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       # taz.de -- Rechtspopulismus in Litauen: Die Zerstörung des demokratischen Körpers in Litauen
       
       > Die rechte und prorussische Partei Nemuno Aušra gewinnt an Einfluss in
       > dem baltischen Land, auch in der Kulturszene. Künstler:innen haben
       > einen Protestmonat initiiert.
       
   IMG Bild: Der Vorsitzenede der Partei "Morgenröte der Memel", Remigijus Žemaitaitis, während einer Pressekonferenz in Vilnius, Litauen, am 28. Oktober
       
       Es geht ums Ganze, das wollen die litauischen Kulturschaffenden dieser Tage
       mit ihren Aktionen wohl ausdrücken. Zu einem Großstreik rief die
       „[1][Kultūros asamblėja]“ (Kulturversammlung) in Vilnius bereits Anfang
       Oktober auf, nun hat sie einen Protestmonat bis zum 21. November
       angekündigt, weil sie die Kulturlandschaft und die Diskursräume des Landes
       gefährdet sieht. Ein Manifest der Gruppe beginnt mit den Worten: „Es könnte
       das letzte Mal sein, dass… Kultur die gemeinsame Sprache ist, die wir alle
       sprechen/ dass Kultur uns inspiriert, nährt und uns Mut macht…“
       
       Der Auslöser: Nach der [2][Neubildung der Regierungskoalition vor wenigen
       Wochen] ging das Kulturministerium in die Hände der rechtspopulistischen
       und prorussischen Partei [3][Nemuno Aušra (NA)] über. Die Partei ernannte
       Ignotas Adomavičius zum Kulturminister, der zuvor in der
       Lebensmittelbranche gearbeitet hatte und lange wenig mit der Kultur zu tun
       hatte.
       
       Erste Proteste gegen die Besetzung formierten sich bereits vor dessen
       Amstantritt am 25. September. Sie waren erfolgreich: Nach nur neun Tagen im
       Amt trat Adomavičius zurück, das Ministerium wird nun interimsmäßig
       geführt.
       
       Für den Filmregisseur und Politikwissenschaftler Karolis Kaupinis, der die
       Proteste mitorganisiert hat, kann das aber nur ein Anfang sein: „Diese
       Partei steht für die Zerstörung des demokratischen Körpers, den Angriff auf
       die Institutionen und die völlige Spaltung der Gesellschaft“, meint er.
       „Wir wollen, dass die Menschen im ganzen Land aktiv werden und aufstehen
       gegen die Politik von Nemuno Aušra“, sagt Kaupinis.
       
       Die umstrittene Besetzung des Kulturministeriums ist tatsächlich Symbol für
       eine größere politische Krise in Litauen. Nach der Wahl Ende vergangenen
       Jahres gingen die litauischen Sozialdemokraten (LSDP) eine Koalition mit
       Beteiligung der Rechtsaußen-Partei Nemuno Aušra ein. Die Partei fällt auch
       durch russlandfreundliche Politik auf – in Litauen eigentlich ein Tabu.
       
       „Die Mitglieder unterstützen die Sanktionen gegen Russland nicht, wollen
       ukrainische Symbole aus öffentlichen Gebäuden verbannen und sind gegen die
       Unterstützung der georgischen Proteste“, erklärt Kaupinis. All das spiele
       Russland in die Hände. Er sei selbst seit acht Jahren in der
       Freiwilligeneinheit Litauische Schützenunion und bereit, das Land zu
       verteidigen. „Jetzt scheint es mir, als hätten wir freiwillig das Tor für
       das Trojanische Pferd geöffnet.“
       
       Gegründet worden ist die Nemuno Aušra („Morgenröte der Memel“) erst 2023.
       Der Jurist Remigijus Žemaitaitis aus Vilnius rief die Partei ins Leben,
       nachdem seine vorherige Partei ihn im Mai 2023 wegen antisemitischer
       Äußerungen rausgeworfen hatte. Deshalb läuft auch noch ein
       Gerichtsverfahren gegen ihn.
       
       Das Programm der NA ist mit dem der AfD hierzulande vergleichbar, auch
       dürfte die Ähnlichkeit im Namen zur griechischen Partei „Goldene
       Morgenröte“ kein Zufall sein. Bei der Wahl im vergangenen Jahr kam die NA
       auf 15 Prozent, sie hält 20 Sitze im litauischen Parlament Seimas.
       
       Auch Gintarė Masteikaitė hat die Proteste gegen die NA mitinitiiert.
       Masteikaitė ist Leiterin des Lithuanian Dance Information Centre und
       Organisatorin der Performance- und Tanzfestivals Festivals New Baltic Dance
       in Vilnius und ConTempo in Kaunas. Derzeit sei die Kultūros asamblėja
       dabei, den Widerstand gesellschaftlich breiter aufzustellen, erklärt sie:
       „Wir haben uns mit Verantwortlichen aus den Bereichen Sport,
       Gesundheitswesen, Landwirtschaft, Bildung und vielen anderen getroffen, um
       gemeinsame Ziele zu formulieren.“
       
       Die Rechtspopulisten in der Regierung seien ein Problem, das alle betreffe.
       „Sie betreiben destruktive Politik, stehen für einen respektlosen Umgang
       miteinander.“ Der zurückgetretene Minister Adomavičius verbreite noch jetzt
       Fake News über ihre Institution, behaupte, sie gebe eine halbe Million Euro
       für eine einzige Tanzaufführung aus.
       
       Langfristig will die Protestbewegung die politische Kultur in Litauen
       insgesamt verbessern. „Veränderung ist möglich, das haben wir aus der
       Geschichte unseres Landes gelernt“, sagt Masteikaitė, „es fühlen sich
       derzeit viele an 1988 erinnert.“ Sie spielt damit auf die
       Bürgerrechtsbewegung Sąjūdis an, die sich damals formierte und die
       Unabhängigkeit des Landes erkämpfte.
       
       Sie haben also Größeres im Sinn, die Aktivist:innen von Kultūros asamblėja.
       Wenn man so will, soll aus dem Protestmonat eher ein Protestwinter werden:
       Anfang Dezember will man ein Treffen mit zivilgesellschaftlichen
       Akteur:innen [4][aus der Slowakei], Ungarn, Georgien und Moldau
       organisieren, im Januar soll es ein großes Konzert in Kaunas geben.
       
       Die Kulturszene hat nun aber erst mal eine Aktion unter dem Motto „Ich
       werde bis zum Ende durchhalten. Und du?“ ins Leben gerufen, bei der
       Menschen in verschiedenen Städten für Kultur und gemeinsame Werte eintreten
       werden, indem sie sich vor öffentlichen Gebäuden versammeln.
       Durchhaltevermögen werden sie wohl auch brauchen in Litauen.
       
       31 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://kulturosasambleja.lt/
   DIR [2] /Neue-Regierungschefin-Litauens/!6106554
   DIR [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Nemuno_au%C5%A1ra
   DIR [4] /Kulturabbau-in-der-Slowakei/!6048785
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
       
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