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       # taz.de -- Ex-Insassin über Haasenburg-Heim: „Sie wollten uns neu programmieren“
       
       > Mona S. wurde von 2007 bis 2009 in einem Brandenburger Heim der privaten
       > Haasenburg GmbH gequält. Ihr Aufenthalt lässt sie seitdem nicht mehr los.
       
   IMG Bild: Erst anklopfen, dann fragen, ob man eine Frage stellen darf: Regeln in der Haasenburg
       
       taz: Mona S., wie war das, als Sie mit 16 Jahren in ein Haasenburg-Heim in
       kamen? 
       
       Mona S.: Ich wusste nicht viel, hatte nur gehört, das sei eine Art
       Ferienlager mit viel Freizeit. Aber dann wurde ich von einer ganzen Horde
       Erzieher in Empfang genommen und sofort angebrüllt, ich sollte die
       Zigarette ausmachen. Ich habe das getan und wollte die Kippe meinem Vater
       geben. Da haben sie sich auf mich gestürzt und gesagt, ich hätte versucht,
       ihn anzugreifen. Sie haben mich im Polizeigriff abgeführt, die Arme auf den
       Rücken gedreht. Ich durfte mich nicht von meinen Eltern verabschieden. Zu
       ihnen haben sie gesagt: „Sie werden Ihre Tochter nicht wiedererkennen. Die
       wird nie mehr widerspenstig sein.“
       
       taz: Wann haben Sie verstanden, wie das gemeint war? 
       
       Mona S.: Ziemlich schnell. Ich kam in Einzelisolation. Als der Tross mich
       zu meinem Zimmer brachte, musste ich anklopfen, obwohl da niemand drin war.
       Dann sollte ich fragen, ob ich reingehen darf. Als ich das tat, hieß es:
       Nein, erst musst du fragen, ob du eine Frage stellen darfst. Also noch mal
       von vorn: Anklopfen, fragen, ob ich eine Frage stellen darf, den Erzieher
       dabei immer mit Nachnamen ansprechen – und erst nach dieser Erlaubnis
       erneut fragen, ob ich eintreten darf.
       
       taz: Und dann? 
       
       Mona S.: In dem Zimmer war nichts als eine graue Matratze mit allen
       möglichen Flecken drauf, ein Gartentisch und ein Gartenstuhl.
       
       taz: Sie mussten auf der bloßen Matratze schlafen, ohne Bettzeug? 
       
       Mona S.: Ja, bei grellem Licht. Ich hatte nichts, womit ich die Augen
       bedecken konnte gegen das Licht.
       
       taz: Und wann haben Sie Bettzeug bekommen? 
       
       Mona S.: Das hat bestimmt zwei Wochen gedauert. Ich musste mir ja alles
       einzeln verdienen: das Kissen, einen Bezug, eine Bettdecke, einen Bettbezug
       und ein Spannbettlaken. Jedes Teil kostete einen Tages-Chip. Das war so
       eine Art Währung in der Haasenburg. Einen Tages-Chip konnte man sich
       verdienen, indem man sich über den Tag an die sogenannten
       [1][Verhaltenspunkte] hielt. Das waren individuell verhängte Anforderungen
       wie etwa: „Ich höre auf die Erzieher und widerspreche nicht.“.
       
       taz: Im Sammelband „Jenseits des Kindeswohls“ schildern Sie auch brutale
       körperliche Übergriffe durch das Haasenburg-Personal. Waren die schlimmer
       oder die alltägliche totale Kontrolle?
       
       Mona S.: Das ist schwer zu trennen, das gehörte beides zu einem System.
       
       taz: Klingt wie aus einem dystopischen Roman. 
       
       Mona S.: Ja, sie wollten praktisch unsere Festplatte löschen und uns neu
       programmieren. Aber das hat nicht funktioniert. Bei unserem zweiten
       Ausbruchsversuch ist meine Zimmernachbarin Lisa [2][vom Dach abgestürzt und
       ums Leben gekommen]. Danach habe ich mich angepasst, um weniger Stress zu
       haben. Aber nichts von dem, was ich in der Haasenburg gelernt habe, hat mir
       später im Leben irgendwas genützt. Gar nichts!
       
       taz: Ist das eine Geschichte, die Sie nicht mehr loslässt? 
       
       Mona S.: Ja, klar. Ich spreche und schreibe viel darüber. Das ist auch eine
       Art Therapie für mich. Ich habe viel Kontakt mit ehemaligen Insassen. Und
       ich kenne niemanden, der das halbwegs unbeschadet überstanden hätte. Viele
       sind im Knast oder in der Psychiatrie. Viele nehmen Drogen. Einige sind
       tot.
       
       taz: Und wie geht es Ihnen heute? 
       
       Mona S.: Ich bin aus der Prostitution ausgestiegen und bekomme
       Ersatzdrogen. Seit drei Jahren mache ich zum Glück eine Traumatherapie. Es
       ist nicht alles gut, aber ich arbeite daran.
       
       taz: Was fordern Sie von den damals beteiligten Behörden? 
       
       Mona S.: Dass unser [3][Leid anerkannt] wird. Dass uns zugehört wird. Was
       wir zu sagen hatten, hat nie eine Rolle gespielt. Die Haasenburg-Geschichte
       muss aufgearbeitet werden. Und wir müssen eine Entschädigung bekommen, wie
       die Opfer der [4][DDR-Jugendwerkhöfe]. Da haben ja [5][ganz ähnliche
       Verhältnisse] geherrscht. Viele von uns haben schwere Schäden
       davongetragen. Das kann man mit Geld nicht ungeschehen machen. Aber Geld
       kann helfen, die Folgen zu lindern. Ich zum Beispiel bezahle meine Therapie
       selbst, weil die Kasse sie nicht übernimmt.
       
       28 Oct 2025
       
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