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       # taz.de -- Oldenburgs Polizeipräsident über Lorenz: „Für die Wut habe ich vollstes Verständnis“
       
       > Die Tötung des Schwarzen Lorenz A. durch einen Polizisten rechtfertigt
       > für Andreas Sagehorn kein generelles Misstrauen gegenüber der Polizei.
       
   IMG Bild: Die Erinnerung verblasst nicht: Grablichter, Erinnerungsfotos und Blumen, am Ort, an dem Lorenz erschossen wurde
       
       taz: Herr Sagehorn, nach der Erschießung von Lorenz A. haben viele Menschen
       in Oldenburg kein Vertrauen mehr in die Arbeit der Polizei. Was hat in
       Ihren Augen dazu geführt? 
       
       Andreas Sagehorn: Das Wichtigste vorweg: Nach wie vor gilt mein Mitgefühl
       der Familie und den Freunden von Lorenz A. Im Nachhinein betrachtet war der
       Tod dieses jungen Menschen ein Schlüsselereignis, nach dem die
       Betroffenheit und auch Wut vieler Menschen in Oldenburg gerade in der
       ersten Zeit spürbar war. Gleichzeitig wurde dieser Vorfall medial in der
       gesamtgesellschaftlichen Debatte zu Polizeigewalt und Rassismus
       aufgegriffen und so das Vertrauen in die Arbeit der Polizei plötzlich
       insgesamt in Frage gestellt. Mit dieser Kritik setzen wir uns natürlich
       auseinander – gleichzeitig möchte ich betonen, dass das Vertrauen in die
       Polizei weiterhin hoch ist. Das spiegelt sich auch im Alltag in Oldenburg
       wider.
       
       taz: Können Sie die Kritik nachvollziehen? 
       
       Sagehorn: Für die Bestürzung und Wut habe ich vollstes Verständnis.
       Schwierigkeiten habe ich mit dem immer wiederkehrenden Vorwurf des
       strukturellen Rassismus. Ich bin überzeugt, dass wir den in der Polizei
       nicht haben. Ich verstehe darunter eine systematische Benachteiligung von
       Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe, die unter anderem in einer
       Institution fest verankert ist. Unsere Organisation ist im Gegenteil auf
       ein offenes Menschenbild ausgerichtet. Wir haben sogar als erstes
       Bundesland eine eigene Studie zum Thema Diskriminierung durchgeführt.
       
       taz: Die Studie benennt mehrere Risikokonstellationen, in denen durch die
       Prozesse in der Polizei Diskriminierung entstehen kann, also, nach Ihrem
       eigenen Verständnis, struktureller Rassismus. 
       
       Sagehorn: Die Diskriminierungsstudie spricht von Diskriminierungsrisiken.
       Das heißt aber nicht, dass am Ende des Prozesses auch tatsächlich eine
       Diskriminierung eintritt. Das ist ein Unterschied. Die Prozesse sind nicht
       darauf ausgelegt, dass am Ende ein rassistisches Verhalten entsteht.
       
       taz: Im Fall Lorenz A. ermittelte die Polizei Delmenhorst und
       [1][inzwischen hat die Staatsanwaltschaft gegen den Schützen Anklage]
       erhoben. Kann die Polizei unabhängig gegen sich selbst ermitteln?
       
       Sagehorn: Aus fachlicher Sicht haben wir kein tatsächliches Problem mit der
       Objektivität, Neutralität oder Professionalität der Ermittlungen. Speziell
       ausgebildete PolizeibeamtInnen ermitteln nicht gegen sich selbst, sondern
       gegen andere. Dabei darf und kann es keine Rolle spielen, dass sich dabei
       um andere PolizeibeamtInnen handelt. Darauf achten wir auch als
       Organisation.
       
       taz: Wenn die Polizei in einem Unternehmen den Verdacht auf eine Straftat
       hat, verlässt sie sich nicht auf interne Ermittlungen. Warum sollte man
       dann den Ermittlungen innerhalb der Polizei blind vertrauen? 
       
       Sagehorn: Wir leben in einem Rechtsstaat, wo gesetzlich geregelt ist, wer
       für die Strafverfolgung verantwortlich ist. Unser Handeln bleibt immer
       überprüfbar. Die Objektivität fängt schon damit an, dass die
       Staatsanwaltschaft die Herrin des Verfahrens ist. Die Polizei kann nicht
       einfach für sich ermitteln.
       
       taz: Die Staatsanwaltschaft ist aber stark abhängig von der Polizei. In der
       Polizeiforschung herrscht auch deshalb weitgehend Einigkeit darüber, dass
       eine unabhängige Ermittlungsstelle eine gute Idee wäre. Sie lehnen das ab. 
       
       Sagehorn: Ich lehne das nicht ab, ich sehe als Fachmann nur keinen Bedarf.
       Es ist eine politisch-ideologische Frage. Wenn die Legislative entscheidet,
       grundlegende Änderungen vorzunehmen, dann akzeptieren wir das auch.
       
       taz: Kann eine unabhängige Kontrolle nicht das Vertrauen in die Arbeit der
       Polizei stärken? 
       
       Sagehorn: Ich ändere das [2][Vertrauensverhältnis zur Polizei] nicht nur
       mit Mitteln der Kontrolle, die im Wesentlichen auf Misstrauen aufbauen. Ich
       glaube, wir haben genug Möglichkeiten, Vertrauen auf andere Weise zu
       erarbeiten.
       
       taz: Schwarze Personen aus Oldenburg berichten der taz von Rassismus durch
       die Polizei. Sie melden solche Vorfälle nicht, weil sie nicht zu der Stelle
       gehen wollen, die sie diskriminiert. 
       
       Sagehorn: Das muss ich ernst nehmen, wenn da Ängste bestehen und eine Hürde
       darstellen. Ich glaube, es braucht Dialog und Begegnungen, um Vorurteile
       abzubauen und Ängste zu nehmen.
       
       taz: Die Personen berichten, dass sie regelmäßig von der Polizei
       kontrolliert werden. Ihre weißen Freunde machen diese Erfahrungen nicht.
       Können Sie ausschließen, dass es in Oldenburg zu [3][Racial Profiling]
       kommt? 
       
       Sagehorn: Ich kann solchen subjektiven Wahrnehmungen nichts entgegnen, weil
       mir die Kenntnis um den konkreten Fall fehlt.
       
       taz: Gibt es konkrete Maßnahmen, um Racial Profiling zu verhindern? 
       
       Sagehorn: Das ist ein wiederkehrender Vorwurf, den wir sehr ernst nehmen.
       Es ist schon grundgesetzlich verboten aber durchaus ein Risiko, welchem wir
       ausgesetzt sind. Gerade bei gesetzlich normierten anlasslosen Kontrollen
       gilt es besonders sensibel zu sein. Wir müssen uns bewusst sein, was eine
       Kontrolle bei der Person verursachen kann. Das heißt nicht, dass wir eine
       Person mit Migrationshintergrund oder eine schwarze Person nicht
       kontrollieren. Aber es muss überprüfbar sein, dass wir nicht aufgrund
       dessen jemanden angehalten haben.
       
       taz: Zum Beispiel durch Kontrollquittungen? 
       
       Sagehorn: Ich glaube, dass das Mindset der KollegInnen, also die
       Sensibilität und Kommunikation, viel überzeugender sein können als eine
       Kontrollquittung.
       
       taz: Genau an dieser Sensibilität gibt es Kritik, zuletzt wegen Chatgruppen
       mit rassistischem Inhalt. Hat die Polizei ein Rassismusproblem? 
       
       Sagehorn: Diese Chatgruppen finde ich schrecklich. Sie stehen im
       Widerspruch zu unseren Werten. Es gilt, dies umfänglich aufzuklären und die
       erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Leider haben diese Fälle dem Ansehen
       der gesamten Polizei Niedersachsen geschadet. Es darf aber nicht dazu
       führen, dass alle PolizistInnen unter Generalverdacht geraten. Wenn ich dem
       überhaupt etwas Positives abgewinnen kann, dann, dass wir die Vorfälle
       selbst festgestellt haben.
       
       taz: Zufällig, im Rahmen anderer Ermittlungen. Warum hat keines der
       Mitglieder diese Inhalte gemeldet? 
       
       Sagehorn: Das ist jetzt auch Gegenstand der Überprüfung. Ich weiß, dass
       diese Vorfälle intensiv aufgearbeitet werden und genau hingeschaut wird.
       Wir als Polizeidirektion Oldenburg nehmen dies zum Anlass, uns noch
       intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen.
       
       taz: Was heißt das konkret? 
       
       Sagehorn: Die Sensibilität erhöhen. Wir müssen die KollegInnen dazu
       bringen, mutig zu sein und so etwas ans Tageslicht zu bringen. Das ist ein
       permanenter Prozess. Wir investieren schon seit Jahren sehr viel für unsere
       Demokratiefestigkeit, etwa durch den flächendeckenden Einsatz sogenannter
       Demokratie-PatInnen. Das sind speziell fortgebildete PolizeibeamtInnen, die
       ihre KollegIinnen auch zu diesem Thema sensibilisieren.
       
       taz: Warum hat das [4][im Fall der Chatgruppen nicht geklappt]? 
       
       Sagehorn: Die Frage stellen wir uns auch. Letztendlich kann niemand
       jemandem hinter die Stirn blicken. Dennoch dürfen wir nicht nachlassen, die
       Kompetenzen unserer Polizistinnen und [5][Polizisten im Sinne ihrer eigenen
       Demokratiefestigkeit] zu erhalten.
       
       6 Nov 2025
       
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