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       # taz.de -- Zukunft der Mobilität: Autopolitik auf Abwegen
       
       > Auch die Ministerpräsident:innen sprechen sich jetzt gegen das
       > EU-Verbot für neue Verbrenner aus. Das hat Folgen für die Branche.
       
   IMG Bild: Gruppenbild mit Männern: Jahreskonferenz der Ministerpräsident:innen Ende Oktober in Rheinland-Pfalz
       
       Wie es mit der Autoindustrie weitergehe, das sei bei vielen Menschen
       Gesprächsthema Nummer eins, sagt Luigi Pantisano. Er ist in der Nähe von
       Stuttgart geboren, seit diesem Jahr ist er mobilitätspolitischer Sprecher
       der Linken im Bundestag. Lange trieb die Autoindustrie im Autoland
       Baden-Württemberg zuverlässig den Wohlstand an. Doch die Branche kriselt –
       in ganz Deutschland.
       
       Wie sie aus der Krise wieder herauskommt? Darauf haben konservative Kräfte
       wie CDU-Kanzler Friedrich Merz oder der Verband der Automobilindustrie
       (VDA) eine [1][einfache Antwort: Das EU-weite Verkaufsverbot für Neuwagen]
       mit Verbrennermotor soll weg – ab 2035. Zumindest soll es aufgeweicht
       werden. Seit vergangener Woche sehen das auch die
       Ministerpräsident:innen der Bundesländer so.
       
       Bei ihrer Jahreskonferenz fassten sie einen erstaunlich detaillierten
       Beschluss zur Stärkung der Automobil- und Zuliefererindustrie. Die
       Bundesregierung solle, so steht es da, die „Zukunft des Verbrennungsmotors
       langfristig auf europäischer und nationaler Ebene sichern“. Und zwar durch
       „regulatorische Maßnahmen in Bezug auf klimafreundliche und CO2-arme
       Kraftstoffe wie auch Wasserstoff“.
       
       Jens Hilgenberg, Leiter Verkehrspolitik beim Bund für Umwelt und
       Naturschutz Deutschland (BUND), sagt: „Dieser Beschluss hat mich
       überrascht.“ Die Bundesregierung ringe noch darum, ob sie die
       EU-Flottenregulierung überhaupt infrage stellen will. Jetzt hätten die
       Landeschef:innen mit viel Aufwand und Detailtiefe dargelegt, wie die
       gültigen Flottengrenzwerte ihrer Meinung nach aufgeweicht werden sollten –
       und nicht ob.
       
       ## Zweigleisigkeit gehe schief
       
       Die EU-Flottengrenzwerte halten die Autobauer zur schrittweisen Reduktion
       des klimaschädlichen CO2 an, das von ihnen verkaufte Neuwagen im
       Durchschnitt ausstoßen. Und eigentlich dienen die Regeln der Branche als
       „Leitplanken“ für die Transformation hin zur Elektromobilität, schreibt das
       Bundesumweltministerium.
       
       Die Transformation wiederum haben gerade deutsche Marken viel zu spät
       eingeleitet. Jetzt ist die [2][Konkurrenz besonders aus China] groß. Der
       chinesische Markt war lange Erfolgsgarant für deutsche Autobauer – seit
       2022 aber sind die deutschen Exporte nach China um 70 Prozent abgesackt.
       US-Präsident Donald Trump erschwerte mit hohen Zöllen den Export in die
       USA, auch in der EU ist die Nachfrage niedriger als vor der Coronapandemie.
       
       Frank Schwope, Lehrbeauftragter für Automotive Management an der
       Fachhochschule des Mittelstands in Köln sagt: „Wenn die deutschen
       Hersteller weiter Verbrenner verkaufen würden, hätten sie vielleicht
       kurzfristig höhere Gewinne.“ Das lasse sich aber über die nächsten
       Jahrzehnte nicht durchhalten. Hersteller und Kund:innen bräuchten
       Planungssicherheit, gerade aber arbeiteten die Hersteller mit daran,
       Unsicherheit zu verbreiten.
       
       „Bei Mercedes herrscht eine gewisse Orientierungslosigkeit, jetzt erhofft
       sich das Management ein Revival vom Verbrenner“, meint Schwope. Mercedes
       wollte noch vor ein paar Jahren „electric only“, das habe der Konzern
       inzwischen widerrufen. Zweigleisig zu fahren, also Verbrenner
       weiterzuentwickeln und gleichzeitig die Umstellung auf E-Autos weiter zu
       verfolgen, bedeute, dass die Investitionen geteilt werden müssen. „Dann
       fehlen Investitionen für die Elektromobilität.“
       
       Darauf deuten auch die neuesten Branchenzahlen hin. VW rutschte zum
       Beispiel zwischen Juli und September in die roten Zahlen, unter anderem
       weil die [3][Luxustochter Porsche] ihre Verkaufsstrategie änderte und
       wieder mehr Verbrenner verkaufen will. Gleichzeitig stiegen im gesamten
       VW-Konzern die E-Auto-Verkäufe europaweit um ein Drittel an.
       
       ## Autobauer zu Mobilitätsfirmen
       
       Auch Jens Hilgenberg ist überzeugt: „Wenn die EU-Regeln aufgeweicht werden,
       sehen viele Aktionär:innen wahrscheinlich nicht mehr die Notwendigkeit,
       verstärkt in E-Mobilität zu investieren.“ Auf dem Weltmarkt für E-Fahrzeuge
       könnten europäische Autobauer aber nur dann bestehen und den Rückstand
       aufholen, den sie in einigen Bereichen haben, wenn sie massiv in
       E-Mobilität investierten.
       
       Umschulungen könnten Arbeitsplätze sichern, sagt Hilgenberg auf die Frage,
       wie man aus der Krise kommt. In nachhaltiger Batterieforschung und
       -produktion könnten sogar neue Jobs entstehen. Leasing- oder Kaufbeihilfen
       nach sozialen Kriterin und speziell für in Europa produzierte, kleine
       E-Autos könnten die Absätze der hiesigen Hersteller anschieben.
       
       Linken-Politiker Pantisano schlägt vor, Carsharinganbieter und
       Pflegedienste staatlich bei der Umstellung auf E-Mobilität zu unterstützen.
       Autobauer sollten zu Mobilitätsfirmen werden, Busse und Schienenfahrzeuge
       produzieren, Gewinneinbußen solle der Staat abpuffern. „So können die
       Autobauer zum aktiven Motor der klimafreundlichen Mobilitätswende werden.“
       
       31 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Deutsche-Wirtschaftskrise-haelt-an/!6115544
   DIR [2] /Autoindustrie-bedroht-aus-China/!6108148
   DIR [3] /Porsche-Chef-muss-gehen/!6121347
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nanja Boenisch
       
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