# taz.de -- Jurist über eigene Rechte für Flüsse: „Die Spree würde den Staat verklagen“
> Eine Petition will dem Fluss zu Rechten verhelfen. Ein Gespräch mit dem
> Juristen Emmanuel Schlichter über die Vision einer Stadt, die ihre
> Wasseradern schützt.
IMG Bild: Insel der Jugend in Berlin-Treptow: Rechte wie Fließen, Existenz und Regeneration
taz: Herr, Schlichter, wenn die Spree vor Gericht sprechen dürfte: Gegen
wen würde sie klagen?
Emmanuel Schlichter: Vermutlich gegen den Staat. Nach der
EU-Wasserrahmenrichtlinie sind Bund und Länder verpflichtet, alle
[1][Gewässer in einen guten ökologischen Zustand zu bringen]. Das ist bei
der Spree größtenteils nicht der Fall. Die Spree könnte also einklagen,
dass diese Pflicht endlich erfüllt wird – und die Behörden auffordern,
gegen die größten Verschmutzer und Belastungsquellen vorzugehen.
taz: Sie fordern [2][in einer Petition], der Spree eigene Rechte zu geben.
Was genau steht da drin?
Schlichter: Wir wollen, dass Berlin gemeinsam mit Brandenburg und Sachsen
ein Gesetz über die Eigenrechte der Spree verabschiedet. Darin wären Rechte
wie Fließen, Existenz und Regeneration verankert. Wahrgenommen würden sie
durch ein Spree-Gremium, das aus Vertreter*innen der Stadt, der
Wirtschaft, der Wissenschaft, des Umweltschutzes und der Anwohner*innen
besteht. Unterstützt von Fachleuten soll dieses Gremium künftig die Stimme
der Spree sein.
taz: Warum sollten Berliner*innen das wollen?
Schlichter: Weil es ein Werkzeug schafft, um über die Zukunft des Flusses
mitzureden. Heute wird über [3][Wasserentnahmen, Einleitungen oder
Bauvorhaben] entschieden, ohne dass die Spree selbst eine Rolle spielt.
Wenn ihre Rechte im Gesetz verankert sind, müssen Behörden sie verbindlich
abwägen. Das kann zu saubererem Wasser, mehr Biodiversität und langfristig
sichererer Trinkwasserversorgung führen.
taz: Können Sie ein Beispiel nennen, in dem so ein Recht etwas verändern
würde?
Schlichter: Bei Genehmigungen etwa. Wenn eine Firma Wasser entnimmt oder
Stoffe einleitet, wird bislang oft nur unzureichend oder gar nicht geprüft,
welche Folgen das für das Ökosystem hat. Mit Rechten der Spree gäbe es eine
Instanz, die solche Verfahren überwacht und im Zweifel eingreifen kann. Das
Spree-Gremium könnte Widerspruch einlegen – und notfalls auch klagen.
taz: Führt das nicht zu noch mehr Bürokratie?
Schlichter: Nein. Das Konzept soll Klagewellen verhindern, nicht erzeugen.
Das Gremium hätte ein Informationsrecht gegenüber Wasserbehörden und könnte
frühzeitig eingreifen, bevor Konflikte eskalieren. Wenn man die Prozesse
transparent macht, spart man am Ende Verfahren und Kosten.
taz: Welche Vorbilder haben Sie?
Schlichter: In Neuseeland gilt der [4][Whanganui-Fluss] seit 2017 als
Rechtsperson, vertreten von einem Rat aus Staat und indigener Bevölkerung.
In Ecuador stehen sogar die Rechte der Natur insgesamt in der Verfassung.
Und in Spanien hat es eine Bürgerinitiative geschafft, 700.000
Unterschriften zu sammeln, um die [5][Lagune Mar Menor] als Rechtssubjekt
anzuerkennen. Vorher war sie sehr belastet, es gab ein großes Fisch- und
Seepferdchensterben. Das spanische Beispiel haben wir als Ausgangspunkt für
unseren Gesetzesentwurf genommen. Solche Beispiele zeigen, dass sich Rechte
der Natur sehr unterschiedlich ausgestalten lassen – aber sie verändern
immer den Blick: Natur wird nicht mehr als Eigentum gesehen, sondern als
Partnerin, mit der wir zusammenleben.
taz: Was unterscheidet die Spree von diesen Fällen?
Schlichter: Die Spree ist ein komplexes System über mehrere Bundesländer.
Viele Akteure haben Zugriff: Wasserbetriebe, Landwirtschaft, Tourismus,
Industrie. Deshalb brauchen wir ein Modell, das alle einbindet. Gerade in
einer Großstadt ist das spannend, weil wir so lernen könnten, wie urbaner
Naturschutz demokratisch funktioniert.
taz: Wo steht die Spree ökologisch gerade?
Schlichter: In einer schwierigen Lage. Noch speist sie sich teilweise aus
dem abgepumpten Grundwasser der Braunkohlegruben. Wenn die Förderung 2038
endet, fehlt dieses Wasser. Dazu kommen Altlasten aus der Lausitz,
Abwasserüberläufe bei Starkregen und Begradigungen, die Lebensräume
zerstören.
taz: Nehmen wir das Beispiel Begradigungen. Warum sind gerade die so
problematisch?
Schlichter: Naturbelassene Flüsse mäandern, verändern sich ständig. In
Deutschland sind aber die meisten Flüsse begradigt, meist aus ökonomischen
Gründen: Gerade Flüsse lassen sich leichter befahren und besser in die
Landwirtschaft einpassen. Heute brauchen wir das kaum noch – aber die
ökologischen Schäden bleiben. In begradigten Flüssen gibt es kaum
Rückzugsorte für Fische oder Brutplätze für Vögel. Ich kenne das gut von
der Isar in Bayern, wo ich viel gearbeitet habe. Dort, wo der Fluss noch
frei fließt, ist er voller Leben, wo er gestaut oder in Beton gezwängt
wird, stirbt er langsam. Wenn man dem Wasser Raum gibt, erholt es sich
schnell – das hat man etwa an der renaturierten Rhône gesehen. Die Natur
weiß, wie sie sich regeneriert, man muss sie nur lassen.
taz: Manche sagen: Damit stellen Sie die Interessen von Fischen über die
von Menschen.
Schlichter: Das stimmt nicht. Wir wollen weg von diesem künstlichen
Gegensatz. Unser Leben hängt von funktionierenden Ökosystemen ab. Wenn wir
den Fluss schützen, schützen wir unsere eigene Lebensgrundlage. Ziel ist,
das zusammen zu denken. Wir wollen nicht die Rechte von Menschen
beschränken, sondern eine Lösung finden, die für alle gut ist.
taz: Wenn die Spree tatsächlich Rechte hätte: Was würde das im Alltag
bedeuten?
Schlichter: Wenn die Rechte der Spree gelten, müsste ihre Stimme bei jeder
Entscheidung gehört werden – bei Bauprojekten am Ufer, bei der Schifffahrt,
bei der Wasserentnahme. Jede Genehmigung wäre an die Frage gebunden:
Schadet das der Spree oder nützt es ihr? Das klingt simpel, würde aber
einen enormen Mentalitätswandel anstoßen.
taz: Sie betonen, dass das Projekt nicht Ihr Einzelwerk ist. Wer steht
hinter [6][„Rechte der Spree“]?
Schlichter: Wir haben das zu dritt initiiert – der Designer Jakob Kukula
mit seinem Symbiotic Lab, die Juristin Franziska Albrecht von der NGO Green
Legal Impact und ich mit dem [7][Verein Rechte der Natur]. Wir sind eine
ehrenamtliche, sehr diverse Gruppe. Neben Jurist*innen arbeiten
Künstler*innen mit, Menschen aus Umweltverbänden, Kommunikation, aus der
Nachbarschaft. Sogar eine Druidin ist dabei, die die
spirituell-philosophische Perspektive einbringt.
taz: Wie ist die Idee entstanden?
Schlichter: Ich saß mit Jakob Kukula auf einem Panel bei einer
Podiumsdiskussion in Neukölln, danach irgendwann gab es in derselben
Location eine Performance: 20 Leute spielten einen Fluss, der verschmutzt
wurde. Am Ende sollten alle Zuschauer*innen aufschreiben, was sie ändern
würden, um den Fluss zu retten. Etwa die Hälfte schrieb: „Wir würden dem
Fluss Rechte geben.“ Ohne von unserem Talk zuvor gehört zu haben. Das war
ein magischer Moment für mich.
taz: Und Sie selbst – haben Sie eine persönliche Beziehung zur Spree?
Schlichter: Ich bin in Zwickau geboren und habe nie direkt an einem Fluss
gelebt. In München war die Isar sehr präsent, in Berlin ist die Spree eher
etwas, das man anschaut. Meine Beziehung ist also eine hoffende. Ich war
einmal bei einer [8][Flussbad-Demo in der Spree] schwimmen – mit
Bodypaint-Aktion. 14 Leute haben sich Buchstaben auf den Bauch schreiben
lassen: „Rechte der Spree“. Das Wasser war kalt, aber erstaunlich sauber.
Danach dachte ich: Vielleicht ist das ja die Zukunft, dass wir wieder
selbstverständlich im Fluss baden.
taz: Wie weit sind Sie mit der Initiative?
Schlichter: Die Petition läuft seit dem 10. Oktober und hat schon mehrere
Tausend Unterschriften. Unser Ziel sind 30.000 bis Sommer 2026. Dann wollen
wir den Gesetzesentwurf offiziell an den Berliner Senat übergeben und das
Gespräch mit Politik und Verwaltung suchen. Wir machen alles ehrenamtlich,
aber das Interesse wächst täglich.
taz: Was wäre Ihr Wunsch, wie die Spree in 20 Jahren aussehen sollte?
Schlichter: Die Vision der Rechte der Natur ist, dass wir uns alle
verantwortlich dafür fühlen. Wir profitieren vom Fluss, aber wir sind auch
alle für ihn verantwortlich. Das würde man in 20 Jahren nicht nur sehen,
sondern auch spüren. Es wäre ein neues Miteinander mit der Spree und den
Ökosystemen in unserem Alltag.
2 Nov 2025
## LINKS
DIR [1] /Renaturierung-von-Fluessen/!6031627
DIR [2] https://weact.campact.de/petitions/rechte-der-spree-anerkennen
DIR [3] /Wasserversorgung-in-Berlin/!6017682
DIR [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Whanganui_River
DIR [5] /Rechte-der-Natur-in-Spanien/!5924146
DIR [6] https://www.rechte-der-natur.de/de/aktuelles-details/rechte-der-spree-initiative-petition-rdn.html
DIR [7] https://www.rechte-der-natur.de/de/aktuelles-details/rechte-der-spree-initiative-petition-rdn.html
DIR [8] /Schwimmdemo-am-Spreeufer/!6095171
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