URI: 
       # taz.de -- Linke im MMA und Muay Thai: Kämpfen im Widerspruch
       
       > Der Kampfsportboom hat längst auch linke Subkulturen erreicht. Doch viele
       > Linke ringen mit ihrer Rolle in einem marktförmigen System.
       
   IMG Bild: Jonny bei der Patong Fight Night im thailändischen Phuket, 2024
       
       „Ich will mich selbst noch im Spiegel anschauen können“, sagt Jonny. Ein
       täglicher Widerspruch für die professionelle Muay-Thai-Kämpferin, die sich
       politisch links verortet und unter dem Namen Jonny kämpft. Vor zehn Jahren
       in der Leipziger linken Kampfsportszene war an eine Profikarriere kaum zu
       denken: zu wenig Frauen, zu wenig Kämpfe, zu wenig Strukturen. Und dort, wo
       es sie gab, [1][dominierten rechte, autoritäre und frauenverachtende
       Akteure].
       
       Doch Jonny zog ihre Linie durch im thailändischen Vollkontaktkampfsport,
       bei dem Ellenbogen, Knie, Fäuste und Kicks eingesetzt werden. Mit Neonazis
       oder Sexisten in den Ring zu steigen, kam für sie nie infrage – auch wenn
       lukrative Angebote winkten. „Wenn du da nicht mitspielst, hast du es
       zehnmal schwerer.“ Heute kämpft sie als Profi im thailändischen Phuket. Ein
       Muay Thai Gym dort bot ihr ein Sponsoring an und sie ergriff die Chance.
       Als erste österreichische Frau kämpft sie im legendären Lumpinee Boxing
       Stadium.
       
       Im Gegensatz zu ihrem Boss seien ihr Titel aber weniger wichtig als
       qualitative Kämpfe, Trainings und nachhaltiges Lernen, sagt sie. Trotzdem
       gewinnt sie Kämpfe – und Respekt. „Das Gym hier ist nicht politisch links,
       aber die Leute haben das Herz am richtigen Fleck“, sagt sie. Anders als bei
       manchen linken Lifestylestudios in Deutschland, wo in der Realität nicht
       viel von Labels wie Solidarität und Antisexismus übrig bleibe. Da gehe es
       schon mehr um Coolness und unter sich bleiben.
       
       Zwischen Ideal und Business kämpft Jonny jeden Tag aufs Neue. Für weibliche
       Kampfsportlerinnen sei der Ring vor allem eine Bühne, schildert sie.
       Heteronorme Körperideale spielten eine viel zu große Rolle bei der
       Leistungsbewertung von Frauen. Sie hat jedenfalls den Eindruck, aufgrund
       von Äußerlichkeiten – zu denen auch ihre politischen Tattoos gehören – von
       den Kampfrichtern und dem Publikum nicht favorisiert zu werden. Um Gewicht
       zu machen, muss sie vor Kämpfen hungern und entwässern.
       
       ## „Ein scheiß Widerspruch“
       
       „Das ist [2][ungesund und fördert Essstörungen]. Es ist ein scheiß
       Widerspruch, aber als Profi muss man da durch.“ Dass viele linke
       Amateursportler und -sportlerinnen freiwillig Gewicht machen, versteht sie
       nicht. Da übernähme man blind die Maßstäbe des kapitalisierten Profisports:
       Leistungsdruck, Vermarktung, Konkurrenzdenken. „Es ist euer Hobby – wofür
       quält ihr euch so?“, fragt Jonny. Die innerlinke Debatte ist genau für
       diese Selbstreflexion nötig.
       
       Auch Jesse-Björn lebt in Widersprüchen. Der Mixed-Martial-Arts- und
       Muay-Thai-Kämpfer aus der Berliner Bewegungslinken erinnert sich an einen
       sehr befremdlichen Momente: In Abu Dhabi stand er plötzlich als Coach mit
       Deutschlandtrikot am Ring – in einem Land, das Kampfsport für seine
       autoritäre Politik instrumentalisiert. „Das war sehr weit weg von dem, was
       ich eigentlich richtig finde.“ Über 50 Profikämpfe hat er bestritten, doch
       sein Sport widert ihn oft an: als Popkultur, als Bühne für Machtfantasien
       und als Einnahmequelle für menschenfeindliche Akteure.
       
       ## Kein Mittel für politische Agitation
       
       Weder mit AfDlern, Antisemiten, Islamisten noch anderen Freunden
       autoritärer Ideologien, die sich nicht ohne Grund für die gewalttätigen
       Elemente von Kampfsport begeistern, möchte er etwas zu tun haben. Der
       Profikämpfer analysiert: Kampfsport sei kein Mittel für politische
       Agitation und kein gutes Instrument, um Gesellschaftskritik zu betreiben.
       Das sei ein Missverständnis im linken Kampfsport.
       
       Trotzdem hat er viel zur Professionalisierung der linken Kampfsportszene
       beigetragen – und steckt mittendrin. Dieses Jahr stand er in Rom gegen
       Saenchai, den Superstar des [3][Muay Thai], im Ring. „Wenn ich was mache,
       dann versuche ich es richtig und nicht halbherzig“, sagt er. So klar ist
       auch sein politisches Rückgrat. Er boykottierte [4][Neonazis im Ring] und
       setzte sich gegen Studioleitungen durch. Ein Neonazi-Kämpfer verlor dank
       ihm seinen UFC-Vertrag. Dafür bekam er Drohungen – und eine manipulierte
       Onlinebilanz, die seinem Ruf schaden sollte. „Politik ist immer
       Machtkampf“, und diesen müsse man dann auch führen.
       
       ## Individuelle Kraftquelle
       
       Spannender als die häufige Frage: „Wie umgehen mit Rechten?“ findet er aber
       eine profunde emanzipatorische Sportkritik: „Rechts“ seien ja nicht nur
       gewisse Akteure, sondern die Kultur, Organisation, Vermarktung,
       Körperfixiertheit und eben auch die autoritären Bedürfnisse. Trotzdem könne
       Kampfsport, auch professionell betrieben, eine individuelle Kraftquelle
       sein. Menschen mit Ohnmachtserfahrungen erlebten hier Selbstwirksamkeit. In
       Genderfragen habe die linke Szene da tatsächlich Fortschritte bewirkt –
       Frauen sind sichtbarer, Trainerinnen selbstverständlich. Doch sobald
       ökonomischer Druck ins Spiel kommt, geraten vage Ideale ins Wanken,
       beobachtet Jesse-Björn. Ist man eine Politgruppe, die zusammen Sport macht,
       oder eine Sportgruppe, die sich als links versteht?
       
       Klar ist: [5][Der Kampfsportboom hat linke Subkulturen längst erreicht]. In
       den letzten zehn Jahren trainieren immer mehr Linke vor allem Muay Thai und
       MMA und werden in einschlägigen Kampfsportgyms und -events immer
       professioneller. Doch die Frage bleibt, wie man diese Entwicklung
       gestaltet, ohne sich in einem unmenschlichen System zu verlieren.
       Jesse-Björn hat da mehr Fragen als Antworten, und auch Jonny handelt die
       Widersprüche jeden Tag aufs Neue aus. Vielleicht ist es genau dieses
       Denken, Reflektieren und Diskutieren, was den linken Kampfsport ausmacht,
       nicht die Lösung komplexer gesellschaftlicher Dialektik.
       
       Beide bleiben sich treu, so gut es eben geht. Und trotz aller Entfremdung
       gehören sie doch zur linken Kampfsportszene. Jonny geht das Herz auf, wenn
       sie im Gymbetrieb auf eine Person trifft, die ihre emanzipatorische Haltung
       im Kampfsport teilt und mitlebt.
       
       14 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Rechte-Kampfsportclubs/!6019902
   DIR [2] /Magersucht-und-Bulimie-im-Spitzensport/!5916184
   DIR [3] /Im-Box-Camp-in-Thailand/!6022253
   DIR [4] /Rechter-Terror-in-Eisenach/!6037775
   DIR [5] /Warum-Kampfsport-wichtig-ist/!6107457
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Clara-Sophia Müller
       
       ## TAGS
       
   DIR Kampfsport
   DIR MMA
   DIR Linke Szene
   DIR Reden wir darüber
   DIR Kampfsport
   DIR Rojava
   DIR Kolumne Press-Schlag
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Innovationen im Kampfsport: Hauen und Schlagen für die Klicks
       
       Immer absurdere Kampfsportarten finden vor allem im Netz ihr Publikum. Der
       Drang, sich auf eine wenig geregelte Art Schaden zuzufügen, hat Tradition.
       
   DIR Kampfsport im SO36: Für Rojava in den Ring
       
       Die Kampfsportveranstaltung „Thirtysix Fights“ will die autonome kurdische
       Bewegung stärken. Die Einnahmen gehen an ein Frauenprojekt in Syrien.
       
   DIR Warum Kampfsport wichtig ist: Linke, wehrt euch
       
       Rechtsextreme Straftaten nehmen deutlich zu. Als Antifaschist:innen
       sollten wir lernen, uns zu verteidigen. Es geht um Selbstschutz.