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       # taz.de -- Atomausstieg: Doppelwumms in Gundremmingen
       
       > Am Samstag werden die Kühltürme des größten deutschen AKWs gesprengt.
       > Atomkraftgegner verweisen auf die anhaltenden Risiken durch radioaktive
       > Abfälle.
       
   IMG Bild: Hier wurden früher Atome gespalten, aber dieses Woche gibt's die Kraft der zwei Doppelwümser
       
       Gundremmingen im bayerisch-schwäbischen Landkreis Günzburg hat knapp 1.500
       Einwohner, eine römische Ausgrabungsstätte – das Kastell Bürgle –, ein
       goldenes [1][Atomsymbol] im Gemeindewappen und eine Blaskapelle. Als
       musikalisches Aushängeschild des Ortes tritt sie regelmäßig bei Dorffesten
       und Veranstaltungen auf. Doch ausgerechnet beim größten Event seit
       Jahrzehnten kommen die Musikantinnen und Musikanten nicht zum Einsatz: An
       diesem Samstag werden, ein paar hundert Meter nördlich der Ortsgrenze, die
       beiden Kühltürme des einstmals größten deutschen Atomkraftwerks gesprengt.
       
       56.000 Tonne Beton fallen dann in sich zusammen. Mit ihren 160 Metern Höhe
       – in der Region ist nur der gut 30 Kilometer entfernte Turm des Ulmer
       Münsters etwas höher – sowie einem Durchmesser von 76 Metern an der Taille
       und 85 Metern an der Mündung sind die Kühltürme selbst aus der Ferne nicht
       zu übersehen. Es sei denn, es hängt mal wieder dicker Dunst und Nebel über
       dem Donauried.
       
       Das stillgelegte AKW besteht aus drei Blöcken. Block A, ein Reaktor mit 237
       Megawatt elektrischer Leistung, ging 1966 ans Netz und war elf Jahre in
       Betrieb, bis er nach einem schweren Störfall abgeschaltet wurde. Das
       gesamte Reaktorgebäude wurde dabei großflächig verstrahlt – es war in
       Deutschland der erste und bislang einzige Großunfall eines Atomkraftwerks
       mit Totalschaden.
       
       1976 begann der Bau der beiden 1.345-Megawatt-Blöcke B und C, sie speisten
       ab 1984 Strom ins Netz, rechnerisch rund 30 Prozent des bayerischen
       Bedarfs. Die Reaktoren gehören zu 75 Prozent RWE und zu 25 Prozent Eon.
       Block B wurde infolge des Atomausstiegs Ende 2017 vom Netz genommen, Block
       C am 31. Dezember 2021.
       
       ## Altmodische Reaktoren
       
       Bei allen drei Blöcken handelte es sich um [2][altmodische
       Siedewasserreaktoren], die anders als Druckwasserreaktoren nur über einen
       Kühlkreislauf verfügen. Radioaktiv kontaminiertes Wasser kann also leichter
       ins Maschinenhaus und an die Turbinen gelangen. Block A wird seit 1983
       zurückgebaut. Die Genehmigungen für die erste Phase des Abrisses der
       Reaktoren B und C erteilte das bayerische Umweltministerium kurz nach deren
       Stilllegung.
       
       Die Sprengung der Kühltürme ist der bislang spektakulärste Schritt beim
       Rückbau. Das Niederlegen – so heißt das Sprengen in der Fachsprache – soll
       um 12 Uhr mittags erfolgen. Die beiden Türme werden in einem Zündvorgang
       gesprengt, fallen aber zeitversetzt. Läuft am Samstag alles wie geplant,
       wird es nur wenig mehr als eine halbe Minuten dauern, bis die Beton-Riesen
       zu Staub geworden sind.
       
       Eine festgelegte akustische Signalfolge läutet den Vorgang ein: Ein langer
       Ton, zwei kurze Töne, dann der sogenannte Vergrämungsknall, der die Tiere
       in der Nähe verscheuchen soll. Es folgen der Knall für Kühlturm eins,
       wenige Sekunden später der für Kühlturm zwei. Drei kurze Tönen
       signalisieren, dass die Sprengung beendet ist. Ulrike Matthes, Ingenieurin
       der Thüringer Sprenggesellschaft, hat an diesem Tag das Kommando. Sie sagt:
       „Man hört es definitiv, doch es sind Augenblicksmomente.“
       
       Der Landkreis Günzburg hat eine Allgemeinverfügung erlassen. Darin ist eine
       Sperrzone von mehreren hundert Metern Umkreis um das Kraftwerksgelände
       ausgewiesen. Zuwiderhandlungen gegen das Betretungs- und Aufenthaltsverbot
       will die Behörde mit Bußgeldern bis zu 3.000 Euro ahnden.
       
       ## Viele Schaulustige zur Sprengung erwartet
       
       Obwohl Livestreams und Direktübertragungen der örtlichen Medien angekündigt
       sind, rechnen die Verantwortlichen mit einem großen Andrang von
       Schaulustigen und erheblichen Verkehrsbehinderungen rund um die Sperrzone.
       Die Sprengung sei auch deshalb auf einen Samstag gelegt worden, damit kein
       Schulbus- oder Berufsverkehr beeinträchtigt werde, sagt Gundremmingens
       Bürgermeister Tobias Bühler (CSU). Andererseits dürften, gerade weil am
       Samstag gesprengt wird, erst recht viele Menschen Zeit haben, sich das
       Spektakel anzusehen.
       
       In den vergangenen Wochen hat Bühler nach eigenen Worten „sehr viele
       Anfragen“ gehabt, ob denn am 25. Oktober nicht vielleicht Wurstbuden
       aufgestellt und Bier ausgeschenkt werden könne. An diesem denkwürdigen Tag
       müsse den vielen Besuchern doch etwas geboten werden. Doch „Eventtourismus“
       hat der Rathauschef gleich mal einen Riegel vorgeschoben: „Da sind wir
       restriktiv, das wollen wir nicht.“ Ganz konsequent ist Bühler dabei aber
       nicht geblieben. Zusammen mit dem örtlichen Metzger hat er eine
       „Spreng-Wurst“ kreiert. Sie soll „sehr scharf und würzig“ schmecken und
       wird im Gundremminger Dorfladen vertrieben.
       
       Unterdessen zeigen sich Atomkraftgegner an der bevorstehenden Sprengung nur
       mäßig interessiert. „Der Kühlturm selber ist für das Atomkraftwerk und die
       Probleme Atommüll belanglos“, sagt Widerstands-Veteran Raimund Kamm aus
       Augsburg. Von den Türmen sei nie radioaktive Strahlung ausgegangen. Über
       den „Todesmüll“ werde hingegen kaum gesprochen, die meisten Menschen
       wüssten gar nicht, „wo er in Gundremmingen lagert“.
       
       Tatsächlich ist das Gundremminger Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle
       das größte in Deutschland. 149 von 192 genehmigten Stellplätzen sind mit
       Castorbehältern belegt. In jedem einzelnen, sagt Kamm, stecke etwa so viel
       lang dauernde Radioaktivität wie insgesamt in [3][Tschernobyl] freigesetzt
       worden sei. Auch fast 40 Jahre später sind insbesondere in Bayern Pilze und
       Wildschweine immer noch durch Strahlung belastet, die bei dem großen Unfall
       über 1.400 Kilometer nach Deutschland geweht wurde.
       
       23 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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