# taz.de -- Prozess in Magdeburg: Nicht auf Kosten der Opfer
> Wie über einen Täter berichten, der Aufmerksamkeit als Lohn für seine
> verbrecherische Tat geradezu sucht? Eine Frage, die sich in Magdeburg
> stellt.
IMG Bild: Das Interims-Gerichtsgebäude in Magdeburg ist für den Prozess gegen den Todesfahrer vom Magdeburger Weihnachtsmarkt gebaut worden
In [1][Magdeburg] beschäftigt mich eine große Frage: Wie berichte ich über
jemanden, der keine Öffentlichkeit verdient? Wenn die Kameras in den
Gerichtssaal kommen, dann verstecken Angeklagte meist ihr Gesicht hinter
aufgeschlagenen Ordnern. Er nicht. Im Gegenteil. Der Täter vom [2][Anschlag
auf den Weihnachtsmarkt] dreht am ersten Prozesstag seinen Laptop um und
streckt den Fotograf:innen den Bildschirm entgegen. In großen schwarzen
Buchstaben auf weißem Grund stehen dort wenige Worte, eine Botschaft. Vom
Pressebereich aus kann ich sie nicht lesen.
Der Täter posiert für die Fotos. Er hält den Bildschirm erst neben sein
Gesicht, dann darunter und schließlich über seinen Kopf. Er zwinkert.
Minutenlang schießen die Fotograf:innen ihre Auftaktbilder. Das Klicken
der Kameras dringt nicht durch das Panzerglas vor dem Pressebereich. Ich
habe es trotzdem im Ohr. Irgendwann erlischt der Bildschirm.
Energiesparmodus. Der Täter merkt es nicht.
Da sitzt er. Elf Monaten zuvor fuhr er mit einem gemieteten SUV über den
Magdeburger Weihnachtsmarkt, verletzte dabei mehr als 300 Menschen, tötete
fünf Frauen und einen neunjährigen Jungen.
Etwa 50 Nebenkläger:innen sind da. Betroffene oder die gesetzlichen
Vertreter:innen von Betroffenen. Im Gerichtssaal wurden 17 Reihen
Tische und Stühle für sie aufgestellt. Während der Auftaktbilder streichelt
eine Nebenklägerin in der sechsten Reihe einer anderen unterstützend über
die Schulter. Sie beobachten die Inszenierung des Täters.
## Dass er es war, steht außer Frage
Wie berichte ich also über so jemanden, der die Öffentlichkeit sucht und
sich über jeden Bericht freut? Der das Leid hunderter Menschen nutzt, um
seine Botschaften zu verbreiten? Am zweiten Prozesstag behauptet der Täter,
wäre ihm vor dem Anschlag ein Interview angeboten worden, hätte ihn das von
der Tat abgehalten.
Dass er es war, der das Auto über den Weihnachtsmarkt gelenkt hat, steht
außer Frage. Es wäre legal, seinen vollständigen Namen in der Zeitung zu
schreiben. Es wäre legal, Bilder von ihm zu veröffentlichen. Die Medien des
Springerverlags und der Spiegel machen das zum Beispiel. Die „Tagesschau“
und der MDR verpixeln hingegen sein Gesicht und kürzen den Nachnamen ab.
Ich möchte seinen Namen am liebsten ganz vermeiden.
Diesen Geltungsdrang, den der Täter nun auch vor Gericht präsentiert, den
möchte ich persönlich nicht befriedigen. Er soll sich nicht darüber freuen
können, dass sein Name in der Zeitung steht. Es hat aber auch andere
Gründe. Schon frühere Anschläge haben gezeigt, dass Attentäter:innen
von kleinen Gruppen verehrt werden. Täter:innen [3][die öffentliche
Bühne zu bereiten], kann Nachahmung fördern.
Um zu verstehen, wie es zum Anschlag in Magdeburg kam, und um mit diesen
Erkenntnissen zukünftige Fälle zu verhindern, braucht es weder den Namen
noch Fotos vom Täter. Es gilt vielmehr, nicht nur den Mann selbst ins
Visier zu nehmen.
## Warum wurde er nicht gestoppt?
Abseits des Prozesses behandelt deshalb etwa [4][der Untersuchungsausschuss
des Landtags in Sachsen-Anhalt] die Frage, wie der Täter das Auto so
ungehindert in die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt fahren konnte.
Immerhin stand bereits im [5][Sicherheitskonzept], dass mit solchen Taten
zu rechnen sei. Trotzdem klaffte in den Zufahrtssperren eine breite Lücke.
Wer war für sie [6][verantwortlich]? Seinen abschließenden Bericht
veröffentlicht der Ausschuss voraussichtlich im Frühjahr.
Vielleicht klärt der dann auch die Frage, warum die Sicherheitsbehörden den
Täter nicht vorher stoppten. Aufgefallen war er ihnen. Es gab seine Posts
auf Social Media, in denen er mit Anschlägen drohte. Doch ein Mann aus
Saudi-Arabien, der wie ein Rechtsextremer die vermeintliche Verschwörung
zur „Islamisierung Europas“ bekämpfen möchte? Der passt in keine der
Schubladen Rechtsextremismus, Linksextremismus oder Islamismus.
Entsprechend fühlt sich bei den Behörden offenbar niemand zuständig.
Natürlich ist auch relevant, ob es seine politischen Ansichten waren, die
ihn zur Tat motivierten. Doch auch darüber kann ich berichten, ohne seine
stundenlange Einlassung im Detail wiederzugeben. Die
Generalstaatsanwaltschaft Naumburg erklärt in ihrer Anklage etwa, der Täter
habe aus persönlichen Motiven gehandelt, Frust und Unzufriedenheit wegen
verlorener Strafanzeigen. Es sei nicht um Politik gegangen, ein Versuch,
die freiheitlich-demokratische Grundordnung anzugreifen, sei nicht
festzustellen gewesen.
Doch der Täter selbst redet in seiner Einlassung über Politik. Über seine
Kritik am Islam und am saudischen Regime, und warum er deshalb dort ein
Linker wäre. Dass die AfD nicht rechts sei, aber CDU, SPD und Grüne
„deutschlandfeindliche Parteien“. Es ist schwer, ihm zu folgen. Er springt
von Thema zu Thema, wiederholt sich. Ein Gutachten seiner
Social-Media-Posts kommt zu dem Schluss, er sei ein politisch motivierter
„terroristischer Einzeltäter“.
Am Ende wird das Landgericht Magdeburg beurteilen, was der Täter ist. Bis
zum 12. März hat es noch über 40 Verhandlungstermine angesetzt. Wichtiger
als die Strafe für den Täter sind aber [7][die Lehren, um die
Wahrscheinlichkeit für weitere Anschläge zu verringern]. Darum berichte ich
so über ihn, ohne seinen Namen zu nennen. Nicht aus Angst, sondern damit
sein Plan, sich auf Kosten der Opfer in den Vordergrund zu spielen, nicht
aufgeht.
15 Nov 2025
## LINKS
DIR [1] /Prozessbeginn-zum-Magdeburger-Anschlag/!6128337
DIR [2] /Magdeburg-nach-dem-Anschlag/!6056813
DIR [3] /Berichterstattung-zum-Halle-Prozess/!5695585
DIR [4] /Untersuchungsausschuss-zu-Magdeburg/!6065312
DIR [5] https://www.tagesschau.de/investigativ/mdr/anschlag-magdeburg-weihnachtsmarkt-gutachten-100.html
DIR [6] /Weihnachtsmarkt-in-Magdeburg/!6128906
DIR [7] /Schutz-vor-Anschlaegen/!6084863
## AUTOREN
DIR David Muschenich
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DIR Rote Armee Fraktion / RAF
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