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       # taz.de -- Krise der Klimabewegung: Ja, wir haben enttäuscht
       
       > Fridays for Future hat ihr Potenzial nicht ausgeschöpft. Es ist zentral,
       > die Klimakrise nicht nur als physikalisches Ereignis zu begreifen.
       
   IMG Bild: Klima- und Umweltzerstörung wird aktiv vorangetrieben, FFF-Protest vor dem Kanzleramt in Berlin am 6. November
       
       Fridays for Future ist eine politische Bewegung. Das ist, je nachdem, wen
       man fragt, entweder eine sehr banale oder eine sehr überraschende
       Erkenntnis. Zu Letzteren scheint auch [1][Bernward Janzing zu gehören, der
       in der taz jüngst argumentierte], dass die Klimabewegung schleunigst
       zurückrudern und sich weniger ideologisch – heißt: politisch – ausrichten
       solle. Aber ist das wirklich sinnvoll?
       
       Die Frage beschäftigt viele – und das zu Recht: Wo steht die Klimabewegung?
       Die Massen, die noch vor wenigen Jahren mit Fridays for Future auf die
       Straßen gingen, gibt es heute nicht mehr. Es ist wichtig, ehrlich damit zu
       sein. Die bewegungspolitische und die bundespolitische Lage haben sich
       geändert. Heute auf dieselbe Weise auf die Klimabewegung zu blicken, wie
       wir es 2019 getan haben, wäre unangemessen und zeitvergessen. Die
       Klimabewegung hat sich weiterentwickelt und steht heute an einem anderen
       Punkt.
       
       Wenn die politische Welt sich weiterdreht, liegt es an der Klimabewegung,
       Schritt zu halten. Heute bewegen die Menschen andere Themen als noch vor
       einigen Jahren. Sollte die Klimabewegung sich angesichts dessen – immer
       noch, wieder, ausschließlich? – auf die Kommunikation physikalischer Fakten
       konzentrieren? Nein. Wer denkt, die Klimakrise sei nur eine
       Aneinanderreihung klimaphysikalischer Ereignisse, irrt. Sie ist eine Krise
       der Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Das zu unterschlagen, würde der
       Bewegung zur Last fallen. Das aber deutlich zu machen, kann sie stärken.
       
       Die Klimakrise stellt die Struktur unserer Gesellschaft tiefgreifend in
       Frage. Auf dem Spiel stehen Zukunft, Gerechtigkeit und der Erhalt unseres
       Planeten. Die Klimakrise bedroht akut Menschenleben – besonders dort, wo
       Menschen wenig zu ihr beitragen. Sie stellt deshalb die dringlichsten
       Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit – gerade weil ihre Treiber und ihre
       Hauptbetroffenen selten die gleichen Menschen sind und weil in der
       Konsequenz Ungleichheiten massiv verschärft werden.
       
       Klima- und Umweltzerstörung ist selten neutral; sie wird aktiv
       vorangetrieben. Die Welt, in der die Klimakrise stattfindet und die
       Bedingungen, die sie möglich gemacht haben, sind damit zutiefst moralisch –
       und wenn man so will, ideologisch – geprägt. Klimaschutz ohne Moral, das
       ist am Ende immer eine Chiffre für weniger Klimaschutz, für verkürzten
       Techno-Optimismus und vor allem für eine mangelnde Problemanalyse.
       
       Auch die Anti-Atomkraft-Bewegung hatte diese Macht- und Moralfragen
       erkannt. Es ist verlockend, vergangene Proteste im Sinne der eigenen
       Wünsche zu verklären, aber Parolen wie „Heute Tannen, morgen wir“ zeugen
       auch in der Anti-AKW-Bewegung von einem ähnlichen Bewusstsein wie heute:
       Die Klima- und Umweltbewegung hat schon immer darauf verwiesen, dass sie
       nicht bloß Wissenschaftskommunikation betreibt, sondern auf politische
       Fragen auch politische Antworten fordert. Zu einer „Klimareligion“ oder
       „ideologischen Wundertüte“ macht sie das nicht.
       
       Ein genauer Blick auf die Bewegung zeigt: Die Akteure haben sich in den
       vergangenen Jahren spezialisiert, professionalisiert und organisiert. Statt
       Massenprotesten gibt es jetzt Critical Masses, Baumhausdörfer,
       Ökolandwirte, das Bündnis „Alle Dörfer bleiben“, die Kirchen und Schulen,
       die Solarpanele auf Dächer installieren und diejenigen, die
       Bürgerenergieparks organisieren, genauso wie die, die immer noch mit
       Fridays for Future oder Extinction Rebellion auf die Straße gehen.
       
       Und ähnlich wie in Wyhl – einem konkreten Ort des Anti-Atom-Protests mit
       seinem lokalen, greifbaren Problem – kommen heute verschiedene Gruppen an
       Orten wie Lützerath oder [2][Borkum] zusammen. Ob Naturverbundenheit,
       Gerechtigkeitsfragen oder Bewahrung der Schöpfung: Unterschiedliche
       Menschen haben früher wie heute verschiedene Gründe, sich um das Scheitern
       der Klimapolitik zu sorgen.
       
       Ein ernsthafter Blick auf die Klimabewegung zeigt aber auch: Sie ist ihrem
       Anspruch nicht immer gerecht geworden. Zu lange war und ist sie eine
       Bewegung weißer [3][Akademiker*innen] geblieben, die genau deshalb ihr
       Massenmobilisierungspotenzial nie ganz ausschöpfen konnte. Weil sie oft
       nicht deutlich machen konnte, dass es ihr nicht nur um reine
       klimaphysikalische Graphenkorrektur geht. Wenn die Klimabewegung wieder zu
       neuer Stärke kommen will, dann darf sie gerade nicht den Kardinalfehler
       begehen, sich auf wissenschaftlichen Erkenntnissen auszuruhen.
       
       Stattdessen muss sie deutlich machen, worum es ihr geht: um
       gesamtgesellschaftliche Veränderungen, an deren Ende nicht Klimaschutz um
       jeden Preis steht, sondern ein gutes und sicheres Leben für alle – auch und
       besonders für diejenigen, die heute besonders unter der Klimakrise und
       ihren Folgen, aber auch unter der ungleich verteilten ökonomischen Last von
       Klimaschutzmaßnahmen leiden.
       
       Denn in unserer Gesellschaft findet sich die ideologische Polarisierung,
       die so oft heraufbeschworen wird, kaum. Das Wissenschaftsbarometer 2025
       zeigt: Auf eine umfassende gesellschaftliche Spaltung deutet wenig hin –
       nur auf punktuelle Spannungen und themenspezifische Unterschiede. Wenn die
       Klimabewegung heute Erfolg haben will, muss sie dort ansetzen: bei den
       Schnittmengen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen.
       
       Dann darf sie nicht in vermeintlicher Neutralität versinken, sondern muss
       die Frage nach sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Verbesserung
       in den Mittelpunkt stellen. Sie muss zeigen, dass Menschen bereit sind, die
       Klimakrise auch als ihre Krise zu begreifen. Sie muss ihre Gemeinsamkeiten
       betonen. Dann können Aktivist*innen genauso wie CDU-Mitglieder,
       Landwirt*innen und Grüne wieder gemeinsam für 1,5° C auf der Straße
       stehen. Für einen echten Erfolg müssen wir vor allem wieder die Hand
       zueinander ausstrecken. Und zugeben: Womöglich haben wir dochmehr
       gemeinsam, als wir manchmal denken.
       
       11 Nov 2025
       
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   DIR [3] https://www.cicero.de/kultur/fridays-for-future-clemens-traub-streitschrift-elite-klimawandel
       
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   DIR Carla Reemtsma
       
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