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       # taz.de -- Drummerin Valentina Magaletti in Berlin: Kälte, Krautrock, Kopfkino
       
       > Der Herbst lauert und der Regen zerbröselt die Pläne: Statt Prinzenbad
       > gibt's Krautrock mit Valentina Magaletti im Backsteinboot und Fotos im
       > Gropiusbau.
       
   IMG Bild: Valentina Magaletti mit der Psychpop-Band Vanishing Twin
       
       Eigentlich weiß ich’s ja. Und bin doch wieder verblüfft, wie hinterhältig
       sich die dunkle Jahreszeit anschleicht und plötzlich da ist. Und die
       Strategien zerbröseln lässt, die man sich für den Umgang mit ihr
       zurechtgelegt hat. Öfter an die frische Luft und so.
       
       Eigentlich will ich mich [1][von der Prinzenbad-Saison würdig
       verabschieden], bevor der Sturm samt Temperatursturz kommt. Doch der
       Regenradar mag sich nicht ausmären. Erst scheint es, als gäbe es am
       Donnerstagnachmittag ein Zeitfenster, in dem ich trockenen Fußes hin und
       auch wieder nach Hause komme. Im Becken ist’s schließlich nass und kalt
       genug. Doch es schieben sich immer neue Regencluster über die
       Radaranimation.
       
       Gut für die Gerümpel-Ecken in der Wohnung, in denen sich über den Sommer
       noch mehr angesammelt hat. Weil ich bei den Zwischenstopps zu Hause alles
       nur in die Ecke gefeuert habe. Das Chaos scheint jedoch eher zu wachsen.
       Jede Baustelle, der ich mich widme, schafft eine weitere. So betrachtet
       nicht so schlecht, dass sich auch der nächste Tag als Kruschteltag eignet.
       
       Abends gehe ich dann aber doch vor die Tür, schließlich lockt [2][Valentina
       Magaletti]. An sich ist das nix besonders, da die in London lebende
       Schlagzeugerin in allerhand Projekten mitmischt und öfter mal in Berlin
       auftritt – unlängst etwa mit der Psychpop-Band Vanishing Twin. Aber
       besonders sind Konzerte mit ihr trotzdem. Allein, weil sie immer wieder
       anders auftritt.
       
       ## Mittzwanziger mit Energie
       
       Die Anreise zur Havel-Insel Eiswerder ist herausfordernd und führt durch
       mir fremde Gefilde nördlich der Zitadelle Spandau. Der
       Romy-Schneider-Straße, durch die mich das Handy leitet, fehlt es am
       gebotenen Glamour, das erkenne ich sogar im Dunklen. Ich radele Richtung
       Backsteinboot. Das befindet sich jedoch nicht auf dem Wasser, sondern in
       einer Fabriketage. Im Sommer wäre es auf den zusammengebastelten Möbeln
       davor bestimmt lauschig. Heute muss ich viele Treppen erklimmen, bis es
       gemütlich wird.
       
       Oben angekommen, staune ich über die Mittzwanziger-Energie. Es wird
       geraucht und geschnattert. Der Sound ist erstaunlich retro. Bevor V/Z dran
       sind – für dieses Projekt hat sich Magaletti mit dem Produzenten [3][Susumu
       Mukai alias Zongamin] zusammengetan – spielen Brokenchord-Krautrock der
       kosmischen Art. Die Band ist eigens aus Litauen angereist, vermutlich in
       einem Hippiebus. Manche bewegen sich zu den hypnotisch-halluzinativen
       Klängen, als habe man sie ins Jahr 1970 gebeamt. Die Fusselbärte, die man
       seinerzeit schon trug und die unlängst plötzlich da waren, scheinen bei den
       jungen Leuten von heute wieder aus der Mode zu sein. Zum Glück.
       
       Als sie fertig sind, baut Magaletti kein Schlagzeug auf, sondern nur drei
       schnöde Rototoms und reichlich Elektronik. Schade – wo es doch solchen Spaß
       macht, ihr beim Schlagzeugspielen zuzuschauen. Aber auch so erzeugt sie
       reichlich Betrieb, schickt die Beats durch Hall- und andere Effekte. Das
       Ergebnis ist ausufernd: Dub, Postpunk, Groove. Anything goes, solange es
       flirrt. Zongamin erdet das alles mit seinem Bass.
       
       So spät wie ich nach dieser Expedition zu Hause bin, vertrödelt sich auch
       der nächste Tag im Nu. Immerhin schaffe ich es zu Diane Arbus in den
       Gropiusbau. Was für eine tolle Ausstellung – wie ein begehbares Labyrinth,
       ganz undidaktisch. Die Fotografien, entstanden in den 1950ern und 1960er
       Jahren in unterschiedlichsten Milieus, sind weder chronologisch noch
       thematisch geordnet. Sie hängen scheinbar random herum. Ihren
       Entstehungskontext kann man sich durchs Booklet erschließen.
       
       Oder man kann es bleiben lassen und stattdessen aufs Kopfkino setzen, das
       unweigerlich anspringt. Die Porträtierten wirken immer wieder ganz neu und
       anders – je nachdem, wessen eindringlichen Blick aus dem Foto heraus man
       sich gerade zuvor ausgesetzt hat.
       
       27 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Stephanie Grimm
       
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