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       # taz.de -- Russlands Rückkehr in den Weltsport: Neutrales Gold
       
       > Mit Angelina Melnikowa kehrt Russland bei der Turn-WM aufs Siegerpodest
       > zurück. Wie es zu ihrer Zulassung kam, kann so richtig genau niemand
       > sagen.
       
   IMG Bild: Zurück am Gerät: Angelina Melnikowa bei der WM in Jakarta
       
       taz | Angelina Melnikowa ist Weltmeisterin geworden, im Mehrkampf und am
       Sprung. Melnikowa ist eines der prominentesten Gesichter des Frauenturnens,
       internationale Medaillen gewinnt sie schon seit 2016. Sie war es, die bei
       den Olympischen Spielen 2021 mit der letzten Übung des Wettbewerbs Gold für
       das russische Team sicherte und im selben Jahr Mehrkampfweltmeisterin
       wurde. Nun trat sie nach vierjähriger Abstinenz – die russischen Aktiven
       wurden ob des Angriffskriegs auf die Ukraine im Frühjahr 2022 gesperrt –
       zum ersten Mal wieder auf die große Bühne.
       
       Angelina Melnikowa ist allerdings nicht als Russin, sondern als
       „individuelle neutrale Athletin“ (AIN) in Jakarta. Das heißt: Anstatt der
       russischen Hymne erklingt – wie übrigens schon in Tokio – [1][Tschaikowskys
       Klavierkonzert Nummer eins], und die ohnehin nur digital eingeblendete
       Flagge ist weiß. All das interessiert die Turngemeinde vor Ort nicht
       besonders. Das nahm auch Melnikowa wahr: „Nach vier Jahren vom Publikum so
       herzlich aufgenommen zu werden, das ist das Beste, was es für einen
       Sportler geben kann,“ sagte sie. Was die Turngemeinde zur Kenntnis nehmen
       muss, ist, dass die Konkurrenz wieder größer ist. Aus turnerischer Sicht
       war Melnikowas Auftritt sehr beeindruckend.
       
       Es war eine verspätete Rückkehr Russlands. Bereits seit Januar 2024 hätte
       man die Möglichkeit, beim Internationalen Turnerbund (FIG) Anträge auf den
       AIN-Status zu stellen. Doch anders als zum Beispiel die Sparte Trampolin,
       die mit einer Russin auch bei den Olympischen Spielen in Paris vertreten
       war, [2][hatten die Turner die diesbezüglichen Bedingungen für inakzeptabel
       erklärt]. Zu Beginn dieses Jahres änderte man seine Meinung und stellte
       hundert Anträge, von denen Anfang März einige positiv beschieden wurden,
       darunter jener von Angelina Melnikowa.
       
       Aus Protest gegen „zahlreiche ungerechtfertigte und voreingenommene
       Ablehnungen“ seitens der FIG zog der russische Verband im Frühjahr dann
       seine Aktiven erneut von Weltcups zurück. Man erklärte, dies sei eine
       Entscheidung der Aktiven – aus Solidarität mit den abgelehnten
       Teamkameraden. „Die FIG bedauert die Entscheidung des russischen
       Turnverbandes“ lautete damals die prompte Stellungnahme aus der Lausanner
       Zentrale. Man darf annehmen, dass im Hintergrund etliche Gespräche geführt
       worden sind, denn im September startete Angelina Melnikowa dann bei einem
       Weltcup und wurde nun zur erfolgreichsten Turnerin der WM. Man sei „sehr
       happy“ über die Rückkehr, erklärte FIG-Generalsekretär [3][Nicolas
       Buompane] in Jakarta.
       
       ## Kandidatin der Putin-Partei
       
       Allerdings bleiben Fragen. Angelina Melnikowa ist 25 Jahre alt, sie
       betreibt eine eigene Turnschule. Im Mai kandidierte sie in ihrer
       Heimatstadt Woronesch in Vorwahlen für den Stadtrat – für die Putin-Partei
       „Einiges Russland“. In einem Video erklärt sie dem geneigten Betrachter,
       warum er ihr die eigene Stimme geben möge. Im Juli erklärte sie dann auf
       Telegram, die anstehenden Turnwettkämpfe ließen sich nicht dem Wahlkampf
       vereinbaren, sie ziehe ihre Kandidatur zurück.
       
       Abgelehnt hingegen wurde der AIN-Status zum Beispiel für Wiktoria
       Listunowa, ebenfalls Olympiasiegerin 2021. Als Motiv für die Ablehnung wird
       – inoffiziell auch von der FIG – auf eine Veranstaltung im Moskauer
       Luschniki-Stadion verwiesen, bei dem sie kurz nach Kriegsbeginn mit dem
       Z-Symbol auf der Trainingsjacke zu sehen war, damals noch minderjährig.
       
       Offiziell veröffentlicht der Weltverband weder, für welche Athleten Anträge
       vorliegen, noch Begründungen. „Es ist ein spezialisiertes Unternehmen, sie
       checken Social Media und Zeitungen, auch alte Photos und so was“, erklärte
       Generalsekretär Buompane in Jakarta auf Nachfrage zur Vergabepraxis, das
       sei „keine einfache Aufgabe“ und das Verfahren laufe komplett „außerhalb
       der FIG“.
       
       Fraglich ist auch, ob sich Russland als Mannschaft für die Olympischen
       Spiele 2028 wird qualifizieren können. Der lange Qualifikationsweg beginnt
       bereits im kommenden Sommer und führt nur über die Europameisterschaft.
       Doch bislang gilt auf Ebene der Europäischen Turnunion eine Sperre für
       russische Aktive.
       
       26 Oct 2025
       
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