URI: 
       # taz.de -- Die Wahrheit: Amsel, Broiler, Fink und Star
       
       > Die Vogelgrippe grassiert gerade wie in jedem Herbst. Aber 2025 fliegen
       > auch Galgenvögel durch den deutschen Luftraum, der gesperrt werden soll.
       
   IMG Bild: Bequem gemacht hat es sich ein Broiler auf einer Bierdose
       
       „Der Broiler ist der einzigste Vogel, der in Deutschland nicht geschützt
       wird“, schmatzt der rechte Landespolitiker Uwe Schnätzger aus
       Mecklenburg-Vorpommern empört und vertilgt öffentlich aus Protest gegen die
       Tötung deutscher Nutztiere schon sein drittes Brathähnchen. Genau wie beim
       wurschtigen bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder dient das
       fetischhafte Gefresse einem politischen Ziel. Während überall in
       Deutschland massenhaft Geflügel aus heimischer Freilandhaltung gekeult
       wird, um die Ausbreitung der grassierenden Vogelgrippe einzudämmen, will
       der ornithologiepolitische Sprecher der AfD bis Ende des Monats sämtliche
       Zugvögel ausweisen, um die Piepmätze vor dem ausländischen H5N1-Virus zu
       schützen.
       
       Als wir den Hendl-Gourmet fragen, ob die fliegenden Sommergäste unsere
       Breiten in dieser Jahreszeit nicht ohnehin freiwillig zu verlassen pflegen,
       bewirft uns der gesichert übergewichtige Rechtsextreme mit Hühnerknochen.
       Aus Knochenorakeln wie diesen glaubt der überzeugte Artamane die Zukunft
       Deutschlands und seine Blutfettwerte lesen zu können.
       
       „Wir müssen zurück zur schlichten Artenreinheit, die unser schönes
       Volkslied vorgibt: Brathuhn, Amseldrossel und Finkenstar“, umreißt der
       AfD-Politiker die Ausmaße des Remigrationsprojekts sowie seines
       vogelkundlichen Sachverstands. „Wer in Deutschland nicht deutsch piept,
       soll Deutschland verlassen. Die Fremdvögel müssen alle raus. Besonders
       vollverschleierte Türkentauben und alimentierte Messelrallen.“ Zumindest
       Letztere sind zwar seit über 20 Millionen Jahren ausgestorben, aber
       Geschichtsklitterung und alternative Fakten gehören zum Erbgut der Partei
       wie Saurier-Gene in die DNS heutiger Vögel.
       
       „Nur wenn wir endlich den ungehinderten Zuzug von Seuchenvögeln stoppen,
       können wir unsere eigene Brut retten“, doziert der komische Kauz mit vollem
       Mund. „Besonders die Balkanroute und der westeuropäische Zugweg müssen
       sofort dicht gemacht werden. Und der Familiennachflug von osteuropäischen
       Billigfliegern muss gestoppt werden. Wir dürfen uns keine weiteren
       Kuckuckskinder ins Nest legen lassen“, würgt er nach dem vierten Broiler
       ein unappetitlich riechendes biologistisches Gewölle heraus.
       
       ## Volksdeutsche Vögel
       
       Sogar altgediente Saisonkräfte wie die vorbildlich in den hiesigen
       Bildungskanon integrierten Kraniche des Ibykus und die Nachkommen vor
       Generationen eingewanderter Nilgänse und Pekingenten hat Schnätzger im
       Visier. Ausnahmen will er nur für lupenrein national geprägte Graugänse
       gelten lassen, die nach Konrad Lorenz oder Nils Holgersson als
       volksdeutsche Vögel gelten.
       
       „Die anderen scheißen bloß alles voll und machen das Stadtbild kaputt“,
       paraphrasiert Schnätzger das längst geflügelte Kanzlerwort und beruft sich
       auf angeblich pappsatte Mehrheiten in der Bevölkerung. Tatsächlich steht
       der Sprecher des Arbeitskreises „Geflügel und Gelichter in der AfD“ im
       Mittelpunkt bundesweiten Medieninteresses, seit er gefordert hat,
       ausländischen Zugvögeln Überflugs- und Landerechte in deutschen Auen zu
       verweigern. Denn was heute irgendein AfD-Hinterbänkler im Fresskoma
       halluziniert, kann schon morgen Regierungspolitik werden, wenn Friedrich
       Merz rechtzeitig Wind davon bekommt.
       
       Zu Schnätzgers Pressekonferenz auf dem Hühnerfriedhof einer Geflügelfarm im
       mecklenburgischen Weiler Bekassin sind jedenfalls nicht nur
       Berichterstatter einschlägiger Fachblätter wie Der Hühnerposten, Hot Chicks
       Illustrated und Hackordnung – Magazin für Marktwirtschaft und Freiheit,
       sondern auch Vertreter von Qualitätsmedien wie Beef! und Bild gekommen.
       
       Einfühlsam lauschen die Journalisten den H5N1-Skeptikern, die Uwe
       Schnätzger beim Solidaritätsbankett zugunsten bedrohter Broiler
       unterstützen. Nicht nur die gekeulten Hühner werden am Spieß gebraten, auch
       verendete Kraniche landen auf dem Grill. Die Stimmung ist ausgelassen
       paranoid.
       
       ## Erreger aus Geheimlaboren
       
       „Endlich wieder eine Pandemie, die man leugnen kann“, freut sich ein
       Mittfünfziger, der sich seit Corona mit dem Bestreiten von Mondlandung,
       Bluthochdruck und Holocaust durchgeschlagen hat. Gesundheitliche Bedenken
       haben die Schlemmenden nicht. Für manche ist das Virus schlicht eine
       Erfindung des veterinärmedizinischen Friedrich-Loeffler-Instituts, andere
       glauben, der Erreger sei in Geheimlaboren der veganen Lebensmittelindustrie
       gezüchtet worden.
       
       Irgendwie muss die Kunde vom skrurrilen Autodafé der ornithologischen
       Querdenker den Kanzler erreicht haben. Keine zwei Stunden später tritt
       Friedrich Merz mit frisch ondulierter Sorgenfalte vor die Kameras und
       kündigt Schutzmaßnahmen an, um den Gefühlen der tief besorgten Bevölkerung
       Rechnung zu tragen und sämtliche AfD-Forderung umzusetzen: Zugvögel ohne
       gültige Landeerlaubnis werden abgeschoben, der gesamte deutsche Luftraum
       wird für gefiederten Luftverkehr gesperrt. Bahnhofsvorplätze werden von
       Bordsteinschwalben und Straßentauben gesäubert, Sozialleistungen für
       Unglücksraben gekürzt – als erster Schritt aber wird eine Stallpflicht für
       queere Turteltäubchen eingeführt.
       
       Mit Umsetzung der Maßnahmen wird der stets lustige Innenminister Alexander
       „Papageno“ Dobrindt beauftragt, der als oberster Bundesvogelfänger endlich
       wieder farbenfrohe Jacketts tragen darf. „An Deutschlands Schlagbäumen
       stehen schon jetzt genug Uniformierte beschäftigungslos herum, um seltsame
       und andere Galgenvögel aus dem Grenzverkehr zu ziehen“, erläutert Dobrindt
       mit großem Heißahopsassa.
       
       Die Lufthoheit über den Flugplätzen soll die Bundespolizei verteidigen, die
       ohnehin mit ihren neuen Multikoptern üben muss, bevor Russlands Drohnen
       wieder schwärmen. Falls dennoch ein gefiederter Feind deutsche Sphären
       bedrängt, will die Regierung die Bundeswehr einsetzen, um mit Kanonen auf
       Spatzen schießen zu lassen.
       
       3 Nov 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Bartel
       
       ## TAGS
       
   DIR Vogelgrippe
   DIR Vögel
   DIR Grillen
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Briefe
   DIR Bäume
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die Wahrheit: Die Literaturfledderer
       
       Wenn selbst das Buch der Buchpreisgewinnerin derzeit nicht gedruckt
       vorliegt, dann muss der Inhalt eben mit Laiendarstellern nachgespielt
       werden.
       
   DIR Die Wahrheit: Koloniales Aroma mit Geschmäckle
       
       Die Philippinen-Woche der Wahrheit: Hugo Röppner, Olaf Scholz und die
       International Manila Envelope Society. Eine wahre investigative Recherche.
       
   DIR Die Wahrheit: Massaker im Morgengrauen
       
       Seit die Weihnachtsbaumbranche steigende Tannenpreise angekündigt hat,
       eskaliert der Konkurrenzkampf in deutschen Wäldern.