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       # taz.de -- Zeitungskrise in Österreich: Medien am Oasch
       
       > Die Inseratenpraxis und politische Abhängigkeiten stürzen österreichische
       > Zeitungen in die Krise. Es drohen Insolvenz und Hunderte
       > Stellenkürzungen.
       
   IMG Bild: So viel Zeitung wird schon lang nicht mehr gelesen: Kaffeehaus Hawelka in Wien, circa 1956
       
       „Wir sind am Untergang, wir funken SOS.“ Mit drastischen Worten beschrieb
       Ute Groß, Redakteurin der Kleinen Zeitung und Gewerkschafterin, die Lage im
       österreichischen Journalismus. „Die Lage ist dramatisch und die Situation
       verschärft sich nahezu täglich“, sagte sie bei einer Pressekonferenz der
       Gewerkschaft GPA in Wien. Laut GPA-Hochrechnung gehen allein dieses Jahr
       rund 300 Arbeitsplätze verloren. Betroffen sind nicht nur Redakteure,
       sondern auch technisch-redaktioneller Dienst, Korrektoren und Lektoren.
       
       Die Liste der betroffenen Medienhäuser umfasst einen Großteil der
       österreichischen Presselandschaft: Der Standard, Die Presse, Kurier, Kronen
       Zeitung, Regionalmedien Austria, Kleine Zeitung, Red Bull Media House und
       Puls24. Über die genaue Anzahl hüllen sich die Medienhäuser in Schweigen.
       
       „Es ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt unklar, von wie vielen Personen wir uns
       tatsächlich trennen müssen“, schreibt etwa Standard-Geschäftsführer
       Alexander Mitteräcker der taz. Als Gründe für die Krise nennt er die
       schwierige Konjunktur, die dazu führt, dass Unternehmen sparen und somit
       das Werbeaufkommen zurückgegangen ist. Gleichzeitig seien die Werbeausgaben
       der Bundesregierung stark zurückgegangen.
       
       ## Ausgebliebene Werbeausgaben
       
       Tatsächlich ist der Einbruch eklatant: Im ersten Halbjahr 2025 haben
       Bundesregierung, Bundesländer und Kammern nur mehr 3,2 Millionen statt 18,7
       Millionen Euro (1. Halbjahr 2024) ausgegeben. Ein Rückgang von 15,5
       Millionen Euro, genug Geld für Dutzende Arbeitsplätze.
       
       Zum Teil ist die Kürzung wohl zwar auf den Regierungswechsel
       zurückzuführen, denn die derzeitige Koalition aus Konservativen,
       Sozialdemokraten und Liberalen nahm erst im März ihre Arbeit auf. Jüngste
       Wortmeldungen des Medienministers Andreas Babler (SPÖ) lassen aber auf
       Absicht schließen. [1][In einem Gespräch mit dem Standard bezeichnete er
       das „ungeordnete Rausschießen von Inseraten]“ als „kein sehr
       erstrebenswertes Ziel“. Auf taz-Anfrage begründet das Ministerium die
       Kürzung mit einem grundlegenden Kurswechsel, aber auch mit der angespannten
       Budgetlage Österreichs.
       
       ## Kontrollinstrument der Regierungen
       
       Tatsächlich ist eines der größten Probleme der österreichischen Presse die
       Abhängigkeit von Regierungsinseraten. Diese Praxis wurde vom damaligen
       SPÖ-Kanzler Werner Faymann forciert und später von seinem ÖVP-Pendant
       Sebastian Kurz auf die Spitze getrieben. Selbst als Hinweise aufkamen, Kurz
       habe sich mit diesen Geldern gezielt wohlwollende Berichterstattung und
       gefälschte Meinungsumfragen in einer Boulevardzeitung erkauft, unterblieb
       ein Hinterfragen, geschweige denn ein Ende der Inseratenpraxis, also dem
       Schalten von Werbung von politischen Parteien und Organisationen. Zu den
       Vorwürfen rund um die sogenannte Inseratenkorruption wird noch ermittelt,
       das Vertrauen in Politik und Medien nahm jedoch Schaden.
       
       Die „starke, langjährige Abhängigkeit von öffentlichen Inseraten ist keine
       transparente und zielführende Unterstützung gewesen“, sagt Jakob-Moritz
       Eberl, Medienwissenschaftler an der Universität Wien im taz-Gespräch. Er
       kritisiert jedoch, wie radikal sie nun zurückgefahren wurde: „Bei aller
       berechtigten Kritik an der Inseratenpolitik ist ein so rascher Rückzug,
       ohne Plan B, politisch unverantwortlich.“
       
       Durch die Abhängigkeit von öffentlichen Inseraten sei die Branche davon
       ausgegangen, dass es ewig so weitergehe, sagt Eberl. Daher habe es wenig
       Notwendigkeit gegeben, Neues auszuprobieren. Das rächt sich nun: Die
       österreichischen Medien sind noch immer stark auf die gedruckte Zeitung
       ausgerichtet und weder in der Aufbereitung der Inhalte noch bei den
       Geschäftsmodellen sonderlich innovativ.
       
       Andy Kaltenbrunner, Medienwissenschaftler und Leiter des Medienhauses Wien,
       sagt im Gespräch mit der taz, die aktuellen Kündigungen seien ein „wirklich
       schlimmer Aderlass“. Doch es seien andere Ursachen wichtiger als der
       Wegfall der Inserate. Neben eigenen Versäumnissen der Medienhäuser und
       globalen Trends, etwa dem Abwandern von Anzeigenkunden auf die
       Digitalplattformen, auch das gesetzliche Fördersystem: „Es hat sichtlich
       versagt – obwohl immer mehr Geld darin investiert wurde.“ Schließlich sei
       in den letzten 20 Jahren etwa ein Drittel der journalistischen
       Arbeitsplätze Österreichs verloren gegangen.
       
       ## Österreich diskutiert Lösungen
       
       Die Folgen der aktuellen Kündigungen bekommen auch die verbliebenen
       Kollegen in den Redaktionen zu spüren: Sie leiden unter enormer
       Arbeitsverdichtung, sagt Gewerkschafterin Groß, was sich auch negativ auf
       die Qualität der Berichterstattung auswirke. Auch Kaltenbrunner warnt vor
       einer gefährlichen Abwärtsspirale: „Je mehr Journalistinnen und
       Journalisten verschwinden, desto eingedickter werden die Produkte, desto
       geringer entwickelt sich die Zahlungsbereitschaft und die Liebe des
       Publikums.“ Groß sieht es ähnlich kritisch. Wenn jetzt nichts passiere,
       werde es 2026 zu Konkursanmeldungen mancher Medien kommen, die dann
       schließen müssten.
       
       Konkret fordert sie das seit Langem angekündigte Vertriebsförderungsgesetz:
       [2][Das Modell, gedruckte Zeitung auch weiterhin in jeden Ort und jedes Tal
       zu bringen], sei „nicht aus der Zeit gefallen, sondern wesentlicher Beitrag
       zur demokratischen Teilhabe“. Es soll im nächsten Jahr kommen, heißt es vom
       Medienministerium. Zudem verlangt die Gewerkschaft die steuerliche
       Absetzbarkeit eines Abos für jeden Haushalt. Das helfe auch jenen Lesern,
       die sich den Bezug vielfach nicht mehr leisten können.
       
       Die Gewerkschaft fordert die Medienhäuser zudem auf, sich
       zusammenzuschließen und Verwertungsgesellschaften zu gründen, „um endlich
       gegen Konkurrenz von Onlineplattformen vorzugehen.“ Diese seien es, die
       seit Jahren einen Großteil der privaten Werbegelder abziehen würden.
       Mitteräcker vom Standard wiederum sieht den größten Hebel in der
       Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Aboprodukte, wie es sie in anderen
       Ländern bereits gibt. Davon ist aber bisher, wohl angesichts der klammen
       Budgetsituation, keine Rede.
       
       Ohnehin ist fraglich, ob die nun diskutierten Maßnahmen nicht zu spät
       kommen. „Ich sehe kein Licht am Ende des Tunnels“, sagt Kaltenbrunner. Die
       Aufgabe sei schließlich enorm, denn es gelte, Versäumnisse der letzten 10
       bis 15 Jahre nachzuholen. Und Eberl sagt, dass sich die derzeitigen
       Negativentwicklungen in den kommenden Jahren noch um einiges verschärfen
       werden.
       
       Eine Abkehr von staatlichen Unterstützungen scheint jedenfalls weiterhin in
       weiter Ferne zu sein. Wenn es sie schon braucht, dann aber in Form
       transparenter Förderungen nach klaren, nachhaltigen und zielgerichteten
       Kriterien, wie es Kaltenbrunner, Eberl und andere seit Jahren fordern.
       Somit bleibt die größte Frage, ob die Politik die [3][Dringlichkeit der
       aktuellen Situation] erkannt hat. Sonst könnte es, wie es auch beim
       Hilferuf der Gewerkschaft hieß, bald nichts mehr zu fördern geben.
       
       31 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.derstandard.de/story/3000000293346/babler-will-nicht-zurueck-zum-ungeordneten-rausschiessen-von-inseraten
   DIR [2] /Druckschluss-der-Werktagstaz/!6120937
   DIR [3] /!vn6116982/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Florian Bayer
       
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