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       # taz.de -- Nahostkonflikt an deutschen Unis: Don’t mention the Islamismus
       
       > Die Präsidentin der TU Berlin intervenierte wegen eines Vortrags über
       > Islamismus. Angespannt ist die Situation seit zwei Jahren auch an anderen
       > Unis.
       
   IMG Bild: Umstrittenes Gebiet: Propalästinensische Großdemo und proisraelischer Gegenprotest im September vor der HU Berlin
       
       Die Stimmung im Hörsaal der Berliner Humboldt-Universität ist etwas
       angespannt. Im Vorfeld hat es von verschiedenen Uni-Gruppen Ankündigungen
       gegeben, die für diesen Abend angekündigte Veranstaltung nicht ohne
       „Widerstand“ stattfinden zu lassen. Der Grund? Sie empfinden die beiden
       Rednerinnen und deren Verein als „islamophob“.
       
       Die Veranstaltung beginnt dann aber doch pünktlich. Rednerinnen sind die
       beiden jungen Frauen Fatma Keser und Maria Kireenko. Sie sitzen im Vorstand
       des jüdisch-kurdischen Frauenvereins „Pek Koach“. Übersetzt aus dem
       Kurdischen beziehungsweise Hebräischen bedeutet das „vereint“ und
       „Widerstandskraft“. Sie haben eine Broschüre herausgebracht, die über
       Islamismus aufklären will. Etwas zögerlich beginnt Keser, 1991 als Kurdin
       in der Türkei geboren, ihren Teil des Vortrags. An diesem Abend am Mittwoch
       vergangener Woche scheint es im Hörsaal ruhig zu bleiben.
       
       Dass das nicht selbstverständlich ist, wissen die beiden nur zu gut. An der
       Technischen Universität Berlin (TU) hat der gleiche Vortrag vor einigen
       Wochen für einen Eklat gesorgt. TU-Präsidentin Geraldine Rauch hatte im
       Vorfeld Bedenken geäußert, dass es auf der Veranstaltung zu
       „antimuslimischen Ressentiments“ kommen könnte. Sie kritisierte die
       pauschale Verwendung des Begriffs „politischer Islam“, aus Rauchs Sicht ein
       rechter Kampfbegriff.
       
       Ein in der Wissenschaft geläufiger Ausdruck, kontert Keser hingegen in
       ihrem Vortrag. Anfeindungen ist sie mit ihrer Arbeit schon seit Jahren
       ausgesetzt. Doch Kritik am Islamismus soll ihrer Ansicht nach nicht
       „irgendwelchen AfD-Faschos“ überlassen werden. Denn von Islamismus
       betroffen seien im Alltag seltener rechte Mehrheitsdeutsche als viel
       häufiger andere Menschen mit Migrationsgeschichte – Angehörige von teils
       nicht-muslimischen Minderheiten wie Armeniern, Kurden oder Jesiden.
       
       „Ich habe als Kind Salami gegessen und Miniröcke getragen. Ich wurde von
       muslimischen Mitschülern gemobbt, das haben deutsche Kinder nicht
       abbekommen“, erzählt Keser. In Deutschland würden Bedenken von solchen
       „Minderheiten in den Minderheiten“, wie Keser sie nennt, häufig nicht
       gehört oder in die rechte Ecke gestellt.
       
       ## Verein will überhörte Stimmen stärken
       
       Während der Islamismus [1][von deutschen Linken häufig mit Samthandschuhen
       angefasst wird], um keine Stereotype gegen eine diskriminierte Gruppe zu
       reproduzieren, gehört es zum vollständigen Bild, dass ethnische und
       religiöse Minderheiten in Ländern wie Türkei, Syrien oder Iran selbst
       islamistischer Verfolgung ausgesetzt sind.
       
       Einen Raum für Diskussion zu schaffen, ist das Ziel des Vereins, in dem
       Fatma Keser gemeinsam mit Kireenko Vorstandsmitglied ist. „Unsere Arbeit
       setzt da an, wo Stimmen überhört oder marginalisiert werden“, schreibt Pek
       Koach auf seiner Website.
       
       Fatma Keser kritisiert im Gespräch mit der taz, dass die
       Universitätsleitung der TU im Vorfeld der dortigen Querelen kein direktes
       Gespräch mit dem Verein gesucht habe. Letztlich konnte zwar auch die
       Veranstaltung dort stattfinden. Die beiden Referentinnen fühlen sich von
       der TU-Präsidentin aber vorverurteilt. Eine Anfrage der taz bei der TU
       Berlin blieb unbeantwortet.
       
       TU-Präsidentin Geraldine Rauch [2][stand bereits vor einem Jahr in der
       Kritik,] weil sie antisemitische Tweets mit „gefällt mir“ markiert hatte.
       Nach damaligen Rücktrittsforderungen entschuldigte sie sich und blieb im
       Amt. Am 26. November finden an der TU Präsidentschaftswahlen statt. Rauch
       tritt wieder an, auch wenn ihr Vorgänger Kurt Kuntzler sie wegen ihres
       Umgangs mit der Veranstaltung von Pek Koach aufforderte, nicht erneut zu
       kandidieren. Unter ihrer Führung habe die Universität „schweren Schaden“
       erlitten. Auch die Kurdische Gemeinde Deutschland forderte Rauch nach dem
       jüngsten Vorfall in einem offenen Brief zum Rücktritt auf.
       
       ## Hochschulleitungen zwischen den „Fronten“
       
       Konflikte wie dieser stehen exemplarisch für Herausforderungen, vor denen
       Hochschulleitungen seit dem Hamas-Angriff auf Israel vor zwei Jahren
       stehen. Sie müssen zwischen den Interessen und dem Schutz im Konflikt
       stehender Studierendengruppen abwägen. Sie müssen die Grenzen [3][zwischen
       strafbarer Volksverhetzung und legitimer Meinungsäußerung feststellen] und
       versuchen, zu vermitteln. Wie unterschiedlich Hochschulleitungen den
       Konflikt aufzulösen versuchen, kann man auch am Umgang mit Pek Koach
       erkennen.
       
       Über die geplante Veranstaltung hätten sich etwa 50 Studierende beschwert,
       heißt es von der TU nach Angaben des Tagesspiegel. Die Universitätsleitung
       habe deshalb ihre Bedenken ausgesprochen. Auch die Pressestelle der
       Humboldt-Universität berichtet, sie habe einzelne Beschwerden gegen den
       auch auf ihrem Campus geplanten Vortrag erhalten. Doch im Gegensatz zur
       TU-Leitung hat die Humboldt-Uni bei den Referentinnen und ihrem Verein
       keine Islamfeindlichkeit erkennen können. Sicherheitshalber habe man die
       Veranstalter allerdings daran erinnert, dass „in diesem sensiblen
       Themenfeld schon jede undifferenzierte Aussage zu Missverständnissen
       führen“ könne, erklärte die Humboldt-Uni auf taz-Anfrage.
       
       Die Vorwürfe gegen Pek Koach kommen von pro-palästinensischen Gruppen.
       Solche Gruppen bildeten sich seit 2023 im Zuge des Gaza-Krieges an vielen
       deutschen Hochschulen, an der Technischen Universität unter dem Namen „Not
       in Our Name TU“. Häufig kritisierten sie eine einseitige Solidarität ihrer
       Hochschulleitungen mit Israel und ein Schweigen zu den zivilen Opfern im
       Gaza-Streifen. Insbesondere Studierende mit familiären Verbindungen in die
       Region klagten, sich von ihren Universitäten nicht repräsentiert zu fühlen.
       Viele Hochschulleitungen zeigten sich anfangs gesprächsbereit. Schnell
       fielen viele Gruppen allerdings mit Antisemitismus und fehlender Abgrenzung
       zu Islamismus auf.
       
       Einige Gruppen fordern einen vollständigen Boykott Israels. Im Zuge von
       Hörsaal-Besetzungen und Camps kam es teils zu Aufrufen zur „Intifada“,
       Schmierereien des roten Dreiecks der Hamas und sogar Übergriffen auf
       jüdische Studierende.
       
       In den Augen solcher Gruppen ist der Verein Pek Koach, der sich auch gegen
       Antisemitismus und für das Existenezrecht Israels einsetzt, Teil der
       „zionistischen Lobby“. So wird es in einem entsprechenden Social-Media-Post
       formuliert, der von mehreren pro-palästinensischen Gruppen geteilt wurde.
       
       ## Steigende Zahlen antisemitischer Vorfälle
       
       Insbesondere jüdische Studierende kritisieren die Situation an den Unis
       immer wieder. Die jüdische Studierendenunion Deutschand (JSUD) weist auf
       die drastisch gestiegene Zahl antisemitischer Vorfälle hin. Die
       Organisation RIAS zählte letztes Jahr 450 Fälle allein an deutschen
       Hochschulen, dreimal mehr als noch 2023.
       
       Jüdische Studierende würden ihre Seminare mittlerweile häufiger nach der
       Frage auswählen, ob sie sich dort sicher fühlen könnten. Viele wichen
       vermehrt auf Online-Angebote aus, um sich nicht öfter als unbedingt
       notwendig auf dem Campus aufhalten zu müssen, so der JSUD-Vorsitzende Ron
       Dekel. „Die Hochschulen haben jüdische Studierende in den letzten zwei
       Jahren im Stich gelassen“, sagt er. Immer wieder höre man von jüdischen
       Studierenden, die ihr Studium abbrechen müssten oder ins Ausland
       verlagerten.
       
       Die Hochschulrektorenkonferenz, ein Zusammenschluss deutscher
       Universitäten, betonte zuletzt, die steigenden Zahlen antisemitischer
       Vorfälle sehr ernst zu nehmen. Prävention unterstütze man unter anderem mit
       dem vom Bund geförderten „Kompetenznetzwerk Antisemitismusprävention an
       Hochschulen“.
       
       Wie wichtig es ist, dass Universitäten ihrer Verantwortung gerecht werden,
       zeigt auch der Wirbel um die Veranstaltungen von Pek Koach. Die
       Humboldt-Universität hat den Verein letztlich unterstützt, an der TU hat
       man wohl eher die Veranstaltung selbst als Bedrohung betrachtet.
       
       Der Vortrag von Pek Koach verläuft an diesem Mittwochabend dann ohne
       Zwischenfälle und endet mit Zustimmung und Applaus. Die mehr als 70
       Teilnehmenden sind offenbar hier, weil sie die Problematik des Themas schon
       erkannt haben. Störungen des Vortrags sind dieses Mal ausgeblieben, zum
       Ende macht sich eine erleichterte Stimmung im Hörsaal breit. Einen
       Austausch mit denjenigen, die eine solche Veranstaltung erst gar nicht auf
       ihrem Campus tolerieren wollten, gab es nicht. Unter ihnen redet man
       schließlich nicht mit der „zionistischen Lobby“.
       
       1 Nov 2025
       
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