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       # taz.de -- Digitale Plattformen sollen bezahlen: Leitplanken für digitale Medienvielfalt
       
       > Große Plattformen gewinnen immer mehr Einfluss auf die Medienlandschaft,
       > doch bei ihrer Regulierung gibt es Lücken. Ein Gesetz soll das jetzt
       > ändern.
       
   IMG Bild: Genau wie für Straßen muss es auch für den digitalen Verkehr klare Regeln geben, fordert Medienstaatssekretärin Heike Raab
       
       Wer im Straßenverkehr unterwegs ist, kennt Regeln: rechts vor links, bei
       Rot halten, am Zebrastreifen auch. „Undenkbar, dass die Bundesregierung
       sagen würde: Wir stellen Bundesstraßen und Landstraßen zur Verfügung, aber
       wie man darauf fährt, ist völlig egal“, sagt Heike Raab, Koordinatorin der
       Rundfunkkommission der Länder und Medienstaatssekretärin von
       Rheinland-Pfalz.
       
       „Plattformregulierung muss man sich wie die Straßenverkehrsordnung
       vorstellen“, erklärt sie im Gespräch mit der taz. Genau wie auf den Straßen
       brauche es im digitalen Raum klare Regeln. Doch: „Wenn es um Inhalte geht,
       befinden sich die Plattformen quasi in einer völligen
       Verantwortungslosigkeit.“
       
       Mit dem [1][Digitale-Medien-Staatsvertrag (DMStV)] wollen die Länder das
       nun angehen. An der neuen Medienordnung für das digitale Zeitalter arbeitet
       die Rundfunkkommission seit Februar 2025, im Sommer 2026 soll es eine
       Einigung geben. Das Ziel: „Ein Regelwerk, das den US-Tech-Giganten etwas
       entgegensetzt, neue Regeln für den Jugendschutz schafft und journalistische
       Inhalte auf Plattformen stärkt“, sagt Raab.
       
       Der neue Vertrag soll den bisherigen Medienstaatsvertrag fortschreiben, der
       seit 2020 gilt. Er enthält Regeln und Pflichten des Rundfunks, digitaler
       Dienste und Telemedienanbieter in Deutschland. Wegen des digitalen Wandels,
       allen voran bei sozialen Medien und künstlicher Intelligenz, ist ein neuer
       Rechtsrahmen nötig. Er soll die Erstellung, Verbreitung und die Aufsicht
       über Medien umfassen.
       
       ## Stabile Finanzierung freier Medien
       
       Der erste Teil des neuen DMStV befasst sich mit der Umsetzung von
       EU-Gesetzen und Richtlinien wie dem European Media Freedom Act und der
       EU-Verordnung für den Einsatz Künstlicher Intelligenz (AI Act). Der zweite
       Teil setzt nationale Schwerpunkte: eine stabile, langfristige Finanzierung
       freier Medien und journalistischer Angebote, faire Wettbewerbsbedingungen
       und neue Regeln für internationale Plattformen.
       
       Ein Vorschlag, der bereits über den Vertragsentwurf hinaus Wellen
       geschlagen hat, ist die Einführung einer Digitalabgabe. Deren Prüfung ist
       auch im Koalitionsvertrag festgelegt. Zuletzt sprach sich auch
       Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (CDU) dafür aus. In einem
       Stern-TV-Interview im Sommer nannte er einen „moderaten und legitimen“
       Abgabesatz von zehn Prozent, den der Bund prüfen wolle. Wenn große
       Tech-Konzerne journalistische Inhalte auf ihren Plattformen verwenden,
       sollen sie dafür zahlen.
       
       In Österreich gibt es eine ähnliche Plattformabgabe bereits, große
       Onlineplattformen müssen fünf Prozent ihrer Einkünfte aus der
       Werbevermarktung abführen. Wie die Abgabe in Deutschland ausgestaltet
       werden würde und wer von ihr profitieren könnte, wurde noch nicht
       ausgehandelt, so Raab. Die Länder suchten aber nach einer Lösung, die die
       flächendeckende Versorgung von verlässlichen Medien garantiere. Ähnliches
       fordert auch Verdi: Bund und Länder hätten dafür zu sorgen, dass
       Digitalplattformen angemessen besteuert werden, so die [2][Gewerkschaft in
       ihrer Stellungnahme] zum DMStV vom Juli.
       
       Wichtige Änderungen sieht der DMStV bei Werbevorschriften vor, denn Werbung
       ist für die Finanzierung von Medien essenziell. Die starren Vorschriften
       aus der linearen Fernsehzeit sollen überarbeitet werden. Raab betont, dass
       „qualitative Bestimmungen und Verbote“ erhalten bleiben sollen. Diese
       betreffen „entwicklungsbeeinträchtigende Werbung“ wie etwa sexualisierte
       oder gewaltvolle Inhalte. „Aber bei den quantitativen Bestimmungen wie den
       Werbezeitbeschränkungen im Fernsehen kann es Lockerungen geben“, so Raab.
       Im Entwurf für den DMStV wird vorgeschlagen, das Verbot regionalisierter
       Werbung zu prüfen. Momentan dürfte ein Werbespot für ein Thüringer
       Schokoladengeschäft nicht im nationalen TV oder Radio laufen.
       
       ## Innovation bezuschussen
       
       Verdi fordert zusätzliche Finanzierungswege für Medien, etwa eine
       „staatlich finanzierte, aber von einer unabhängigen Stelle vergebene,
       verbreitungswegunabhängige Journalismusförderung“, die Produktion und
       Innovation bezuschusst.
       
       Die Rundfunkkommission will außerdem die Sichtbarkeit von journalistischen
       Inhalten sichern. Denn schon jetzt ist klar: Algorithmen der sozialen
       Medien und KI-gestützte Anwendungen wie ChatGPT oder Perplexity verändern
       Informationswege. KI, beispielsweise in der Google-Suche, könnte zu
       massiven Reichweiteverlusten bei Verlagen und Sendern führen. „Wir sehen
       schon jetzt, dass sich der Traffic von den Medienseiten wegbewegt, weil
       Plattformen die Nutzerinnen und Nutzer absorbieren“, so Raab. Daher ist das
       Ziel der Rundfunkkommission: Inhalte privilegieren, die journalistischen
       Sorgfaltspflichten entsprechen und gleichzeitig Desinformationen und Fake
       News regulieren. Dazu sollen die Plattformen gesetzlich verpflichtet
       werden. Möglich wäre laut DMStV-Entwurf zudem, die KI-Plattformen zu
       verpflichten, Links zu setzen und Quellen anzugeben oder eine für
       KI-generierte Inhalte verantwortliche Person zu benennen.
       
       Für all das seien sowohl „Eile als auch Sorgfalt geboten“, so Verdi in
       seiner Stellungnahme. Die Gewerkschaft fordert zudem, KI auch in anderen
       Bereichen zu regulieren. Beispielsweise sei der Einsatz von
       KI-Überwachungssoftware wie Palantir durch Landespolizeien weder mit dem
       Redaktionsgeheimnis noch mit dem European Media Freedom Act vereinbar.
       
       Ein weiterer Schwerpunkt des neuen DMStV ist das Medienkonzentrationsrecht,
       das dafür sorgt, dass kein einzelnes Medienunternehmen zu viel Einfluss
       erlangen darf. Es reguliert vor allem den Fernsehmarkt und verhindert
       häufig die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Sendern. Das
       soll die Meinungsvielfalt in Deutschland erhalten. Weil die Macht sich
       durch die digitalen Medienmärkte verschiebe, müsse das Konzentrationsrecht
       reformiert werden, so Raab.
       
       ## Deutsche Kleinstaaterei
       
       Sie warnt vor neuen Machtzentren: „Nehmen wir an, Jeff Bezos würde nach der
       [3][Washington Post] nun auch deutsche Medienhäuser und Online-Plattformen
       kaufen. Das würde die Medienmacht hier erheblich verändern.“ Bisher gebe es
       in einem solchen Fall keine rechtliche Handhabe. Künftig müsse stärker
       geprüft werden, „wer eine ökonomische Ressourcenmacht und Verdrängungskraft
       entwickelt, die unsere demokratische Medienordnung gefährden könnte“.
       
       Auch die Medienaufsicht soll mit dem DMStV reformiert werden. Die
       dezentrale Aufsicht, zusammengesetzt aus den 14 Landesmedienanstalten,
       prüft, ob ein Medium zu viel Macht hat, kümmert sich um Lizenzfragen und
       die Programmaufsicht. Mit der Reform sollen laut Entwurf „effektive
       Maßnahmen gegen rechtswidrige Inhalte auf Plattformen“ hinzukommen. Raab
       fordert auch eine Stärkung der Zusammenarbeit. „Es ist ja undenkbar, dass
       die Medienaufsicht in NRW bei einer Plattform, die international agiert,
       anders entscheidet als etwa die Medienaufsicht in Niedersachsen.“ Es
       brauche einheitliche Regeln auf Basis des EU-Rechts, abgestimmt mit dem
       Bund.
       
       „Die Regeln, die wir da aufstellen, sind keine, die wir aus der Luft
       greifen, sondern das ist eine demokratische, freiheitliche Regelordnung“,
       sagt sie. Die EU sei schließlich eine Werteunion, und in diesem Sinn müsse
       auch „der Content-Traffic auf den Plattformen reguliert“ werden. Was die
       Frage der Verantwortung der Plattformen angeht, sieht sie die Welt am
       Scheideweg: Gerade wird entschieden, wo Tempolimits, Leitplanken und
       Stoppschilder für den digitalen Datenverkehr und die Plattformen gesetzt
       werden. Wie gut sie funktionieren und ob sie den großen Tech-Konzernen
       Einhalt gebieten können, müsse sich zeigen.
       
       Ein Blick zu den Gerichten hilft aber, die aktuelle Lage einzuschätzen:
       Erste Richter erließen bereits Unterlassungsansprüche gegen KI-generierte
       Inhalte, jüngst im Fall des Synchronsprechers Manfred Lehmann. Der hatte
       vor dem Landgericht Berlin Recht bekommen, seine KI-generierte Stimme darf
       auf YouTube nicht ohne seine Einwilligung verwendet werden. Raab hält das
       für konsequent. „Warum sollen für KI-Inhalte nicht auch Maßgaben wie
       journalistische Sorgfaltspflichten gelten?“
       
       8 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://rundfunkkommission.rlp.de/fileadmin/rundfunkkommission/Dokumente/DMStV_1/DMStV_Synopsen/Diskussionsentwurf_Synopse_Anhoerung_9_MAEStV.pdf
   DIR [2] https://medien.verdi.de/ueber-uns/nachrichten/++co++6a3aae26-6de0-11f0-9d04-1bd0a745501f
   DIR [3] /Bezos-zensiert-seine-Washington-Post/!6069898
       
       ## AUTOREN
       
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