# taz.de -- Jüdisches Gedenken im KZ-Ravensbrück: Gekommen, um zu erinnern
> In Ravensbrück ermordeten die Nazis Tausende Jüdinnen und Juden, doch
> eine eigene Gedenktafel fehlte. Nun weihten Überlebende eine neue Stätte
> ein.
IMG Bild: Brandenburgs Kulturministerin Manja Schüle und die Überlebende Lili Leignel enthüllen in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück
„Vielleicht, vielleicht gibt es ein Morgen.“ Der Satz steht auf einer
steinernen, in den Boden gelassenen Steinplatte auf dem Gelände der
Gedenkstätte für das KZ Ravensbrück im nördlichen Brandenburg. Batsheva
Dagan hat ihn gesagt, eine jüdische Überlebende des Lagers, die erst im
letzten Jahr im Alter von 99 Jahren verstorben ist. 40 dieser Steinplatten
verteilen sich auf dem Gelände, fast alle sind sie mit Zitaten von Jüdinnen
und Juden beschriftet, die in Ravensbrück inhaftiert waren.
Weil sie aus den unterschiedlichsten Ländern Europas stammen, erscheinen
die Sätze in den verschiedensten Sprachen. Eine Platte blieb leer. Sie
steht für die Tausenden, die ermordet wurden, aber deren Namen nicht
bekannt sind.
Rund 250 Menschen sind am Donnerstag zur Enthüllung dieses historischen
Gesamtkunstwerks gekommen, darunter Überlebende, eine Landesministerin,
Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, und
eine ganze Schulklasse aus Potsdam. Kantor Benjamin Maroko spricht das
Kaddisch, das jüdische Totengebet an den steinernen Platten, die nicht
zufällig eine gewisse Ähnlichkeit mit Grabplatten aufweisen.
Neben jeder Platte stehen Überlebende oder deren Nachkommen, die nach dem
Gebet die weißen Tücher entfernen, die die Inschriften bis dahin verbargen.
Auch Josef Schuster hilft einer Inschrift zum Licht.
## Ein Ort der Erinnerung
Zuvor hatte Schuster noch in dem Zelt gesprochen, das als Versammlungsort
gedient hat. „Es ist gut, dass es nun, 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten
Weltkriegs, endlich einen Ort der würdigen Erinnerung für Überlebende,
Hinterbliebene und Nachfahren gibt.“ Ravensbrück, das sei „als Ort
jüdischen Leidens, doch genauso als Ort weiblicher Stärke, Würde und
Menschlichkeit tief eingebrannt ins kollektive jüdische Gedächtnis“, sagt
er.
Dabei ist es nicht so, als würde es im ehemaligen Frauen-KZ Ravensbrück an
Zeichen des Erinnerns mangeln. Zuallererst steht da am Ufer des Schwedtsees
die überlebensgroße Bronzefigur „Tragende“, eine Frau, die eine zweite,
schwächere mit sich schleppt. Will Lammert hat die Figur für die 1959
eröffnete nationale Mahn- und Gedenkstätte der DDR geschaffen. Die
„Tragende“ steht für das sozialistisch geprägte Bild der Solidarität unter
den Opfern des Faschismus, der Künstler war ein linientreuer DDR-Kommunist,
[1][der auch Wilhelm Pieck] ein Denkmal gesetzt hat. Dass ein Großteil der
Opfer in den KZ Jüdinnen und Juden waren, wurde weniger beachtet,
schließlich ging es darum, die Arbeiterklasse und die Kommunisten als
führend im Kampf gegen die Nazis darzustellen.
Das ist schon eine ganze Weile her. Aber seltsamerweise gab es in
Ravensbrück, wo zwischen 1939 und 1945 rund 120.000 Frauen, 20.000 Männer
und etwa 1.000 weibliche Jugendliche gequält, entwürdigt und etwa 28.000
von ihnen ermordet wurden, kein Gedenkzeichen für Jüdinnen und Juden. Dabei
findet man dort eine Erinnerung an die Leiden lesbischer Frauen, schwuler
Männer, an den von Widerständlern, an Frauen, die zur Sexarbeit gezwungen
wurden, an Sinti und Roma und weitere Opfergruppen, die ein solches
Andenken gewiss alle verdient haben.
Nur an das Leiden von etwa 20.000 Juden, die in Ravensbrück vor allem ab
1944 inhaftiert waren, erinnerte wenig. Es war der Zentralrat der Juden
selbst, der das jüdische Gedenkzeichen initiierte. Die Künstlerin Tine
Steen und der Architekt Klaus Schlosser haben es geschaffen. Sie haben auch
nach der Wende ein den jüdischen Opfern [2][in Buchenwald] gewidmetes
Denkmal verantwortet.
## Einziges Frauen-KZ
Ravensbrück wurde 1939 als einziges Frauen-KZ von den Nazis errichtet. Bis
1942 waren dort vergleichsweise wenige Jüdinnen inhaftiert, etwa 1.400. 800
von ihnen wurden zusammen mit weiteren Männern und Frauen 1942 bei einer
Mordaktion in der Pflegeanstalt Bernburg durch Giftgas ermordet. Darunter
befand sich etwa Margot Jungmann, die seit Januar 1940 wegen
„Rassenschande“, also der Beziehung zu einem Nichtjuden, inhaftiert war.
Ab 1944 kamen Tausende Jüdinnen und Juden nach Ravensbrück, die aus den
Konzentrationslagern im Osten nach dem Westen verschleppt wurden, um nicht
von den Sowjets befreit zu werden. Das KZ Ravensbrück wurde im Frühjahr
1945 durch die Rote Armee befreit.
Fünf greise Überlebende sind an diesem Donnerstag nach Ravensbrück
gekommen, aus fünf Ländern sind sie gekommen. Zwei von ihnen sprechen, und
sie belassen es nicht bei den Erinnerungen an den Nationalsozialismus.
„Welche Folgen der Antisemitismus hatte, ist an dieser Stätte ersichtlich,
und das soll nie vergessen werden“, sagt Richard Fagot, Jahrgang 1935, der
aus Israel angereist ist. Und er sagt weiter: [3][„Auch der 7. Oktober soll
nie vergessen werden.“]
Mala Tribich, 1930 geboren, hat zusammen mit ihrem Bruder als Einzige in
der Familie überlebt. Für sie begann das Leiden 1939 mit dem Einmarsch der
Deutschen in Polen. Da war Tribich acht Jahre alt. Sie sagt: „Es ist unsere
Pflicht, bei Anzeichen von Ungerechtigkeit und Hass nicht wegzusehen, denn
das ist moralisch verwerflich. Wenn ihr Ungerechtigkeit oder Hass seht,
dann handelt und duldet es nicht einfach.“
7 Nov 2025
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## AUTOREN
DIR Klaus Hillenbrand
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