# taz.de -- Barauszahlung von Sozialleistung: Ohne Konto keine Kohle?
> Eine geplante Gesetzesänderung kann fatale Folgen für Obdachlose haben:
> Ab dem nächsten Jahr sollen Sozialleistungen nicht mehr bar ausgezahlt
> werden.
IMG Bild: Ohne Konto gibt es in Zukunft wohl nicht mal mehr Kleingeld vom Amt
Auf den ersten Blick klingt es harmlos. Mit dem geplanten
[1][Anpassungsgesetz des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI)] soll die
Sozialverwaltung effizienter, digitaler und weniger bürokratisch werden.
Aber eine Änderung könnte insbesondere obdachlosen Menschen das Leben
schwer machen.
Denn laut dem Gesetzentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium soll die
„Auszahlung von Geldleistungen nach dem SGB VI zukünftig nur noch unbar auf
ein Konto bei einem Kreditinstitut erfolgen“. Das bisher bestehende
Wahlrecht, Sozialleistungen entweder auf ein Konto oder in bar zu
verlangen, soll künftig entfallen.
Bislang gibt es unter anderem die Möglichkeit der sogenannten
Zahlungsanweisung zur Verrechnung (ZzV) über die Postbank. Menschen ohne
eigenes Konto, aber mit Anspruch auf Sozialleistungen können sich von der
Bundesagentur für Arbeit oder den Jobcentern eine Art Papierscheck holen.
Damit können sie sich in Postbankfilialen Leistungen bar auszahlen lassen.
Doch die Postbank stellt dieses Verfahren [2][zum Ende des Jahres komplett
ein.]
## Anspruch auf ein Basiskonto
Das nimmt die Bundesregierung nun zum Anlass, das Wahlrecht abzuschaffen.
Im Gesetzentwurf heißt es: „Die ZzV wird künftig nicht mehr angeboten und
ein vergleichbares Produkt ist auf dem Markt derzeit nicht zu finden.“
Personen, die Sozialleistungen empfangen, stünde „somit im Regelfall nur
noch die kostenfreie Überweisung auf das Konto zur Verfügung“. Weiterhin
können sie aber das Konto einer Vertrauensperson oder eines
Wohlfahrtverbandes angeben.
Zudem bleibt auch eine Härtefallregelung erhalten, etwa wenn Betroffene in
einer Einzelfallprüfung „nachweisen, dass ihnen die Einrichtung eines
Kontos bei einem Geldinstitut ohne eigenes Verschulden nicht möglich ist“
oder die Auszahlung der Leistungen keinen Aufschub duldet. Im Gesetzentwurf
der Bundesregierung wird auch darauf hingewiesen, dass rechtlich schon
jetzt „alle Verbraucher mit rechtmäßigem Aufenthalt in der Europäischen
Union einschließlich Personen ohne festen Wohnsitz […] einen Anspruch auf
Abschluss eines Basiskontovertrages“ haben.
## Praktiker warnt vor den Folgen
Doch bei einer Anhörung im Bundestag warnte am Montag Martin Kositza von
der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) vor einem sozialen
Ausschluss. Die geplante Änderung, werde „den Zugang zu Leistungen
erschweren“ und stelle eine „zusätzliche Hürde“ für Menschen ohne Konto
dar, erklärte Kositza, der als Sachverständiger geladen war. Trotz des
gesetzlichen Anspruchs auf ein Basiskonto gelinge es Betroffenen in der
Praxis häufig nicht, ein Konto zu eröffnen. Die Barauszahlung sei für
manche Menschen ohne Konto die einzige reale Möglichkeit, ihre
Sozialleistungen zu erhalten.
Kositza veranschaulichte seine Bedenken anhand eines Fallbeispiels aus der
Praxis: Herr S. wurde depressiv, nachdem er seinen Vater gepflegt hatte und
dieser irgendwann verstarb. Herr S. verlor seine Wohnung und wurde
obdachlos. Als er sich wieder etwas fing, versuchte er, ein Konto bei einer
Bank zu eröffnen. Dies wurde ihm verwehrt wegen Schulden und fehlender
Meldeadresse – doch diese Absage bekam er nur mündlich. Der Sachverständige
Kositza bezweifelt, ob das künftig ausreichen würde, um bei den Behörden
das eigene Unverschulden zu belegen und einen Härtefall geltend zu machen.
Bislang, so der Sachverständige weiter, gebe es verschiedene Optionen, um
auch ohne Konto an die Sozialleistungen zu kommen. Das ZzV-Verfahren sei
nicht die einzige existierende Möglichkeit der Barauszahlung. Herr S. aus
dem Fallbeispiel nutzte demnach ein Barcodeverfahren, mit dem er
unkompliziert Geld im Supermarkt abheben konnte. Manche Kommunen arbeiteten
auch mit Schecks und es gäbe die Möglichkeit, das Geld vor Ort in der
Behörde auszuzahlen. Aber auch all solche Varianten sind im Entwurf für das
geänderte Gesetz nicht vorgesehen.
## Ein Viertel ohne Konto
In einer Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe
heißt es, dass etwa 25 Prozent der Menschen, die sich an sie wenden, kein
Konto haben – etwa wegen fehlender Ausweisdokumente, technischer Barrieren
bei Videoident-Verfahren oder schlicht wegen fehlender Geräte. Es käme auch
immer wieder zu unrechtmäßigen Ablehnungen von Banken.
Es brauche für Menschen ohne Konto „weiterhin einen rechtlich gesicherten
Zugang zu existenzsichernden Leistungen.“ Am besten ließe sich „ein
niedrigschwelliger Zugang zu Geldleistungen für diesen Personenkreis über
Auszahlungsstellen bei einem der Sozialleitungsträger gewährleisten“, heißt
es weiter.
Nach offiziellen Angaben beziehen aktuell insgesamt 20.000 Menschen ihre
Sozialleistungen per Zahlungsanweisung zur Verrechnung. 2.000 von ihnen
verfügen über kein eigenes Konto. Das geht aus einer Antwort der
Bundesregierung auf eine Frage der grünen Bundestagsabgeordneten Sylvia
Rietenberg hervor. Die wirkliche Zahl dürfte aber noch höher liegen, denn
der Bundesregierung liegen keine Zahlen aus kommunalen Jobcentern vor.
## Grüne beantragen Änderung
„Wer kein Konto hat, darf nicht durchs Raster fallen“, kritisiert
Rietenberg gegenüber der taz. „Der Zugang zu existenzsichernden Leistungen
ist ein Menschenrecht – und kein bürokratisches Privileg für Menschen mit
Bankkarte.“
Die grüne Bundestagsfraktion wird am Mittwoch einen Änderungsantrag
einbringen. „Statt einer Einschränkung des Zugangs zu Bargeldauszahlungen
für besonders vulnerable Gruppen sollte die Bundesregierung prüfen, wie
eine bundesweit einheitliche, gebührenfreie und rechtsverbindliche Regelung
zur Auszahlung von Sozialleistungen an kontolose Personen dauerhaft
sichergestellt werden kann“, heißt es darin.
Am Donnerstag soll das Gesetz in zweiter und dritter Lesung im Bundestag
beraten und beschlossen werden.
3 Nov 2025
## LINKS
DIR [1] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2025/kw45-pa-arbeit-sgb-1117090
DIR [2] https://www.gegen-hartz.de/news/buergergeld-keine-zahlungsanweisungen-zur-verrechnung-mehr-das-musst-du-jetzt-tun
## AUTOREN
DIR Jasmin Kalarickal
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