# taz.de -- Wiederaufbau in Ost und West: Kalter Krieg der Architekten
> International wie beim Bauhaus? Oder Zuckerbäckerstil wie in Moskau? Eine
> sehenswerte Ausstellung zeigt nun, wie Ost und West um die Wette bauten.
IMG Bild: Ausstellung Ost West Ost im U-Bahnhof Weberwiese
taz | „Tanz, Kreisel, tanz, die Straß' ist wieder ganz“, ging ein
Kinderlied in der Berliner Nachkriegszeit. Gemeint war der Wiederaufbau der
Großen Frankfurter Straße, die 1949 den Namen Stalinallee bekam. Das
Ensemble im Stil des sozialistischen Zuckerbäckerstils, das vom
Strausberger Platz über das Frankfurter Tor zur Proskauer Straße reichte,
war bei seiner Fertigstellung in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre das
wohl beeindruckendste Beispiel des Wiederaufbaus im vom Bombenkrieg
gezeichneten Berlin.
Und es war der ganze Stolz der neuen Hauptstadt der DDR. Ein
sozialistischer Prachtboulevard war da aus den Trümmern emporgewachsen, das
Schaufenster eines anderen, besseren Deutschlands. Mehr als zwei Kilometer
zählte die Stalinallee, 2.500 Wohnungen waren entstanden – mit Fahrstühlen,
Müllschluckern, Stuckdecken, Parkettböden, Doppelfenstern, Klingelanlagen,
Warmwasserversorgung und Zentralheizung. Arbeiterpaläste also statt der oft
beklagten „Hütten“, die die Mietskasernenstadt für die Werktätigen
bereithielt.
Und elegant war der Boulevard auch noch. Ein Plakat lädt ein zum Bummel
„mit der Linie E zu den Verkaufsstellen der HO u. des Konsums in der
Stalinallee“. Das Angebot reichte vom Kinderkaufhaus bis zur Milchbar und
dem Haus der Stoffe. Es gab Schuhläden, Feinkost, Damenmode, Bücher.
Die Geschichte der Stalinallee, die 1961 in Karl-Marx-Allee umbenannt
wurde, ist seit Dienstag in den U-Bahnhöfen Weberwiese und Schillingstraße
allgegenwärtig. [1][„Ost-West-Ost. Berliner Nachkriegsmoderne“] heißt die
Schau, die das Landesdenkmalamt in Zusammenarbeit mit Bürgervereinen wie
dem [2][Nachbarschaftsrat KMA II] entwickelt hat. „Die Karl-Marx-Allee“,
sagte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner zur Eröffnung, „steht
wie kaum ein anderer Ort für die Brüche und Widersprüche Berlins im 20.
Jahrhundert.“
Denn der Kreisel, den die Kinder in ihrem Lied besingen, tanzte manchmal
aus der Reihe. Nicht nur wegen des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 und
den Demonstrationen auf der Stalinallee, auf die Kai Wegner in seiner Rede
hinwies. Die Geschichte des sozialistischen Boulevards ist auch die
Geschichte eines internen Ringens um die Werte und die Gestalt einer
zeitgemäßen Architektur der Nachkriegszeit. International wie beim Bauhaus?
Oder Zuckerbäckerstil wie in Moskau?
## Architekturstreit in der DDR
Zunächst hatte das Bauhaus die Nase vor. Noch vor der Gründung der DDR und
der Bundesrepublik 1949 und damit der administrativen und politischen
Teilung Berlins, hatte der Stadtbaurat des Magistrats Hans Scharoun im
Auftrag der sowjetischen Stadtkommandantur einen sogenannten Kollektivplan
erarbeitet. „Orientiert an der Charta von Athen“, heißt es in einem
[3][Video auf der Website der Ausstellung], sah der Plan „eine gegliederte,
grüne, autofreundliche Stadt“ vor.
Auch das erste Bauvorhaben in der Stalinallee atmet den Geist des Plans.
Von 1949 bis 1951 errichtete die Architektin Ludmilla Herzenstein, die zu
Scharouns Kollektiv gehörte, am Eingang des heutigen U-Bahnhofs Weberwiese
die sogenannte „Wohnzelle Friedrichshain“. Ganz in der Tradition des
Bauhauses entstanden zwei schmucklose Wohnbauten, die durch Laubengänge
erschlossen wurden. Sollte das die Antwort des Ostens auf den
Kurfürstendamm sein?
Man kann sich die Wut in den Gesichtern und die Faust in der Tasche der
DDR-Architekten und Funktionäre gut vorstellen, die als Reaktion darauf
[4][1950 nach Moskau] reisten – und mit 16 Grundsätzen des Städtebaus in
der Tasche zurückkamen. Diese Grundsätze, die sich auch der DDR-Machthaber
Walter Ulbricht zu eigen machte, hatten es in sich. Statt internationalem
Bauhausstil wurden nun „nationale Traditionen“ großgeschrieben. Und der
Moskauer Zuckerbäckerstil wurde nach Ost-Berlin importiert.
Erstes bauliches Beispiel der Architekturwende rückwärts war Hermann
Henselmanns Hochhaus an der Weberwiese. 1952 fertiggestellt, bildete es den
Startschuss für die sozialistische Prachtstraße Stalinallee. Die am Bauhaus
orientierten Architekten hatten den Kürzeren gezogen – und die „Wohnzelle
Friedrichshain“ wurde verschämt hinter einer Reihe Pappeln versteckt. All
das zeigt der Ausstellungsteil im U-Bahnhof Weberwiese.
Der Machtkampf zwischen Bauhausarchitekten, zu denen auch viele Absolventen
der TH Charlottenburg gehörten, und denen, die vom sowjetischen Stil des
sozialistischen Klassizismus inspiriert wurden, war auch ein Ringen um das
Selbstverständnis des jungen Staates DDR. Sollte er sich öffnen und auch im
Austausch mit Kollegen und neuen Trends aus westlichen Ländern stehen? Oder
wollte man sich, wie in Stalins Moskau, auf sich selbst besinnen und damit
zugleich abschotten?
## Neue Weisung der Sowjetunion
Fragen wie diese standen 1956 erneut auf der Tagesordnung. Kaum war die
Stalinallee fertig, rechnete Chruschtschow auf dem 20. Parteitag der KPdSU
mit den Verbrechen des drei Jahre zuvor gestorbenen Stalin ab. In der DDR
standen die Funktionäre unter Schock. Doch Chruschtschow trat nicht nur
Stalin in die Tonne, sondern auch dessen Architektur. Aus Moskau kam fortan
die Weisung, nicht mehr prunkvoll und teuer zu bauen, sondern preisgünstig,
das heißt seriell.
Und dann machte 1957 auch West-Berlin von sich reden. Auf der ersten
Internationalen Bauausstellung, der [5][Interbau im Hansaviertel], erlebte
die Idee einer aufgelockerten Stadtlandschaft ihre Wiederauferstehung. Die
DDR-Führung stand unter Zugzwang. Das Ergebnis ist im U-Bahnhof
Schillingstraße – und auch darüber – zu sehen. Mit dem zweiten Bauabschnitt
der Karl-Marx-Allee kehrte die DDR zwischen Strausberger Platz und
Alexanderplatz zur Moderne zurück.
Vor allem die fünf Pavillons, heißt es in der Ausstellung, bildeten ein
viel gelobtes „festlich-heiteres Architektur-Ensemble“. „Die
lichtdurchfluteten Kuben sind als Verkaufs- und Ausstellungshallen
konzipiert, sie bieten: Damenmode im Salon ‚Madeleine‘, Blumen und Pflanzen
im Laden ‚Interflor‘, Kunsthandwerk im ‚Kunst im Heim‘ und Schuhmode im
‚Schuhhaus Zentrum‘. Im Kosmetiksalon ‚Babette‘ kann die moderne Frau
Pflege- und Kosmetikprodukte oder Düfte erwerben und Anwendungen genießen.“
Auch die Nationalitätenrestaurants wie das Café Moskau oder das Kino
International erregten Aufmerksamkeit. Der neue Move im Osten wurde auch in
der Westpresse zur Kenntnis genommen. Dort hieß es unter anderem, man habe
„in Ost-Berlin […] vom West-Berliner Hansaviertel gelernt.“
War der Kalte Krieg der Architekten damit zu Ende? Natürlich nicht. Ein von
Ost- und Westberliner Architekten gemeinsam erarbeiteter Plan für den Bau
des neuen Wohngebiets am Fennpfuhl in Lichtenberg wurde nicht realisiert.
In beiden Teilstädten war Zusammenarbeit nicht mehr erwünscht. Und mit dem
Mauerbau 1961 waren ohnehin die Verbindungen gekappt.
Ost-West-Ost ist eine kluge, informative und – fast unzeitgemäß – in die
Tiefe gehende Ausstellung. Erinnert wird nicht nur an die Stalinstatue auf
der Allee, die erst 1961 geschleift wurde, sondern auch an die [6][Deutsche
Sporthalle, die Richard Paulick schon 1951 fertiggestellt hatte]. Nur 20
Jahre später war sie baufällig und musste abgerissen werden. Zur
Ausstellung über die Geschichte der Karl-Marx-Allee in den Zwischenebenen
kommen noch ein History Walk mit 24 Stationen sowie künstlerische
Positionen von vier FotografInnen auf den Bahnsteigebenen.
## Keine aktuellen Bezüge
Schade ist allerdings, dass die neue Dauerausstellung mit dem zweiten
Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee endet. Zu Ende war der Architekturstreit
damit nämlich nicht. Nach Wende und Wiedervereinigung ging es vielen, auch
hervorragenden Bauten der DDR-Nachkriegsmoderne – wie dem Ahornblatt auf
der Fischerinsel – an den Kragen. Auch die Karl-Marx-Allee war von diesem
neuerlichen Wunsch nach Tabula Rasa betroffen.
1995 stellte der damalige Bausenator Peter Strieder (SPD) ein sogenanntes
Planwerk Innenstadt vor, mit dem der zweite Bauabschnitt der
Karl-Marx-Allee ähnlich verschämt versteckt und zugestellt werden sollte
wie die „Wohnzelle Friedrichshain“ mit der Pappelreihe vor den
Laubengängen. In seiner Rede zur Ausstellungseröffnung erwähnte Strieders
Nachnachfolger Christian Gaebler diese Pläne nicht. Er sagte nur: „Die
Ensembles Karl-Marx-Allee und Hansaviertel bestechen durch ihren Städtebau,
ihre Architektur und ihren öffentlichen Raum.“
Nicht nur das Ringen um die Architektur ist also gegenwärtig, fortgesetzt
soll auch „Ost-West-Ost“ werden. Derzeit arbeite man an einem Antrag, nicht
nur die Bahnhöfe Schillingstraße und Weberwiese zu Ausstellungs- und damit
Kulturbahnhöfen umzugestalten, verriet Christoph Rauhut, Landeskonservator
und Direktor des Landesdenkmalamtes. Auch der Bahnhof Hansaplatz soll in
einigen Jahren Teil des Projekts werden – und über die Interbau 1949 im
Hansaviertel berichten.
Darüber hinaus kündigte Rauhut an, sich mit den Ensembles Karl-Marx-Allee
und Hansaviertel um das Kulturerbe-Siegel der Europäischen Union zu
bemühen. Ein entsprechender Vorstoß, damit auf die Welterbeliste der Unesco
zu kommen, war vor zwei Jahren nach zehnjähriger Vorarbeit gescheitert.
Verdient hätte Berlin eine solche Auszeichnung. Denn der Kreisel tanzt noch
immer. Und noch immer ringen Architektinnen und Architekten um Antworten
auf die Frage: Wie wollen wir wohnen? Eine Kontroverse zwischen Ost und
West, das macht die Ausstellung trotz des Titels deutlich, war das nur
vordergründig. Die dahinter hervor scheinende Debatte um Abschottung und
Öffnung dagegen ist nach wie vor virulent.
Ost-West-Ost: Ausstellung, History-Walk, künstlerische Positionen in den
U-Bahnhöfen Schillingstraße und Weberwiese. Öffnungszeiten wie U5
22 Oct 2025
## LINKS
DIR [1] https://www.berlin.de/ost-west-ost-kulturbahnhoefe/
DIR [2] https://www.kma-mitte.de/partnerinnen/nachbarschaftsrat
DIR [3] https://www.berlin.de/ost-west-ost-kulturbahnhoefe/themen-der-ausstellung/artikel.1564990.php
DIR [4] https://www.berlin.de/ost-west-ost-kulturbahnhoefe/themen-der-ausstellung/artikel.1566499.php
DIR [5] https://de.wikipedia.org/wiki/Interbau
DIR [6] https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Sporthalle
## AUTOREN
DIR Uwe Rada
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