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       # taz.de -- Film über Josef Mengele: Sein Hund hört ihm noch zu
       
       > Kirill Serebrennikow versucht in seinem Film „Das Verschwinden des Josef
       > Mengele“ das Porträt eines NS-Täters zu zeichnen. Erkenntnisse zu
       > Mengeles Haltung liefert er kaum.
       
   IMG Bild: Untergetaucht in Südamerika: Josef Mengele (August Diehl)
       
       Eine Tätergeschichte darf kein Heldennarrativ sein. Das ist Voraussetzung.
       Das Kino darf Täter:innen, insbesondere den uneinsichtigen, keinen Raum
       lassen, um sich (und ihre menschenverachtenden Ideologien) auszubreiten.
       Erzählen muss es sie und ihre Taten aber schon. Denn die Täter:innen
       sind lebenslang mit den Opfern und ihrem Leid verbunden, es wäre
       Geschichtsverfälschung, das zu verschweigen.
       
       Und, der bitterste Grund, im Gegensatz zur Qual der Opfer ist
       Täterverhalten kaum oder gar nicht nachvollziehbar. Um dennoch zu
       begreifen, dass es vorkommt, um auszuschließen, dass es sich wiederholt,
       kann eine Tätergeschichte also hilfreich sein.
       
       Weil das Heldennarrativ eines der Fundamente des Kinos ist und das Publikum
       seine Protagonist:innen meist automatisch als Held:innen wahrnimmt –
       schließlich basieren viele Filme auf der archetypischen Grundstruktur der
       Heldenreise –, sind die Beziehungen zwischen Porträt, Heroisierung und
       Sprecherperspektive komplex.
       
       Nach dem Holocaust wurde vielfach versucht, von den monströsen Taten der
       Deutschen zu berichten, ohne sich den Vorwurf einzufangen, man unterläge
       einer Faszination. Neben [1][Claude Lanzmann] ist das vor zwei Jahren dem
       Briten [2][Jonathan Glazer besonders gut gelungen – sein „The Zone of
       Interest“] war ein beklemmendes Täterprofil, kein Porträt; seine indirekte,
       über die Tonebene gehende Veranschaulichung der Verbrechen, die unter
       Rudolf Höß’ Kommando in Auschwitz begangen wurden, verzichtete sogar
       weitgehend auf die Präsentation fiktionaler Opfer. Denn eine fiktionale
       Beschreibung kann dem wahren Horror eh nie gerecht werden.
       
       ## Film spielt in den 50er Jahren
       
       Der russische Regisseur Kirill Serebrennikow, der sich bereits einigen
       Menschen über Porträts genähert hat – sein Theaterstück über Rudolf Nurejew
       wurde im homophoben Russland geächtet; seine Filme [3][„Leto“ über den
       Rockmusiker und Dichter Wiktor Zoi] und „Madame Tschaikowski“ liefen in
       Cannes –, hat für seine filmische Adaption eines Romans über den
       Kriegsverbrecher Josef Mengele ebenfalls die Distanz gewählt: Sein
       schwarz-weißer Film spielt in den 50ern, in denen Mengele, der über die
       „Rattenlinie“ nach Argentinien flüchtete, unter falschem Namen dort lebt;
       und in den 70ern, als Mengeles Sohn ihn noch einmal besuchen kommt.
       
       In den 50ern zeigt der Film August Diehl als Mengele vor dem Spiegel, er
       streicht sich über den nackten Körper und kneift sich in den Hintern. 1977
       schimpft er vor dem Fernseher auf die Amerikaner, die die „deutsche Kultur
       ausrotten“, und sagt zu seinem Hund „Wir haben’s ja versucht!“.
       
       Serebrennikow zeigt Mengele bei rammelndem Sex mit der Frau, auf deren Hof
       er wohnt, Mengele beleidigt sie danach. Er schwingt Sprüche, an denen er
       sich festhält: „Gewissen ist eine Krankheit, die sich schwache Menschen
       ausgedacht haben, um das Handeln zu blockieren und den Willen lahmzulegen.“
       
       ## Ambivalente Gefühle
       
       Diehl spielt ihn, ohne sich anzubiedern und mit einer sturen Hingabe, die
       zur Verbohrtheit des Mörders zu passen scheint. Dennoch verursacht
       Serebrennikows Werk ambivalente Gefühle: Wieso spricht niemand der
       Deutschen einen Akzent, der die Herkunftsunterschiede der Täter aufgreifen,
       und damit Deutschlands Intention des „einig Vaterlands“ deutlich machen
       würde?
       
       Wieso gibt es inszenierte 16-mm-Farbsequenzen der von Mengele
       durchgeführten, grausamen Experimente an Menschen, die so echt wirken, dass
       ausländische Kritikerkolleg:innen sie für historisches Material
       hielten? Was soll mit der körperlichen Nähe erreicht werden, die der Film
       herstellt?
       
       „Das Verschwinden des Josef Mengele“ ist kein Heldennarrativ. Aber der Film
       liefert auch kaum Erkenntnisse zu Mengeles Haltung oder Taten. Stattdessen
       bleibt das Gefühl, dass Mengele, wie so viele seiner Landsleute, verdrängen
       konnte, was passiert ist. Und das ist weder überraschend, noch hilft es
       weiter.
       
       23 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jenni Zylka
       
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