URI: 
       # taz.de -- Sport unter DDR-Vertragsarbeitenden: Selbstbehauptung auf dem Rasen
       
       > Die Vertragsarbeitenden in der DDR mussten mit Isolation und Rassismus
       > leben. Ablenkung und Gemeinschaft aber bot ihnen der Sport, vor allem
       > Fußball.
       
   IMG Bild: Ibraimo Alberto, Gründer einer Fußballliga für Vertragsarbeiter, zeigt historische Fotos
       
       Mit großen Hoffnungen landet Ibraimo Alberto 1981 auf dem Flughafen
       Schönefeld. Er möchte seine Heimat [1][Mosambik] hinter sich lassen, ein
       Land, das gezeichnet ist von Bürgerkrieg und Ungleichheit. Alberto will
       sich in der DDR ein neues Leben aufbauen. Vielleicht mit einem Studium der
       Sportwissenschaften, vielleicht mit einem Bürojob. Das hatte man ihm
       zumindest in Aussicht gestellt. Doch Ibraimo Alberto wird [2][als
       Vertragsarbeiter] einem „Volkseigenen Betrieb“ zugewiesen, einem
       Fleischkombinat. Er muss tote Tiere transportieren, in langen, eintönigen
       Schichten. Mit Kollegen teilt er sich eine enge Unterkunft. Was ihm
       Ablenkung bietet? „Von Anfang an haben wir Fußball gespielt“, sagt Alberto.
       „Das war unser Highlight.“
       
       Die Geschichte des Rassismus im Sport wird in der Regel aus westdeutscher
       Perspektive erzählt. Auch in der DDR aber war die marode Wirtschaft auf
       mehr als 90.000 Vertragsarbeiter und Vertragsarbeiterinnen angewiesen. Sie
       kamen aus Mosambik, Angola oder Vietnam. Der Alltag war von Isolation und
       Rassismus geprägt. Was Ablenkung bot? Der Sport. Ibraimo Alberto war bei
       seiner Ankunft in Ostberlin noch keine zwanzig Jahre alt. Er wollte sich
       einem lokalen Verein anschließen, aber afrikanische Vertragsarbeiter waren
       dort nicht willkommen. Sie sollten arbeiten und dann irgendwann wieder nach
       Hause fliegen.
       
       In Mosambik, im Süden Afrikas, hatte Alberto selbst Fußballspiele
       organisiert. Daran knüpfte er nun in der DDR an. Er ging auf andere
       Arbeiter zu. Sie trafen sich zum Training und gründeten eine Fußballliga.
       Schon bald reisten sie an den Wochenenden für Turniere in andere Städte.
       Für eine finanzielle Unterstützung sprach er bei Betrieben und Sparkassen
       vor. „Wir haben uns dann T-Shirts fertigen lassen. Die Mannschaft unseres
       Fleischkombinats wurde sogar in der Zeitung erwähnt.“
       
       Das Engagement von Ibraimo Alberto sprach sich herum. Mit einer Auswahl
       mosambikanischer Arbeiter bestritt er Trainingsspiele gegen
       Vereinsmannschaften der DDR. Sie reisten nach Leipzig, Dresden oder Wismar.
       „Viele Leute haben uns unterschätzt“, sagt Alberto. „Aber wir hatten ein
       gutes Team. Einige von uns hatten in Mosambik in der ersten Liga gespielt.“
       Spiele wie diese waren Höhepunkte für die Vertragsarbeiter.
       
       ## Gesundheitsgefährdende Arbeit
       
       Im Alltag mussten sie oft gesundheitsgefährdende Aufgaben verrichten. Sie
       mussten ihre Pässe abgeben und Anteile ihres Lohnes an die heimischen
       Regierungen abführen. In der Regel waren sie in engen Wohnheimen
       untergebracht. „Es ist ihnen nur so viel Deutsch beigebracht worden, wie es
       nötig war“, sagt der Historiker Patrice Poutrus, der das Thema erforscht.
       „Es war nicht vorgesehen, dass es so etwas gibt wie partnerschaftliche
       Beziehungen zu Deutschen.“ In einigen Fällen wurden schwangere
       Vertragsarbeiterinnen sogar zur Abtreibung gedrängt.
       
       In der DDR-Propaganda galt die Vertragsarbeit als solidarische Hilfe für
       die „Bruderstaaten“. Tatsächlich aber sollten Kontrollen in den Wohnheimen
       und die Staatssicherheit einen intensiven Kontakt zwischen
       Vertragsarbeitern und DDR-Bürgern erschweren. Ibraimo Alberto hielt sich an
       die Regeln, denn er wollte nicht zurück ins kriegsgeplagte Mosambik. „Wenn
       einer zu viel Theater gemacht hat, dann haben sie ihn zurückgeschickt“,
       sagt er. „Dann kam er in Mosambik gleich in die Armee.“
       
       ## „Gemeinschaft leben“
       
       Die größte ausländische Gruppe in der DDR, mit 60.000 Arbeiterinnen und
       Arbeitern, [3][stammte aus Vietnam]. Hoang Van Thanh etwa kam 1988 nach
       Leipzig und wurde dort für eine Metallfabrik eingeteilt. Integrations- oder
       Sprachkurse wurden ihm nicht angeboten, sagt er: „Wir wollten uns in der
       DDR eine neue Existenz aufbauen. Wir wollten von niemandem abhängig sein.
       Daher haben wir uns unauffällig verhalten. Die vietnamesische Gemeinschaft
       hat uns Kraft gegeben.“
       
       Diese Gemeinschaft interessierte sich für Fußball. Nach und nach gründeten
       vietnamesische Arbeiter zwischen Ostsee und Erzgebirge 16 Mannschaften. Im
       Spielbetrieb der DDR waren sie nicht willkommen, deshalb organisierten sie
       eigene Turniere. Hoang Van Thanh, damals Anfang 20, kümmerte sich um
       Plätze, Trikots und Reisebusse. Die vietnamesische Botschaft verbreitete
       die Informationen in ihrem Rundschreiben. „Unser Alltag war nicht leicht“,
       erinnert Hoang Van Thanh. „Aber im Fußball konnten wir unsere Gemeinschaft
       leben.“
       
       ## „Verbindung zur vietnamesischen Kultur“
       
       Nach dem Mauerfall, der sich nun zum 36. Mal jährt, verloren Zehntausende
       Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter ihre Jobs und Unterkünfte. Viele
       kehrten in ihre Herkunftsländer zurück. Die vietnamesische Regierung
       sträubte sich dagegen und hoffte weiter auf Geldüberweisungen aus
       Deutschland. 20.000 Vietnamesinnen und Vietnamesen blieben in der
       Bundesrepublik. Viele wurden Opfer von Angriffen und Rassismus, zum
       Beispiel [4][im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen]. Die ehemaligen
       Vertragsarbeitenden lebten über Jahre unter Abschiebedruck, sagt der in
       Ostberlin aufgewachsene Forscher Patrice Poutrus: „Sie mussten ihre
       Existenz ebenfalls neu aufbauen wie alle Ostdeutschen. Und gleichzeitig
       mussten sie sich fragen, ob ihre ostdeutschen Mitmenschen nicht eventuell
       auch ihre rassistischen Feinde sind.“
       
       Auch der langjährige Fußballer Hoang Van Thanh blieb nach dem Mauerfall in
       Leipzig. Er baute ein Textilunternehmen auf und organisierte weiterhin
       Turniere für die deutsch-vietnamesische Community, bis heute. Unterstützung
       erhält er nun von den Kindern der einstigen Vertragsarbeiter. „Die zweite
       Generation ist in Deutschland aufgewachsen“, sagt die Dresdnerin Bao Linh
       Huynh. „Mit Hilfe des Fußballs können wir aber eine Verbindung zur
       vietnamesischen Kultur und zur Sprache schaffen.“
       
       Der in Mosambik aufgewachsene Ibraimo Alberto vertritt eine ähnliche
       Haltung. In den Neunzigerjahren war er auch ein erfolgreicher Boxer. Im
       brandenburgischen Schwedt absolvierte er eine Ausbildung zum
       Sozialarbeiter. Für einige Jahre lebte er dann in Karlsruhe. Doch
       inzwischen, mit 62, ist er wieder in Berlin. Lange arbeitete Alberto mit
       geflüchteten Menschen. Er erzählte ihnen von seiner eigenen Geschichte, von
       der Ankunft und von Rassismus. Aber auch von der Selbstbehauptung, bei der
       Sport von großer Bedeutung war.
       
       7 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Mosambik/!t5030637
   DIR [2] /Vertragsarbeiter-in-der-DDR/!6052803
   DIR [3] /Vietnamesische-Vertragsarbeiter/!6115210
   DIR [4] /30-Jahre-Rostock-Lichtenhagen/!5873707
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ronny Blaschke
       
       ## TAGS
       
   DIR DDR
   DIR Vertragsarbeiter
   DIR Fußball
   DIR Reden wir darüber
   DIR Social-Auswahl
   DIR Deutsche Einheit
   DIR KP Vietnam
   DIR Flüchtlingssommer
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Erinnerungskultur zur DDR im Wandel: „Die einseitige Erzählung war lange die offizielle“
       
       Wie Popkultur hilft, 1989 vielfältiger zu erzählen. Die Historikerin Anna
       Lux über Erinnerung, Utopieverluste und das eine Bild des Ostens.
       
   DIR Vietnamesische Vertragsarbeiter: Arbeit, die sonst niemand machte
       
       45 Jahre ist es her, dass Vietnam Vertragsarbeiter in die DDR entsandte.
       Bei einer Feier gedenken Angehörige dem harten Kampf für ihr Bleiberecht.
       
   DIR Migration nach Deutschland: Willkommen in der deutschen Realität
       
       Gern gesehen hierzulande war immer nur, wer sich anpasst und nützlich ist.
       Das galt für die Gastarbeitergeneration wie für die Geflüchteten nach 2015.