs
als Gegenbild einer rückständig empfundenen osteuropäischen Lebenswelt.
Die Gegenwart repräsentiert eine Fülle von Exponaten von jüdischen
Communities, deren Migrationsgeschichte sich nicht nach Europa
zurückverfolgen lässt. Zwei Drittel der israelischen Bevölkerung zählen
mittlerweile dazu, was das antizionistische Dispositiv eines von
Siedlerkolonialisten geschaffenen Vor- beziehungsweise Restpostens des
europäischen Kolonialismus ad absurdum führt.
Die Sache mit Superman gerät dann doch komplizierter. Mit seinen Erfindern
in den frühen 1930er Jahren, Jerry Siegel und Joe Shuster, teilt er
jüdische Wurzeln. Überlieferungen der europäischen Verfolgungsgeschichte
fließen in die Figur und werden in ihr symbolisch kompensiert. Der
Superheld persifliert die rassistisch unterlegten Fantasien vom „Neuen
Menschen“ als Übermenschen [2][und setzt Superkräfte] gegen das Stereotyp
einer schwachen körperlichen Konstitution, die der Antisemitismus den Juden
seit dem 19. Jahrhundert zuschrieb.
## Schlechte Chancen für Solidarisierung
Was vermittelt das Person-of-Color-Kostüm einer jüdisch konnotierten Figur?
Im amerikanischen Kontext könnte sie als Appell zur Solidarisierung zweier
Gruppen gelesen werden, auch wenn sie wesentliche Diskriminierungsmomente
nicht teilen. Polizeigewalt, das Gefängnissystem und strukturelle
ökonomische Benachteiligung sind weniger das Problem amerikanischer
Jüdinnen und Juden. Der Terror weißer Suprematisten weiß jedoch zielsicher,
wo der Feind steht. Eine Foto zeigt die Parole einer rechtsextremen
Demonstration 2017 in Charlottesville/Virginia: „Jews will not replace us.“
„Include Jews In Your Activism“, fordert die Künstlerin Hannah Michelle
Provisor in einer Illustration der Ausstellung, verweist auf die Diversität
jüdischer Identitäten und fordert, Erfahrungen von „Jews of Color“ im
intersektionalen Diskurs über Diskriminierungstatbestände mit
einzubeziehen.
Die Chancen dafür stehen ausgesprochen schlecht. Aktivist:innen der
[3][„Black Lives Matter“]-Demonstrationen von 2020 finden sich heute
vielfach an der Spitze „propalästinensischer“ Demonstrationen. Ungeachtet
des weltweiten Anstiegs antisemitischer Übergriffe nach dem 7. Oktober
erklärt eine vorherrschende theoretische Begründung von antirassistischem
Aktivismus die in der Schoah gipfelnde jüdische Verfolgungsgeschichte für
vergangen.
## Juden als „Super-Weiße“
Für die Proponenten einer „critical whiteness“ scheinen Jüdinnen und Juden
durch ihre soziale Mobilität mittlerweile Teil der weißen
Mehrheitsgesellschaft und tragen damit auch zu deren wirtschaftlicher
Vorherrschaft bei. Was als Herrschaftskritik im akademischen Feld beginnt,
mutiert zur globalen Verschwörungserzählung von Juden, die als
„Super-Weiße“ zu Antagonisten der Interessen von Minderheiten werden. „Wenn
Jüdischsein und Weißsein im Diskurs miteinander verbunden werden“, schreibt
der Soziologe Balázs Berkovits, „tritt der antisemitische Gehalt von
Jüdischsein in den Vordergrund.“
Der Ausstellungskatalog, der auch als selbstständige Lektüre geeignet ist,
trägt im Kapitel „Was macht Jüdinnen und Juden weiß?“ die wesentlichen
Positionen einer Kritik des vermeintlich Kritischen noch einmal zusammen
und liefert gleichsam Materialien zur diskursiven Selbstverteidigung, die
die Kritik am blinden Fleck antirassistischer Theoriebildung nicht den
Autoritären überlassen will, die damit jede kritische Theorie der
Gesellschaft zu denunzieren suchen.
3 Nov 2025
## LINKS
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## AUTOREN
DIR Uwe Mattheiß
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