# taz.de -- Debatte über transatlantisches Vertrauen: Reeducation – diesmal aber als Farce
> Der Aufstieg der Rechten wirft das Verhältnis zwischen Europa und den USA
> in die Krise. Eine Konferenz lud zu Kritik der „transatlantischen
> Vernunft“.
IMG Bild: Zerbeult, abe fahrtüchtig? Fotograf Christian Werner hat Bilder für die Konferenz beigesteuert: „A Little Rusty“, New York 2004
Über das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA lässt sich viel sagen.
Es lässt sich sagen, dass es schon mal schlechter darum stand, nämlich als
die USA Mitte des vergangenen Jahrhunderts Nazideutschland bekriegten,
genauso wie es schon mal besser aussah, nämlich in der gesamten
Nachkriegszeit, bis heute. Einen [1][neuen Tiefpunkt] markierte jene
berühmte Rede, die US-Vizepräsident J. D. Vance im Februar auf der Münchner
Sicherheitskonferenz hielt. Vance unterstellte den Europäern darin Defizite
in der Demokratie und Meinungsfreiheit – während seine Regierung in den USA
gerade diese beiden zivilisatorischen Errungenschaften mit der
[2][Abrissbirne] bearbeitet. Es war die Wiederkehr der Reeducation, aber
diesmal als Farce.
Mit Vergangenheit und Gegenwart des transatlantischen Verhältnisses
beschäftigte sich von Donnerstag bis Samstag eine Konferenz in Berlin. Es
gab Beiträge aus Deutschland, Europa und den USA. „Eine Kritik der
transatlantischen Vernunft“ beraumten die Organisatoren an, darunter der
Kulturwissenschaftler [3][Philipp Felsch] von der HU Berlin und der
Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller von der Princeton University.
Unklar blieb, was mit „transatlantischer Vernunft“ gemeint sein soll – und
ob sie je geherrscht hat. Der Begriff erinnert jedenfalls an Max
Horkheimers Kritik der „instrumentellen Vernunft“, also ein lediglich auf
Nützlichkeit und Effizienzmaximierung getrimmtes Handeln, das seine eigenen
Zwecke nicht mehr ethisch prüft. Und ja, dieser Anklang mag treffend sein,
wenn man etwa die Verflechtungen von Kapital, Industrie und Militär
zwischen Washington und Berlin untersucht.
## Ambivalentes Identifikationspotenzial
Auf Vernunft reduzieren lässt sich das Verhältnis aber auch nicht. War da
nicht auch immer viel Gefühl im Spiel? Viel Bewunderung, Neid und Abscheu?
In seinem Vortrag am Donnerstagabend blickte der Kulturkritiker
[4][Diedrich Diederichsen] auf das 20. Jahrhundert und die Zeit des Kalten
Krieges. Er führte an, dass die USA aus deutscher oder europäischer
Perspektive nicht nur ein massives Identifikationspotenzial boten, sondern
die Möglichkeit der Gegenidentifikation gleich mitlieferten. Wem die USA
nicht als Land des Fortschritts und der Freiheit taugten, konnte sich
stattdessen zu der Marxistin Angela Davis oder dem Kampf [5][Ho Chi Minhs]
gegen den US-Imperialismus bekennen. Eine derart „gespaltene Kultur“ gab
anderswo nicht, sagte Diederichsen. Wer sich mit Maos China oder Enver
Hoxhas Albanien identifizierte, schluckte diese Länder vielmehr als Ganzes.
Andersherum erkannten die Herrscher in Washington während des Kalten
Krieges, dass sich die strahlkräftigen Kulturexporte vortrefflich zu
Propagandazwecken eigneten. In der jungen Bundesrepublik setzten die USA
auf abstrakte Kunst als Werkzeug der Reeducation, so etwa bei den ersten
Ausstellungen der Kunstmesse documenta in Kassel [6][in den 1950ern.]
Damals förderten die US-Regierung und die CIA auf der Ausstellung die
Gemälde Jackson Pollocks. Ästhetisch soll Präsident Truman nicht von
Pollocks Farbspritzern angetan gewesen sein, sagte die Kunsthistorikerin
Birgit Jooss in ihrem Vortrag. Doch der abstrakte Stil eignete sich in
Abgrenzung zum Realismus der Nazis wie der Sowjetunion.
Andersherum war Deutschland nach der Nazizeit selbst auf „Imagepflege“
bedacht. In seinem Buch „Absolution?“ hat der Politikwissenschaftler
[7][Daniel Marwecki] gezeigt, wie die Adenauer-Regierung Beziehungen zum
jungen Staat Israel aufbaute, um sich moralisch reinzuwaschen und die
Westbindung mit den USA zu zementieren. Der Historiker Jacob Eder schloss
mit seinem Vortrag implizit an Marwecki an: Als in den 1970ern und 1980ern
ein neues Gedenken an die Shoah einsetzte, sträubten sich konservative
Kräfte um Bundeskanzler Helmut Kohl dagegen.
Ein Fallbeispiel: Der Bau des Holocaustmuseums in Washington D.C., dessen
Grundstein 1988 gelegt wurde. Kohl und Konsorten, sagte Eder, sahen das
Museum als „antideutsches“ Projekt und sorgten sich um den jüdischen
Einfluss in den USA, den sie als Grund für den Bau sahen. Ein Angebot der
deutschen Regierung, bis zu 50 Millionen Dollar zu spenden, damit das
Museum einen größeren Fokus auf den deutschen Widerstand und die guten
Beziehungen zu Israel legen mögen, war nicht erfolgreich.
Die zentrale Ironie der heutigen transatlantischen Beziehungstherapie ist
aber vielleicht diese: Während sich etablierte Transatlantiker enttäuscht
von den USA abwenden, knüpfen die Rechten neue Bande. [8][J. D. Vance]
kommt ja nicht nur als Provokateur nach Europa, sondern auch als
Netzwerker. Umgekehrt hat ein großer Teil der deutschen Rechten ihren
traditionellen Antiamerikanismus abgelegt und blickt mit Begeisterung auf
die große MAGA-Show. Gegen das Faszinosum USA ist anscheinend kaum jemand
wirklich immun. Mit Vernunft hat auch das freilich gar nichts zu tun. Zu
kritisieren gibt es mehr denn je.
3 Nov 2025
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