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       # taz.de -- Abo-Strategie der New York Times: Brottext und Spiele
       
       > Hat die „New York Times“ das Rezept gefunden, wie unabhängige Medien
       > überleben können? Schaut man auf die Zahl der Nachahmer, ist die Antwort
       > klar.
       
   IMG Bild: Berlin, September 2019: Christine Lambrecht (SPD), einst Justizministerin, hatte die Kombi von Politik und Spielen schon raus
       
       Die New York Times (NYT) ist in der Medienwelt etwas Besonderes. Nicht
       unbedingt wegen ihrer Berichterstattung, sondern weil sie wächst und stetig
       weitere Abos generiert. Für viele andere Medien klingt das utopisch. Ein
       Grund für das Wachstum sind [1][die Spiele, die die Zeitung] anbietet. 2022
       zahlten [2][über eine Million Menschen für Games-Only-Accounts.] Bis 2027
       will das Medienunternehmen 15 Millionen Spieleabos generieren und sagt, es
       wäre jetzt schon nahe dran. Ausschlaggebend für diesen Erfolg und die
       unglaublich wirkende Prognose ist hauptsächlich ein Spiel: Wordle.
       
       Wordle ist kein Actionspiel, keines mit verrückten Grafiken und einer
       Storyline. Wordle ist einfach nur ein Spiel, bei dem man nach einem
       Lösungswort sucht. Fünfmal darf man ein Wort eingeben. Falsche Buchstaben
       werden markiert, ebenso wie Buchstaben, die im Wort vorkommen, aber an
       einer anderen Stelle. 2022 war Wordle das meistgesuchte Wort auf Google. So
       einfach, so erfolgreich.
       
       Dabei hat die NYT das Spiel nicht selbst entwickelt, sondern es für einen
       niedrigen siebenstelligen Betrag vom Entwickler [3][Josh Wardle] gekauft,
       um das eigene Spieleangebot auszubauen. Wardle veröffentlichte das Spiel im
       Oktober 2021. Schnell spielten es 300.000 Menschen. Im ersten Quartal 2022
       lag laut NYT die Spielerzahl bereits im zweistelligen Millionenbereich.
       
       „Unsere Lifestyle-Produkte sind wirklich ein wichtiger Bestandteil unserer
       Strategie“, [4][sagt Jonathan Knight,] Chef der Spieleabteilung bei der
       NYT, im Jahr 2024, also zwei Jahre nach dem Wordle-Start Die Spiele sollen
       für Abonnentinnen und damit Geld sorgen, aber auch Nutzer an die eigene
       Marke binden. „Abonnenten, die sich in einer bestimmten Woche [5][sowohl
       mit Nachrichten] als auch mit Spielen beschäftigen, weisen das stärkste
       langfristige Abonnentenbindungsprofil aller Abonnenten der Times auf“, so
       Knight.
       
       ## Der Bruder das Papstes
       
       Es gibt bei der NYT nicht nur Wordle, sondern verschiedene weitere Spiele,
       die meist in der ein oder anderen Form schon bekannt waren. Fast alle diese
       Spiele sind erfolgreich, wie von der NYT veröffentlichte Zahlen zeigen, und
       haben auf Online-Plattformen wie Reddit eigene Fangruppen, in denen sich
       Spieler gegenseitig Tipps geben. Bei „[6][Connections]“ etwa müssen Spieler
       16 Wörter in vier Kategorien einsortieren. Bei [7][„Spelling Bee“] bekommt
       man sieben Buchstaben und muss so viele Wörter wie möglich erschaffen. Auch
       hier ist der Hype riesig.
       
       Die besondere Bedeutung von Wordle zeigt sich daran, wie tief die
       Begeisterung dafür in die verschiedenen Ebenen der Gesellschaft
       eingedrungen ist. Der Bruder des Papstes erzählt [8][in einem Interview,]
       dass sie bis heute jeden Tag gemeinsam spielen würden. Leo XIV. verpasse
       keinen Tag. Kamala Harris nannte Wordle einen „Gehirnreiniger“ und auch
       Camilla, Ehefrau des britischen Königs Charles III. [9][spielt das
       Wortfindungsspiel.]
       
       Die Begeisterung für das Spieleangebot ist zu einer Grundstütze des
       Medienhauses geworden. 2024 hatte die NYT ingesamt ungefähr 10 Millionen
       Abonnenten, davon eine Millionen, die das Spieleabo hatten. Eine Strategie
       ist jedoch, neuen Kunden nicht nur das Spielabo zu verkaufen, sondern
       [10][Bundle-Abos], die neben Spielen auch den Journalismus und die anderen
       Extra-Angebote haben, wie Jonathan Knight erklärt: „Wir gewinnen immer mehr
       neue Abonnenten, die zuvor ein Spiel-Abonnement abgeschlossen haben, und
       bieten ihnen das „All Access“-Paket an, das unserer Meinung nach ein
       besseres Angebot ist und ihnen Zugang zu mehr Produkten bietet, mit denen
       sie sich beschäftigen können.“ Außerdem trägt das Spielangebot zu einem
       großen Teil zur Bekanntheit bei. Menschen, die sich für Politik und
       Journalismus interessieren, kennen die New York Times so oder so. Menschen,
       die das nicht tun, kommen vielleicht zuerst zur NYT für die Spiele und
       lernen danach erst alles andere kennen.
       
       Nach dem Erfolg der NYT bauten auch andere Medienhäuser ihr Spielangebot
       aus. In den USA bietet die Zeitschrift [11][Atlantic Spiele] an, die
       intellektueller sind und damit eine andere Zielgruppe ansprechen. Das
       Besondere ist außerdem der Versuch, eine „ästhetische Erzählkomponente“
       einzubauen, sagt Caleb Madison, Leiter der Rubrik „Spiele“ [12][in einem
       Interview mit The Verge.] Die Spiele bekommen ein schöneres Design, haben
       eine Erzählstruktur und sind nicht wie die Spiele der NYT auf kurze
       Nutzungen ausgelegt. Bis jetzt ist dieser Versuch von mäßigem Erfolg
       gekrönt. Auf Reddit finden sich noch keine Fangruppen – und der Bruder des
       Papsts spricht auch noch nicht davon.
       
       ## Dürftige Kreativität
       
       Der englische Telegraph schuf schon 2022 [13][„Britain’s biggest weekly
       puzzles section“] und bot extra dafür ein Spiele-Abo für knapp 5 Pfund an.
       Ein normales Abo kostet mindestens 20 Pfund im Monat. Auch der Guardian
       zieht inzwischen nach und bietet in einer eigenen App seine Spiele und
       Puzzle an.
       
       Auch in Deutschland springen immer mehr Medienhäuser auf diesen Zug auf.
       Enrique Tarragona, Chief Product Officer Digital der Zeit, [14][sagte in
       dem Podcast „Subscribe Now“], dass „Spiele-, Podcast- und andere
       Vertical-Abos keine kleinen `Hobby-Projekte`, sondern essenzieller Teil
       einer erfolgreichen Subscription-Strategie“ sind.
       
       Der Tagesspiegel sagte auf Nachfrage der taz, dass sie die Erfahrung
       gemacht haben, dass „kluge Spiele bei unseren Lesern zu einer intensiveren
       Auseinandersetzung mit unserem Journalismus führen“. Der Spiegel sagte der
       taz, dass „stabil über eine Million Unique User pro Monat“ die eigenen
       Spiele spielen würden. Bei der FAZ sind es nach eigenen Aussagen 100.000
       bis 150.000 Unique User, wobei aber auffalle, „dass die Zielgruppe deutlich
       überwiegend weiblich ist, was gegenüber der Gesamtheit der faz.net-Nutzer
       ungewöhnlich ist.“
       
       Beim Marketing, aber auch bei der Auswahl der Spiele sagten alle
       angefragten Medien der taz, dass sich in der nächsten Zeit viel verändern
       soll. Alle wollen diese Felder ausbauen: Mit Blick auf die dürftige
       Kreativität der aktuellen Spiele lässt sich sagen: Das ist auch nötig.
       Sicher, die Medien haben eigene Quizs oder Bilderrätsel, aber viele Spiele
       sind eingedeutschte Versionen der NYT-Spiele. Der Spiegel nennt Wordle
       weiterhin Wordle, bei der Zeit heißt das ganze [15][Wortiger]. Und die
       Spellingbee macht sie zur [16][„Buchstabenbiene“.]
       
       Auch werden die Spiele nicht so sehr beworben wie in US-Medien. Es gibt
       keine eigenen Spiele-CEOs, keine Werbung, die dezidiert für die eigenen
       Spiele ausgespielt wird und auch auf den Websites muss man sich oft bis ans
       Ende der Seite wühlen, bis man sie findet. Als würde eine große Strategie
       fehlen. Bei der NYT ist in jedem der Podcasts Werbung für die Spiele
       geschaltet. In den anderen Lifestyle-Angeboten wie dem Sport-Magazin oder
       dem Koch-Angebot weisen Querverweise auf die Spiele hin – und auch eine
       eigene App gibt es.
       
       Auch wenn die NYT keine Zahlen zu der Altersverteilung der Spieler
       veröffentlicht hat: Liest oder hört man zwischen den Zeilen, will die NYT
       wohl besonders junge Menschen abholen. Alle Werbungen im Audio-Bereich sind
       in einem ‚coolen‘ Ton gehalten, meistens mit der direkten
       Zielgruppenansprache an junge Menschen. Beiträge auf Instagram weisen
       darauf hin, dass das funktionieren könnte. Besonders junge Menschen
       berichten, sich ein Abo geholt zu haben, um beispielsweise auch das Archiv
       von Wordle nutzen zu können. Spiele könnten ein Tor sein, das junge
       Menschen zum Journalismus bringt.
       
       4 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://en.wikipedia.org/wiki/The_New_York_Times_Games
   DIR [2] https://www.nytimes.com/2024/05/08/business/media/new-york-times-earnings.html
   DIR [3] /medienticker/!5829590&s/
   DIR [4] https://www.youtube.com/watch?v=292hr1BhuxA
   DIR [5] https://www.duden.de/rechtschreibung/Brottext
   DIR [6] https://www.reddit.com/r/NYTConnections/
   DIR [7] https://www.reddit.com/r/NYTSpellingBee/
   DIR [8] https://fortune.com/article/pope-leo-xiv-brother-vatican-catholic-church/
   DIR [9] https://www.theguardian.com/uk-news/2022/jun/19/camilla-duchess-of-cornwall-struggles-media-attention-wordle
   DIR [10] https://www.ifun.de/streaming-der-trend-geht-zu-bundle-abos-266476/
   DIR [11] https://www.theatlantic.com/games/
   DIR [12] https://www.theverge.com/news/687721/the-atlantic-games-hub-bracket-city
   DIR [13] https://www.telegraph.co.uk/puzzles/
   DIR [14] https://subscribe-now.beehiiv.com/
   DIR [15] https://spiele.zeit.de/wortiger/
   DIR [16] https://spiele.zeit.de/buchstabiene/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marc Tawadrous
       
       ## TAGS
       
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