# taz.de -- Filmfestival Viennale 2025: Filmische Wiederentdeckungen mit historischem Rückgrat
> Bei der diesjährigen Ausgabe prägen Restaurierungen und Neuentdeckungen
> das Programm. Darunter Werke finden sich auch Werke internationaler
> Pionierinnen.
IMG Bild: Filmstill aus der Hongkonger 1960er-Jahre-Produktion „The Arch“ von Tang Shu Shuen (Lisa Lu, r.)
Das wird nie ein guter Film, hatte ihr Professor an der Filmabteilung der
University of Southern California damals zu der Idee gesagt, eine
Kurzgeschichte des sinoamerikanischen Autors Lin Yutang zu verfilmen. Denn
in der Erzählung um den Liebesverzicht einer vorbildlich tugendhaften Witwe
im ländlichen China der Ming-Zeit gab es weder nennenswerte Handlung noch
Dialog. Es war wohl genau dies, was die zum Studium aus Hongkong nach Los
Angeles gekommene „Cecile“ Tang Shu-Shuen reizte.
Sie wollte ihren ersten Film mit Mitteln erzählen, die nur das Kino kennt.
Als sie „The Arch“ ab 1965 in Hongkong realisierte, war sie klug genug, das
ihr vom Studio aufgedrückte Darstellerpaket durch die Besetzung zentraler
Gewerke mit eigensinnigen Künstlern (und zum Teil Studienfreunden) zu
ergänzen: An der Kamera den von Satyajit Rays „Apu“-Trilogie bekannten
Subrata Mitra. Für die expressive Musik den Flötenspezialisten Lui Tsui
Yuen. Und als Editor ihren Ex-Kommilitonen und Dokumentarfilmer Les Blank,
der in der Montage aus dem Geist der kalifornischen Hippieszene ein
psychedelisches Feuerwerk schuf.
So berichtet es Tang Shu-Shuen selbst, die nun als Mitachtzigerin mit ihrem
frisch restaurierten Film bei der Viennale zu Gast war. Dabei punktete sie
mit Humor und beeindruckender Erinnerung an die über ein halbes Jahrhundert
zurückliegenden Ereignisse. Und mit typisch weiblicher Bescheidenheit: Denn
der 1968 veröffentlichte Film der anfangs vom Studio-Establishment
belächelten Jungregisseurin wurde trotz kommerziellen Misserfolgs von
Hongkong als Oscar-Anwärter eingereicht.
## Für viele eine Neuentdeckung
Aus heutiger Perspektive darf ihr filmsprachlich opulentes und
patriarchatskritisches „Period Piece“ als Vorläufer der ein Jahrzehnt
später einsetzenden New Wave des Hongkong-Kinos gelten. Auch bei der
diesjährigen Viennale war „The Arch“, der nach Arbeiten von Esther Eng in
den 1930ern als erster überlieferter Film einer Regisseurin in Hongkong
gilt, für viele eine Entdeckung.
Zusammen mit vier anderen Filmrestaurationen und der (wie üblich gemeinsam
mit dem Filmmuseum veranstalteten) großen, diesmal dem französischen
Filmpoeten Jean Epstein gewidmeten Retrospektive bildete er auch das
historische Rückgrat [1][des über zwei Wochen aufgefächerten
Festivalprogramms]. Dieses allerdings kommt sieben Jahren nach Antritt von
Festivalleiterin Eva Sangiorgi und im ersten Jahr der Präsidentschaft
[2][des deutschen Regisseurs Christian Petzold] trotz formal beständiger
programmatischer Breite praktisch zunehmend reibungsarm daher.
Auch weil das Gartenbaukino als Leitschiff mittlerweile fast ausschließlich
erfolgsträchtigen Arthouse-Vorpremieren von [3][Claire Denis] bis
[4][Richard Linklater] vorbehalten ist, während die sogenannten Nebenreihen
in den zwei intimen Sälen des Metro kaum Chance auf Ausstrahlung in ein
breiteres Publikum haben.
Hier glänzten in zwei der drei „Monografien“ streitbare Regisseurinnen mit
fast fünfzigjährigen Arbeitsbiografien, die bei Angelika Summereder nach
ihrem feministischen True-Crime-Heimat-Gerichtsfilm „Zechmeister“ 1981
allerdings eine 25-jährige Familienpause einschließt.
## Herausfordernde Kurzgeschichten
Auf der Viennale gab es nun die Österreichpremiere ihrer jüngsten Arbeit „B
wie Bartleby“, die in hindernisreichen acht Jahren Produktionszeit als
Vermächtnis ihres verstorbenen Partners Benedikt Zulauf entstand, der
ähnlich wie Tang Shu-Shuen versessen auf die Verfilmung einer
Kurzgeschichte war: Herman Melvilles „Bartleby, der Schreiber“ [5][und ihr
legendäres „I would prefer not to“-Leitmotiv].
Eine herausfordernde Aufgabe, der Summereder sich mit spürbarer
Leidenschaft stellt, indem sie die interpretationsträchtige Short Story in
einen multiperspektivischen performativen Parcours durch die Wiener
Gesellschaft von professionellen Darstellerinnen bis zu Schulmädchen,
Rappern und Obdachlosen schickt – mit einigen Verweisen an die Arbeit von
Jean-Marie Straub und Danièle Huillet.
Die Materialität der Dinge, ihr Verschwinden in der Zeit und die Erinnerung
sind zentrale Topoi im Schaffen der niederländischen Filmemacherin Digna
Sinke, die sich 1990 in ihrem Filmessay „Nothing Lasts Forever“ der
baulichen Archäologie der Industrialisierungsgeschichte ihres Heimatlandes
widmet. Ihren jüngsten Film, „Hemelsleutel/Key to Heaven“, hat sie eher
notgedrungen als hybrides Low-Budget-Stück realisiert, nachdem
Fördervorgaben nicht zu ihren künstlerischen Ansprüchen gepasst hatten.
Nun verkapselt sie ihre Recherche zum Umbau des Amsterdamer Hafens
spielerisch in eine selbstreflexive semifiktionale Konstruktion um eine
imaginierte Fotografin, einen amourös aufgeladenen Ingenieur und drei tote
Männer, von denen zwei autofiktionale Resonanz in die Erfahrungswelt der
Filmemacherin haben: Eine eigensinnige und starke Arbeit. Den in ihren
Heimatländern renommierten Arbeiten von Sinke und Summereder würde man nach
diesem Viennale-Auftritt auch international breitere Aufmerksamkeit
wünschen.
30 Oct 2025
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## AUTOREN
DIR Silvia Hallensleben
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