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       # taz.de -- Rückkehr nach Syrien: Wenn die Ersten zurückgehen
       
       > Nach dem Sturz Assads stellt sich für viele geflohene Syrer:innen
       > heute die Frage, ob sie einen neuen Anfang in der alten Heimat wagen
       > sollen.
       
   IMG Bild: Fahrt im Auto durch Lübeck – nach Jahren der Sicherheit zurück in das instabile Heimatland?
       
       Mit leuchtenden Augen verkündete meine Nachbarin ihren lang gehegten Traum:
       „Wir gehen zurück nach Syrien und ich werde einen Kindergarten eröffnen.“
       Es war ein Gemisch aus Freude und Wehmut, als sie mir erzählte, dass sie
       ihre Entscheidung reiflich überlegt hatte. Sie wolle Deutschland verlassen,
       um mit ihrem Mann und den Kindern in die Heimat zurückzukehren.
       
       Dabei hatte sie vor zwei Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft erworben.
       Die Entscheidung spiegelt die große Sehnsucht wider, die Syrer:innen
       zurück in ihr Land zieht – egal wie groß die Distanz ist und wie sehr sich
       die Umstände verändert haben. Doch als sie mich mit einem Lächeln fragte:
       „Und du, kommst du auch zurück?“, war meine Antwort von einem Kloß im Hals
       begleitet.
       
       Ich antwortete ihr ehrlich, dass ein Besuch in Syrien vielleicht möglich
       sei, aber eine endgültige Rückkehr noch in weiter Ferne liege. Die Lage sei
       weiterhin instabil, und grundlegende Dienstleistungen wie Strom und Wasser
       stellen tägliche Herausforderungen dar.
       
       Meine größte Sorge ist die Sicherheit. Ich sagte ihr: „Ich kann nicht
       zurückkehren, ohne darüber nachzudenken, wie wahrscheinlich es ist, dass
       meine Kinder oder mein Mann in Situationen geraten, die ihnen schaden
       könnten.“ Deshalb: „Ja, die Entscheidung ist aufgeschoben.“
       
       ## Sorge vor möglichen Racheakten
       
       Diese Sorge ist tief in einer schmerzhaften persönlichen Erfahrung
       verwurzelt: Mein Mann war unter Assad senior über achteinhalb Jahre lang
       inhaftiert. Das Regime ist gestürzt. Doch für meinen Mann birgt eine
       Rückkehr aufgrund seiner alawitischen Zugehörigkeit die Gefahr
       individueller sektiererischer Racheakte.
       
       Bis heute gibt es keine Berichte über Gerichtsverfahren oder echte
       Gerechtigkeit für die Opfer dieser Ära. Die Verzögerung in der
       Übergangsjustiz hat dazu geführt, dass einige Einzelpersonen Rache an einer
       ganzen Gemeinschaft nehmen, was die Wunden nur noch vertieft, anstatt sie
       zu heilen.
       
       Im Gegensatz dazu sieht meine Nachbarin die Rückkehr mehr als eine Pflicht
       denn als ein Abenteuer. Zwei ihrer Onkel wurden im [1][Saidnaya-Gefängnis]
       getötet. Sie selbst freut sich darauf, in Darayya, ihrem einst von den
       Regierungstruppen bombardierten Heimatbezirk, neu anzufangen. Sie sagte mir
       enthusiastisch, dass viele Ausgewanderte bereits zurückgekehrt seien, um am
       Wiederaufbau des Landes teilzunehmen.
       
       „Es braucht uns alle.“ Nach Angaben des deutschen Innenministeriums sind
       [2][im Rahmen des freiwilligen Rückkehrprogramms bis Ende August 2025
       tatsächlich 1.867 Syrer nach Syrien zurückgekehrt] – trotz der großen
       Herausforderungen, die sie dort erwarten.
       
       ## Frage nach Demokratie und Sicherheit
       
       Meine Bedenken beschränken sich nicht nur auf die persönliche Sicherheit,
       sondern erstrecken sich auch auf die Sicherheit des Landes als Ganzes.
       Einige Regionen Syriens, sogar [3][Damaskus, sind nach wie vor Ziel
       israelischer Luftangriffe]. Das Land steckt in komplexen politischen und
       wirtschaftlichen Krisen.
       
       Ich frage mich immer wieder: Inwieweit kann ich mein Recht auf Demokratie
       ausüben, an das ich mich in Deutschland gewöhnt habe? Die Ergebnisse der
       letzten Volksversammlungswahlen waren enttäuschend: drei Gouvernements
       blieben ohne Vertretung. Nur sechs Frauen wurden gewählt – bei 119
       Mitgliedern. Eine Realität, die die Kluft zwischen der politischen Freiheit
       im Exil und den Beschränkungen in der Heimat größer denn je erscheinen
       lässt.
       
       Die größte Sorge meiner Nachbarin galt ihren drei Kindern. Sie befürchtet,
       dass sie Schwierigkeiten haben werden, auf Arabisch zu lernen, nachdem sie
       auf Deutsch unterrichtet wurden. „Besonders meine beiden älteren Töchter.“
       
       Sie erzählte auch von der Entscheidung ihrer Töchter in der siebten und
       achten Klasse, in Deutschland freiwillig das Kopftuch zu tragen. Dies sei
       von ihren Mitschülern und Lehrern mit Verständnis und Respekt aufgenommen
       worden. Für mich war dies zugleich überraschend und beruhigend. Es zeigte
       mir, dass die soziale Akzeptanz in Deutschland möglicherweise größer ist
       als in Syrien heute.
       
       ## Rückkehr – mehr als nur eine geografische Reise
       
       Ich selbst bin kürzlich zweimal nach Damaskus gereist, zuletzt für einen
       einmonatigen Aufenthalt, der eher einem Workshop ähnelte. Die meisten
       meiner Verwandten sind schon lange weg, aber in den jungen Männern und
       Frauen, die ich in Journalismus ausbildete, fand ich eine neue Familie.
       
       Diese Menschen, die an die Kraft des Wortes und seine Fähigkeit zur
       Veränderung glauben, haben mir die wahre Bedeutung der Heimat
       zurückgegeben: Heimat ist Würde, Rechte und Sicherheit. Es sind die
       Familie, die Nachbarn und die Erinnerung, nicht nur ein bloßer Ort.
       
       Obwohl die Meinungsäußerung an einigen Orten wieder möglich geworden ist,
       leben die Syrer immer noch in ihren eigenen Blasen – aus Angst vor
       Angriffen oder Anschuldigungen, genau wie auf den Social-Media-Plattformen.
       Diese Blasen sind das neue Gesicht des Konflikts, der diesmal nicht mit
       Waffen, sondern mit Worten und Haltung ausgetragen wird.
       
       Angesichts der Herausforderungen bei der Sicherheit und in der Politik ist
       die Entscheidung zur Rückkehr nach Syrien mehr als nur eine geografische
       Reise. Sie ist eine Prüfung des Glaubens an die Heimat, an sich selbst und
       an die Zukunft.
       
       Diese Entscheidung wird wahrscheinlich so lange aufgeschoben bleiben, bis
       wahre Gerechtigkeit und umfassende Sicherheit erreicht sind. Erst dann kann
       die Rückkehr wirklich sicher und nicht ein schmerzhaftes Wagnis sein. Denn
       die Heimat, von der wir träumen, ist nicht nur ein Ort, an den wir
       zurückkehren, sondern ein Raum, in dem wir in Würde, Sicherheit und
       Freiheit leben können.
       
       Ein Projekt der [4][taz Panter Stiftung].
       
       24 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Syrischer-Menschenrechtsanwalt-al-Bunni/!5403803
   DIR [2] /Ein-Syrischer-Arzt-kehrt-zurueck/!6087230
   DIR [3] /-Nachrichten-im-Nahostkrieg-/!6101057
   DIR [4] /taz-panter-stiftung/die-taz-panter-stiftung/!v=e4eb8635-98d1-4a5d-b035-a82efb835967/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Amloud Alamir
       
       ## TAGS
       
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