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       # taz.de -- New Yorks neuer Bürgermeister: Dieses Lächeln
       
       > Ein rhetorisches Narkotikum, eine Bitte um Welpenschutz oder schlicht
       > Ausdruck des Feeldgood-Vibes? Was hinter Zohran Mamdanis Grinsen steckt.
       
   IMG Bild: So lächeln Gewinner: Zohran Mamdani nach seinem Wahlsieg in New York mit seiner Mutter Mira Nair
       
       Was versteckt sich eigentlich hinter diesem Vorzeigeschülerlächeln von
       Zohran Mamdani? Nein, ich meine nicht das Siegerlächeln, das Mamdani am
       Dienstagabend zu Recht aufsetzte, nachdem er von etwas mehr als der Hälfte
       der wählenden New Yorker [1][zum neuen Bürgermeister ihrer Stadt bestimmt
       wurde]. Immerhin der größten in den Vereinigten Staaten. Was ich meine, ist
       das Lächeln, über das in der amerikanischen Medienöffentlichkeit bis kurz
       vor der Wahl wild spekuliert wurde.
       
       Zum Beispiel bei „Saturday Night Live“. Am Sonntag vor der Wahl
       [2][veröffentlichte die Comedyshow einen Sketch]. Eine Parodie auf das
       TV-Duell der Bürgermeisterkandidaten, dem Cringe-Republikaner Curtis Sliwa,
       dem parteilos angetretenen Demokraten Andrew Cuomo und dem sozialistischen
       Demokraten Zohran Mamdani. Darin persifliert Komiker Ramy Youssef auch
       Mamdanis Lächeln. Seine Augen zieht er zu undurchsichtigen Strichen
       zusammen, sodass sich kleine Lachfalten unter den Lidern abzeichnen, und
       bleckt dabei die geweißten Zähne, wie in einer Colgate-Werbung.
       
       Als satirische Erklärung, warum Mamdani dieses Lächeln ständig zeige, sagt
       Youssef dann: „Erlauben Sie mir also, Sie zu beruhigen, indem ich nach
       jedem Satz so lächle, dass es mir körperlich wehtut.“
       
       Zohran Mamdanis Lächeln, ein rhetorisches Narkotikum? Ein Mittel, um die
       übertriebenen Zweifel seiner Gegner, ihre Angst vor einem muslimischen
       Sozialisten als Bürgermeister einer der kapitalistischen und westlichsten
       Metropolen der Welt zu zerstreuen? Dass der Sketch nicht wirklich als
       Kritik gemeint ist, wurde spätestens klar, als Mamdanis Kampagnen-Account
       auf Instagram ein Video veröffentlichte, [3][in dem Mamdani, mit dem als er
       verkleideten Ramy Youssef telefoniert], herzlich über sich selbst lacht,
       und Youssef, der Satiriker, Mamdani zur Verabschiedung sagt: „Ich liebe
       dich, Bruder!“
       
       ## Teil einer selbstkritischen Elite
       
       Weitaus härter urteilten hingegen Mamdanis politische Herausforderer über
       sein Lächeln. In KI-generierten Videos, die teilweise von Andrew Cuomos
       Kampagnenfonds finanziert und von kollaborierenden Politfluencern
       verbreitet wurden, wird das Bild von Mamdanis angespanntem Grinsen
       verwendet, um seine vermeintliche Doppelmoral zu enthüllen. Wehrlose Frauen
       werden in den KI-Videos in Käfige oder Hijabs gezwängt, Kriminelle
       entführen Kinder, betrunkene Sittenschweine schlagen ihre Ehefrauen, und
       all das passiert, während Zohran Mamdani lächelnd danebensteht und
       zuschaut. Die äußerst amoralische Botschaft dieser Clips ist klar: Mamdanis
       Lächeln ist eine Maske, hinter der sich die Abgründe seiner fatal falschen
       Politik verbergen sollen.
       
       Dabei repräsentiert Mamdanis Lächeln erstmal nur eins: den Feelgood-Vibe
       seiner popkulturell aufgeladenen Wahlkampagne. Die konnte man im
       vergangenen Jahr vor allem in den sozialen Medien verfolgen. In Tausenden
       von Videos, oft erstellt und geteilt von Volunteer-Gruppen, Influencern und
       Aktivisten, die Mamdani ihre Freizeit und Arbeit schenkten, um ihm zu
       seinem besonderen Vibe und damit zum bahnbrechenden Erfolg seines
       Wahlkampfs zu verhelfen.
       
       In den ersten Videos, Ende 2024, trat Zohran Mamdani noch als unbeholfen
       süßer Nobody auf. Als ein damals noch 33-jähriger Abgeordneter im Unterhaus
       des Bundesstaats New York, der als sozialistischer Streber im
       Arbeiterbezirk Queens in einer überteuerten Einzimmerwohnung lebt, und dem
       man unter die Arme greifen muss, damit er sich entfalten kann.
       
       Klar, schon damals war das nur Inszenierung. Mamdani stammt selbst aus den
       wohlhabenden Verhältnissen, die er als Mitglied der Democratic Socialists
       oft kritisiert. Seine Eltern, die oscarnominierte Filmemacherin Mira Nair
       und der Columbia-Professor Mahmood Mamdani, sind Teil der Kulturelite New
       Yorks. Und das ist nicht per se verwerflich. Mamdani als politische Figur
       mag das sogar geholfen haben. Teil einer selbstkritischen Elite zu sein,
       spiegelt den Wunsch vieler gut- und großbürgerlicher Millennials und Gen Zs
       wider, denen trotz Ivy-League-Abschluss und wegen Donald Trumps
       gewaltvoller Machtübernahme der gesellschaftliche Bedeutungsverlust droht.
       
       ## Ein neuer Obama?
       
       Auch das steckt also bei genauerem Hinsehen in Mamdanis Lächeln: eine
       leichte Unsicherheit, die signalisiert, man solle seine Aussagen, seine
       politischen Argumente und utopischen Vorschläge, nicht zu doll kritisieren.
       Schließlich gelte ja der Welpenschutz.
       
       Aber nochmal: geschadet hat ihm auch das nicht. Ganz im Gegenteil, genauso
       passte diese subtile Verletzlichkeit in die optimistisch-authentische
       Grundstimmung seiner Kampagne. Die setzte sich damit bewusst von der
       politischen Doomsday-Stimmung ab, die [4][Trumps Abrissbirnenpolitik]
       gerade im gesamten Land verbreitet – zumindest unter Linken, Liberalen und
       vernunftbegabten Konservativen.
       
       Gleichzeitig unterschied sich Mamdanis Auftritt gewaltig von den Kampagnen
       seiner Kontrahenten Andrew Cuomo und Curtis Sliwa. Denn beide, und das
       dürfte an deren betagtem Alter liegen, setzten sie, ähnlich, wie Trump und
       andere rechte Apokalyptiker, auf negative Emotionen, um Stimmung für sich
       zu machen. Ständig ging es dabei um Sicherheit, nicht um Zukunft, was vor
       allem bei jungen Wählergruppen nicht gerade gut ankam.
       
       Jede mieslaunige Störung in der Kommunikationsklaviatur – zum Beispiel
       Trumps Wahlempfehlung für Cuomo – konnte Mamdani mit seinem triumphierend
       positivem Lächeln weggrinsen und daraus Energie für seine Feelgood-Kampagne
       ziehen. Frei nach dem berühmten Satz von Michelle Obama im US-Wahlkampf
       2016: „When they go low, we go high.“ Gerne und oft wurde Mamdanis
       optimistisches Kult-Momentum auch mit der von Barack Obamas „Yes We
       Can“-Kampagne von 2008 verglichen.
       
       ## Er ist eine Projektionsfläche
       
       Nur seine Spötter setzten ihn online lieber mit dem iranischen
       Rebellenführer Ajatollah Chomeini gleich, sprachen von einem
       „Mullah-Grinsen“, und zogen Parallelen zwischen New York 2025 und Teheran
       1979, kurz bevor die islamische Revolution aus der liberalen Stadt eine
       klerikal-faschistische No-go-Area machte. Doch das Einzige, was all diese
       Vergleiche zeigen, ist, wie schwer sich viele Kommentatoren damit tun,
       Zohran Mamdanis besonderen Massenappeal auf einen angemessenen Begriff zu
       bringen.
       
       Dabei wäre das gar nicht so schwer. Mamdani ist schlichtweg ein
       postmodernes Chamäleon. In seinem Lächeln steckt weder das heimliche Genie
       eines bösen Masterminds, noch das spontan sprühende Charisma eines Barack
       Obama. Vielmehr zeigt sich darin eine Leere, die harmlos genug erscheint,
       um von Mamdanis Anhängern mit deren begründeter Hoffnung auf politischen
       Fortschritt oder auf einen unkomplizierten Ausweg aus ihrer Alltagsmisere
       aufgefüllt zu werden. Mamdani ist kein Führer, und er ist kein Ideologe. Er
       ist eine Projektionsfläche.
       
       Eine Eigenschaft, die auch erklärt, warum die Mamdani-Euphorie religiöse
       Züge angenommen hat. Die konnte man erleben, wenn man eine der vielen
       Zohran-Wahlpartys am Wahltag in New York besuchte. Zum Beispiel die der
       Kampagnen-Fundraiser „Hot Girls 4 Zohran“ in Brooklyn. Circa 300 Fans waren
       deren Einladung in eine queere Stand-up-Comedy-Bar gefolgt. Viele der
       Partygäste hatten über Monate hinweg Straßenwahlkampf für ihr Politidol
       gemacht.
       
       Was sie dabei antrieb: „Radikale Hoffnung“, wie Cait Camelia, eine der
       Gründerinnen von Hot Girls 4 Zohran, auf der Bühne sagte. Andere sprachen
       von einem „Gefühl der Ohnmacht“, das man dank Mamdanis Kampagne überwunden
       habe. Vieles an diesem Abend klang nach Offenbarung. Zohran Mamdani der
       Erlöser? Die letzte Rednerin auf der Wahlparty sagte es so: „Es geht nicht
       um die Person, sondern um die Bewegung.“
       
       ## Auch Daniel Kehlmann ist Fan
       
       Und folgte man dem Stimmungsbarometer der Publikumsreaktionen, schien es
       vor allem einen gemeinsamen Nenner zu geben, der die Mamdani-Bewegung im
       Inneren zusammenhält: der Hass auf Israel. Den meisten Applaus bekam an
       diesem Abend der Slogan: „Get AIPAC out of the city!“ AIPAC ist die größte
       proisraelische Lobbyorganisation der USA. Mit New Yorker Lokalpolitik hat
       die zwar wenig zu tun, trotzdem bewog dieser Slogan hier mehr als das
       legendäre „Tax the rich!“
       
       Und das ist ein riesiges Problem. Nicht nur für New Yorker Juden mit guten
       Beziehungen zu Israel. Auch für Zohran Mamdani und seine Anhänger. Es macht
       ihre scheinbare moralische Überlegenheit, mit der sie sich von den rechten,
       amoralischen Apokalyptikern abheben wollen, unglaubwürdig. Ihr Charisma
       wird so zum bedrohlich falschen Spiel; Zohrans Lächeln zur Farce.
       
       Wie tief der Glaube an Mamdanis moralische Makellosigkeit trotzdem ist,
       kann man sogar in Deutschland erleben. Am Tag vor der Wahl gab der in New
       York lebende deutsche Autor Daniel Kehlmann – ein Intellektueller mit
       jüdischer Familie – [5][dem Deutschlandfunk ein Interview]. Gefragt wurde
       er dort nach seiner persönlichen Sicht auf Mamdani.
       
       Und die fiel äußerst euphorisch aus. Fast so, wie die von einem der „Hot
       Girls“ in Brooklyn. Jede Kritik an Mamdani, die möglicherweise hätte
       aufkommen können, insbesondere an dessen antizionistischer Grundhaltung,
       wehrte Kehlmann bereits zu Beginn des Interviews als „Fehlinformation“ und
       Schmierenkampagne mächtiger Establishment-Milliardäre ab.
       
       Selbst Mamdanis ungebrochenes Festhalten an gewaltverherrlichenden
       Protestparolen wie „Globalize the Intifada“ entschuldigte Kehlmann. Die
       reale, historische Bedeutung einer Intifada – der Mord an israelischen
       Zivilisten – ersetzte er durch seine ganz eigene Erklärung: Mamdani habe ja
       selbst gesagt, „dass mit Intifada nichts Gewaltsames gemeint ist“.
       
       Glauben kann man so einem Täuschungsmanöver nur, wenn man nicht zwischen
       publikumswirksamer Moralperformance und echter Moral unterscheidet. Und
       hier zeigt sich, was hinter Zohran Mamdanis Lächeln tatsächlich steckt, was
       sich in der Rhetorik des neuen Bürgermeisters von New York widerspiegelt:
       der Wunsch seiner Anhänger nach Zerstreuung. Nach Moralgefühl, ohne
       Klarheit, Gewissen und Widerspruch.
       
       8 Nov 2025
       
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   DIR [1] /Neuer-New-Yorker-Buergermeister/!6123050
   DIR [2] https://edition.cnn.com/2025/11/02/business/video/snl-cold-open-nyc-mayoral-debate-teller-youssef
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=rGy0qQuKfqY
   DIR [4] /USA-unter-Donald-Trump/!6121519
   DIR [5] https://www.deutschlandfunk.de/new-york-vor-der-wahl-interview-daniel-kehlmann-schriftsteller-100.html
       
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   DIR Jonathan Guggenberger
       
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