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       # taz.de -- Naumburger Altar zieht nach Rom: Modernes Marienbild muss weichen
       
       > Der Naumburger Cranach-Altar, komplettiert durch ein zeitgenössisches
       > Bild, ist so groß wie einst das Original. Jetzt stört er angeblich die
       > Sicht.
       
   IMG Bild: Der Cranach-Triegel-Altar aus dem Dom von Naumburg steht nun für zwei Jahre in der Kirche Santa Maria della Pietà in Rom
       
       Es ist schon bizarr in diesen säkularen Zeiten: Da streitet man sich jetzt
       um den Altar einer Kirche, die seit Jahren Unesco-Welterbe ist und also
       Touristenattraktion – und argumentiert plötzlich damit, dass die Kirche ein
       sakraler Raum sei, kein Museum. Die Rede ist vom
       Cranach-Triegel-Altaraufsatz im Naumburger Dom, der für zwei Jahre nach Rom
       wandern soll.
       
       Pilgerschaft von Ausstattungsstücken aus Kirchen ist kein Novum, wohl aber
       die Vorgeschichte dieses Exils: Zwischen 1517 und 1519 schuf Lucas Cranach
       d. Ä. für den Westchor des damals noch katholischen Doms einen
       dreiflügeligen Marienaltar: im Mittelteil vermutlich eine Marienszene, auf
       den Seitenflügeln Heilige und StifterInnen. Den Reformatoren galt
       Marienverehrung dann als Frevel. Der Mittelteil überstand deren Bildersturm
       1541 daher nicht, der Dom wurde protestantisch.
       
       Ddie Lücke am Cranach-Retabel blieb, und warum, so dachte das Naumburger
       Domkapitel vor einigen Jahren, sollte man den Altar nicht um
       Zeitgenössisches ergänzen? Kurzum, man beauftragte Michael Triegel, einen
       Vertreter der Neuen Leipziger Schule, einen neuen Mittelteil zu schaffen.
       Im Juni 2022 war das Bild fertig, auch Dietrich Bonhoeffer war abgebildet
       sowie der Bettler Burkhard Scheffler, der Ende 2022 am Rand des
       Petersplatzes erfror. Ein waches, zeithistorisch bewusstes und
       sozialkritisches Bild.
       
       Allerdings, das Cranach-Triegel-Projekt war nicht mit dem Denkmalschutz
       besprochen. Streit entbrannte – etwa über die Frage, ob der Mittelteil
       einst wirklich eine Marienszene zeigte. Vor allem verdeckt laut Icomos, dem
       International Council on Monuments and Sites, für die Einhaltung der
       Welterbe-Kriterien zuständig, der nun (wieder) mächtige Altar die Sicht auf
       die berühmten steinernen Stifterfiguren, Uta von Naumburg und Markgraf
       Ekkehard II. von Meißen. Ihretwegen war der Naumburger Dom 2018 Welterbe
       geworden. Die Figuren schauen aus der Höhe zum Altar, werden das auch beim
       Original getan haben – sich als Stifter der heiligen Maria anbefehlend, um
       ob ihrer Gaben vielleicht der Hölle zu entkommen.
       
       ## Angst vorm Verlust des Welterbe-Status
       
       Aber wie um den Bildersturm zu re-enacten, streitet man nun erneut über den
       Marien-Mittelteil. Und ob Icomos explizit mit Entzug des Welterbe-Status
       drohte oder ob man das nur fürchtet: Der Altar muss weg, möglichst weit,
       nach Rom. In der katholischen Marienkirche wird er dort stehen, auf dem
       Gelände des Campo Santo Teutonico – einem Friedhof, auf dem deutsche
       Katholiken bestattet sind. Da bleibt er erstmal bis 2027, bis eine Lösung
       in Deutschladn gefunden ist.
       
       Anderseits ist der Ort gar nicht so abwegig, war der Altar ja einst
       katholisch gedacht. Außerdem – aber das kam erst später heraus – liegt der
       von Triegel porträtierte Bettler auf ebenjenem Friedhof begraben. Eine
       berührende Koinzidenz. Ob Transport und Umlagerung dem Altar
       konservatorisch guttun, scheint bei alldem unerheblich, es geht ja ums
       Prinzip.
       
       Und auch wenn die Angelegenheit nicht die Brisanz hat wie Emmanuel Macrons
       Plan, den [1][empfindlichen Teppich von Bayeux aus dem 11. Jahrhundert aus
       politischen Gründen nach Großbritannien zu verleihen]: Kann es wirklich
       sein, dass dies eine Retourkutsche für das unbotmäßige Naumburger
       Domkapitel ist? Das möge Gott verhüten.
       
       4 Nov 2025
       
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