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       # taz.de -- Mieterversammlung der Linken: Vonovias Wahlkampfhilfe
       
       > Der Wohnungskonzern verschickt weiterhin rechtswidrige Mieterhöhungen.
       > Bei einer Versammlung für eine Siedlung im Westend gibt die Linke Tipps.
       
   IMG Bild: Lauschen den Mieter:innen: Marcel Eupen, Elif Eralp und Niklas Schenker
       
       Berlin taz | Ein junger Mann hält einem älteren Ehepaar die Tür zum Kultur-
       und Begegnungszentrum Ulme 35 in der Ulmenallee im Westend auf. „Wie alt
       bist du jetzt?“, fragt die Frau. „26“, lautet seine Antwort. Die Frau
       stockt kurz: „26? Du warst doch letztens erst so“, sagt sie und hält ihre
       Hand auf Hüfthöhe. Es ist eine von vielen nachbarschaftlichen Begegnungen
       an diesem Dienstagabend auf einer Versammlung von Mieter:innen einer
       nahegelegenen Wohnsiedlung aus den 1940er und 1950er Jahren östlich der
       Reichsstraße.
       
       Eingeladen zu dem Treffen hat die Linke, deren Aufstellfahne vor der Tür
       der im Landhausstil gebauten prachtvollen Villa den Besucher:innen den
       Weg weist. Der Anlass: Die Mieter:innen der 400 Wohnungen, die seit
       einigen Jahren Deutschlands größtem Vermieter Vonovia gehören, haben vor
       Kurzem offensichtlich rechtswidrige Mieterhöhungen erhalten. Wie seit etwa
       einem Jahr üblich, [1][hat der Konzern die Forderungen mit zwei Merkmalen
       begründet, die es im Mietspiegel gar nicht gibt]: gute ÖPNV-Anbindung und
       Nahversorgung. Acht Amtsgerichtsentscheidungen und zuletzt ein Urteil der
       Landgerichts haben diese Praxis als unzulässig bewertet.
       
       Die mithilfe dieses Tricks berechneten zulässigen Mieten werden somit in
       die Höhe getrieben – die geforderten Mieterhöhungen fallen dementsprechend
       happig aus. Bei einigen ist die Aufregung darüber schon vor Beginn der
       Veranstaltung groß. Eine Frau um die 60 mit Steppjacke und blondierten
       Spitzen, die ihren Namen lieber nicht nennen will, lässt ihrem Frust in der
       Eingangshalle freien Lauf: „Von hinten bis vorne pappesatt“ habe sie ihren
       Vermieter.
       
       64 Euro mehr als die 700 Euro bislang sollen und ihr Mann zahlen. Dabei
       habe Vonovia schon aufgrund einer Badsanierung die Miete dauerhaft um 80
       Euro pro Monat heraufgesetzt. Seit 1999 leben sie in dem Haus in der
       Altenburger Straße, das bis 2004 noch im Besitz der Gagfah war, die
       Angestellte der Deutschen Rentenversicherung mit Wohnungen versorgte. Vor
       allem seit der Privatisierung und späteren Übernahme durch Vonovia sei in
       dem Haus nichts mehr passiert; auch gegen die feuchten Außenwände und den
       Schimmel in den Wohnungen tue die Eigentümerin nichts.
       
       „Leider Gottes“ hätten sie dem Mieterhöhungsverlangen schon zugestimmt,
       erzählt die Frau: „Wir sind ja so Bürger, die keinen Ärger haben wollen.“
       Aber dass die Regierungsparteien nicht eingriffen, sei eine „Frechheit“.
       Der Einladung der Linken sei sie gerne gefolgt, auch wenn sie mit der
       Partei nichts zu tun habe. Einigkeit gibt es trotzdem. Sie sagt: „Wir
       wollen, dass diese Gesellschaften endlich gestoppt werden, dass sie
       enteignet werden.“ Auch die Linke macht die Umsetzung des
       Enteignungs-Volksentscheids zur Bedingung für eine mögliche
       Regierungsbeteiligung.
       
       ## Organisiert in einer Woche
       
       Als die Veranstaltung kurz nach 18 Uhr beginnt, sind die Klappsitze in dem
       etwa 120 Plätze fassenden Versammlungssaal gut zur Hälfte gefüllt. Gekommen
       sind viele ältere Mieter:innen, viele haben ihre Vermieterschreiben in den
       Händen, manche auch ein Bier. Die Linke Charlottenburg-Wilmersdorf habe vor
       einer Woche in einer Sprechstunde von den wohl fehlerhaften
       Mieterhöhungsschreiben erfahren, erzählt deren Bezirksvorsitzender Johannes
       Kolleck. Die Frage sei gewesen: „Helfen wir in dem einen Fall oder
       informieren wir alle anderen auch?“
       
       Am Wochenende dann klingelten Parteimitglieder an allen Türen des Viertels
       und luden zu dem Treffen ein. Der Kiez sei „nicht unbedingt als
       Linken-Hochburg bekannt“, sagt Niklas Schenker, der aus dem Bezirk
       stammende mietenpolitische Sprecher der Abgeordnetenhausfraktion. Mit so
       einem konkreten Thema sei es jedoch deutlich leichter, auf die Menschen
       zuzugehen. 25 Mieter:innenversammlungen habe die Bezirks-Linke in
       der jüngeren Vergangenheit angestoßen, erzählt Schenker im Gespräch mit der
       taz.
       
       Für die Linke sind die Versammlungen Teil einer wiederentdeckten Strategie,
       sich vermehrt in den Kiezen zu verankern – vereint werden damit konkrete
       Hilfe und Wahlkampf. Nicht zufällig ist mit Elif Eralp auch die designierte
       Spitzenkandidatin zur Abgeordnetenhauswahl im Westend anwesend. Sie wird
       mit Applaus empfangen. Die Partei will sich in Zukunft noch strukturierter
       um die Belange von Mieter:innen kümmern, eine neue Mietenkampagne der
       Bundespartei soll demnächst starten.
       
       In der Ulme 35 gibt es nur kurze Inputs von Eralp und Schenker, ehe Marcel
       Eupen vom Alternativen Mieterverein AMV Details zum Mietspiegel erläutert.
       Er erklärt die Strategie des Konzerns, die „kein Versehen, sondern Absicht“
       sei. „Bei 300 Mieterhöhungsverlangen stimmen 250 direkt zu, 25 weitere tun
       dies nach einer Klageandrohung. Bei einer Klage stimmt die Hälfte einem
       Vergleich zu, der Rest der Mieter:innen gewinnt.“ Ergo: Am Ende gewinnt
       immer Vonovia.
       
       ## Einzelfallberatung für alle
       
       In der anschließenden Fragerunde wird klar: Hat man erst mal zugestimmt,
       ist rechtlich nichts mehr zu machen. Die aufgeregte Mieterin in der ersten
       Reihe schüttelt den Kopf. Was bleibt, sei politisch Druck zu machen. Die
       Linke hat einen offenen Brief für die Mieter:innen vorformuliert, in dem
       der Konzern aufgefordert wird, alle Mieterhöhungsverlangen „unverzüglich zu
       korrigieren“. Klemmbretter gehen durch die Reihen, auf denen die
       Mieter:innen unterschreiben.
       
       Als sich das Ende der Diskussion anbahnt, springen viele Mieter:innen
       auf. Die Linken und der Mieterberater verteilen sich auf vier Tische, um
       die Mieterhöhungen individuell zu prüfen. Eralp braucht erst mal Strom für
       den Laptop und das WLAN-Passwort und Rat von Schenker, wie sie den
       [2][Online-Mietspiegel-Rechner des Senats] richtig ausfüllt.
       
       Bei Schenker hat die 87-jährige Mieterin Ingrid Stephan Platz genommen, 75
       Euro mehr soll sie zahlen. Nach Eingaben von Wohnungsgröße und -merkmalen
       spuckt der Rechner die zulässige Höchstmiete aus, nach der eine
       Mieterhöhung von maximal 40 Euro zulässig ist. „Na, das ist schon ein
       Unterschied“, reagiert sie erleichtert und fragt: „Und wie verbleiben wir
       jetzt?“ Schenker rät ihr, nicht zuzustimmen und noch einmal in seine
       Sprechstunde zu kommen. Als Stephan zögert, notiert er sich ihre Nummer,
       macht ein Foto der Mieterhöhung und verspricht ihr, ihr ein
       Widerspruchsschreiben zuzuschicken.
       
       Am Ende des Abend hat die Linke 60 Schreiben überprüft – 58 davon seien
       fehlerhaft gewesen, heißt es. Die durchschnittliche Ersparnis für die
       Mieter:innen belaufe sich auf 500 bis 1.000 Euro pro Jahr.
       
       22 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Mieterhoehungen-von-Vonovia/!6071727
   DIR [2] https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/mietspiegel/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
       ## TAGS
       
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