# taz.de -- Aus Gerichtsbeschluss zitiert: Investigativjournalist zieht vors Verfassungsgericht
> Der Journalist Carsten Janz und die Gesellschaft für Freiheitsrechte
> wollen den Strafgesetz-Paragrafen 353d kippen. Der verletze die
> Pressefreiheit.
IMG Bild: Umstrittene Dokumente: Janz hat zwei kurze Stellen aus unveröffentlichten Prozessakten wörtlich zitiert
Der Hamburger Investigativjournalist Carsten Janz hat gemeinsam mit der
[1][Gesellschaft für Freiheitsrechte] (GFF) Verfassungsbeschwerde beim
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. Janz und die GFF möchten
grundlegend klären, ob der [2][Paragraf 353d des Strafgesetzbuches] (StGB)
in seiner aktuellen Form die Pressefreiheit verletzt.
Der Paragraf verbietet die wörtliche Veröffentlichung amtlicher Dokumente
aus schwebenden Verfahren, bevor diese in öffentlicher Verhandlung erörtert
oder das Verfahren abgeschlossen wurde. So soll die Unvoreingenommenheit
von Verfahrensbeteiligten, insbesondere von Laienrichter:innen und
Zeug:innen, geschützt werden. Verstöße können mit bis zu einem Jahr
Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe geahndet werden.
Janz war zuvor vom Amtsgericht und Landgericht Hamburg [3][zu einer
Geldstrafe von 2.600 Euro verurteilt worden], weil er in einem Artikel für
t-online [4][aus einem unveröffentlichten Gerichtsbeschluss wörtlich
zitiert hatte]. Seine Revision wurde vom Oberlandesgericht Hamburg im
September ohne Begründung verworfen.
„Carsten Janz hat nur seinen Job als Journalist gemacht“, sagt Benjamin
Lück, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF. „Es kann nicht sein,
dass er allein für das Zitieren aus Gerichtsbeschlüssen bestraft wird.
Diese Vorschrift bedroht die kritische Berichterstattung und die
Pressefreiheit – und genau das klären wir jetzt vor dem
Bundesverfassungsgericht.“
## Zitate als Beweis journalistischer Sorgfalt
Janz hatte am 11. Dezember 2023 bei t-online einen Artikel unter dem Titel
„[5][Durchsuchung rechtswidrig – Niederlage für Staatsanwaltschaft]“
veröffentlicht. Darin hatte er über polizeiliche Maßnahmen nach dem
[6][Amoklauf bei den Zeugen Jehovas] in Hamburg berichtet, bei dem acht
Menschen, einschließlich des Täters, ums Leben kamen.
Er zitierte zwei Sätze aus einem unveröffentlichten Beschluss des Hamburger
Landgerichts, die ein Fehlverhalten der Staatsanwaltschaft offenlegten: Die
Behörde hatte ohne ausreichenden Anfangsverdacht eine rechtswidrige
Durchsuchung veranlasst.
Janz argumentierte, er sei davon ausgegangen, dass das Verfahren
abgeschlossen sei. Eine Rückfrage bei der Gerichtspressestelle unterließ er
jedoch, wie er vor Gericht einräumte.
Vor dem Landgericht Hamburg betonte Janz, dass die Information über die
rechtswidrige Durchsuchung von hohem öffentlichen Interesse sei, da sie ein
Fehlverhalten der Staatsanwaltschaft belege. Direkte Zitate seien ein
Beweis journalistischer Sorgfalt und Glaubwürdigkeit. Der Paragraf sei
„pressefeindlich“. Die Norm sei zu unbestimmt und verstoße gegen
[7][Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)], der die
Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit, schützt.
„Wenn wir als Journalist*innen kritisch darüber berichten, wie Polizei
und Staatsanwaltschaft ermitteln, geschieht das im Interesse der
Öffentlichkeit. Wer befürchten muss, nach Paragraf 353d Strafgesetzbuch
bestraft zu werden, überlegt sich diese Recherchen zweimal“, kritisiert
Janz. „Die Behörde, über die ich kritisch berichtet habe, hat wegen des
Berichts gegen mich ermittelt. Das kann nicht im Sinne der Pressefreiheit
sein.“
Das Landgericht Hamburg wies die Berufung jedoch zurück und hielt Paragraf
353d für verfassungsgemäß. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht sei
nicht erforderlich, da dieses die Norm bereits 1985 und 2014 als
verfassungskonform eingestuft habe. Eine Abwägung nach EGMR-Kriterien fand
nicht statt, was Janz und seine Verteidigung scharf kritisierten. „Eine
solche Abwägung hätte zu einem anderen Ergebnis geführt“, sagte Janz'
Anwalt Sebastian Seel nach der Verhandlung im März diesen Jahres.
Die Verfassungsbeschwerde zielt nun darauf ab, die Sache grundsätzlich zu
klären. Die Strafnorm sei zu pauschal und lasse keine Abwägung zwischen dem
öffentlichen Interesse an kritischer Berichterstattung und dem Schutz der
Justiz zu, argumentiert die GFF. In ihrer aktuellen Form greife die Norm
unverhältnismäßig in das Grundrecht auf Pressefreiheit ein. Eine
Verurteilung wie die von Janz sei in einer Demokratie nicht notwendig, da
sein Bericht Missstände aufgedeckt habe, ohne laufende Verfahren zu
beeinflussen.
## Parallelen zum Fall Arne Semsrott
Parallelen gibt es zum Fall des Journalisten Arne Semsrott, Chefredakteur
der [8][Plattform Frag den Staat]. Semsrott wurde im Oktober 2024 vom
Landgericht Berlin wegen der Veröffentlichung dreier Gerichtsbeschlüsse des
Amtsgerichts München schuldig gesprochen. Die Dokumente betrafen
Ermittlungen gegen die Klimaschutzgruppe Letzte Generation, die von der
Generalstaatsanwaltschaft München als kriminelle Vereinigung eingestuft
wurde.
[9][Semsrott erhielt eine Verwarnung und eine Geldstrafe]. Auch er hat
gemeinsam mit der GFF ein Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof
eingeleitet, um die Norm auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen.
Die GFF sieht in beiden Fällen den investigativen Journalismus systematisch
gefährdet und fordert, dass das Bundesverfassungsgericht die Norm im Licht
der Pressefreiheit neu bewertet. Sollte das Bundesverfassungsgericht Janz'
Beschwerde annehmen, könnte der Fall weitreichende Folgen für die
Rechtsprechung in Deutschland haben. Eine Entscheidung könnte die Balance
zwischen Justizschutz und Pressefreiheit neu definieren und den
investigativen Journalismus stärken.
27 Oct 2025
## LINKS
DIR [1] /Religionsausuebung-in-Berlin/!6121146
DIR [2] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__353d.html
DIR [3] /Journalist-soll-Strafe-zahlen/!6073263
DIR [4] /Journalist-angeklagt/!6029016
DIR [5] https://hamburg.t-online.de/region/hamburg/id_100300112/hamburg-amoklauf-bei-zeugen-jehovas-durchsuchung-rechtswidrig.html
DIR [6] /Amoktat-gegen-Zeugen-Jehovas-in-Hamburg/!5999298
DIR [7] https://dejure.org/gesetze/MRK/10.html
DIR [8] https://fragdenstaat.de/
DIR [9] /Urteil-gegen-Frag-den-Staat/!6043666
## AUTOREN
DIR Robert Matthies
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