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       # taz.de -- Lagebild Organisierte Kriminalität: Niedersachsen will „Cybercrime“ ins Visier nehmen
       
       > Geldautomatensprengungen sind passé, als nächstes kommt Cybercrime. Das
       > verkünden Niedersachsens Justiz- und Innenministerin beim „Lagebild OK“.
       
   IMG Bild: Haben ein Lagebild: Justizministerin Kathrin Wahlmann, Innenministerin Daniela Behrens und Landespolizeipräsident Axel Brockmann
       
       Ob man das denn angesichts der niedrigen Zahlen überhaupt Lagebild nennen
       könnte, fragt ein Journalist am Ende der Pressekonferenz. [1][Ganze 65
       Ermittlungsverfahren mit Bezug zur Organisierten Kriminalität (OK) hat die
       Polizei Niedersachsen] im Jahr 2024 geführt. 17 weitere wurden im Auftrag
       niedersächsischer Staatsanwaltschaften vom Bundeskriminalamt, vom Zoll und
       von der Bundespolizei bearbeitet.
       
       Doch, sagen die beiden zuständigen Ministerinnen – Justizministerin Kathrin
       Wahlmann und Innenministerin Daniela Behrens (beide SPD) – unisono, es ist
       eben wichtig, dem Phänomen Aufmerksamkeit und damit auch Ressourcen und vor
       allem Personal zu widmen. Weil diese Art von Kriminalität einen
       demokratischen Staat und einen legalen Wirtschaftskreislauf schnell
       untergraben kann, von der gesellschaftlichen Verunsicherung ganz zu
       schweigen.
       
       In Niedersachsen sind in den letzten Jahren vor allem zwei Bereiche im
       Fokus gewesen: Die Geldautomatensprengungen, die häufig von organisierten
       Banden aus den Niederlanden verübt wurden, und der Drogenhandel über die
       Häfen.
       
       [2][Bei den Geldautomaten,] verkündet Justizministerin Kathrin Wahlmann
       (SPD) nicht ohne Stolz, habe man beachtliche Erfolge erzielt. 68
       Sprengungen waren es noch im Spitzenjahr 2022, im vergangenen Jahr nur noch
       19. Das hat etwas mit internationaler Ermittlungsarbeit, aber vor allem
       auch mit den Abschreckungsmaßnahmen der Banken zu tun: Farbpatronen und
       andere Schikanen haben den Kriminellen den Spaß an der Beute verdorben.
       
       ## Cannabis-Schwarzmarkt boomt
       
       Der größte Teil der Verfahren, nämlich 36 Ermittlungskomplexe, entfiel auch
       in 2024 [3][auf den internationalen Rauschgifthandel und -schmuggel]. Der
       spielt in Niedersachsen schon wegen der Nordseehäfen eine große Rolle. Die
       Cannabis-Legalisierung hat daran nicht viel geändert, eher im Gegenteil,
       mahnt Innenministerin Daniela Behrens (SPD), die das Gesetz für misslungen
       hält. Weil es kaum legale Anbaumöglichkeiten gibt, boomt der Schwarzmarkt
       weiterhin.
       
       In den vergangenen Jahren hat vor allem das Entschlüsseln der bei
       Drogenhändlern [4][sehr beliebten Krypto-Handydienste Encrochat und SkyECC
       für ein hohes Verfahrensaufkommen gesorgt]. So langsam sind die riesigen
       Datenbestände aber durch- und die daraus resultierenden Strafverfahren
       abgearbeitet, sagen die Ministerinnen.
       
       Umso wichtiger sei es, nun endlich einmal eine rechtliche Grundlage für
       entsprechende Datensammlungen in Deutschland zu schaffen. Dass man hier
       ständig die Daten aus anderen europäischen Ländern wie im Fall der
       Kryptohandys oder den USA wie bei den Hinweisen auf
       Kindesmissbrauchdarstellungen nutze, aber sich selbst die Finger nicht
       schmutzig machen wolle, bezeichnet Wahlmann als „heuchlerisch“.
       
       Dabei hat sie selbst lange [5][eine pauschale Vorratsdatenspeicherung] als
       nicht EU-rechtskonform abgelehnt. Nachdem eine EU-weite Regelung im Fall
       der sogenannten Chatkontrolle nun aber gescheitert ist, müsse man eben
       national wenigstens die IP-Vorratsdatenspeicherung auf den Weg bringen,
       sagt sie jetzt.
       
       Innenministerin Daniela Behrens (SPD) kündigt gleichzeitig an, mit der
       anstehenden Novelle des Niedersächsischen Polizeigesetzes (NPoG) bei den
       technischen Möglichkeiten der Polizei massiv nachrüsten zu wollen. Das
       betrifft vor allem den Einsatz von KI und die [6][Nutzung biometrischer
       Daten. Der lang erwartete Gesetzesentwurf] soll noch in diesem Monat in den
       Landtag eingebracht werden.
       
       Gleichzeitig zeigt vor allem der Bereich „Cybercrime“ auf, dass der Begriff
       der Organisierten Kriminalität möglicherweise noch einmal anders definiert
       werden muss. „Crime as a service“ – also der schnell wachsende Markt für
       kriminelle Dienstleistungen aller Art im Darknet – wird davon nämlich nicht
       richtig erfasst, macht Polizeipräsident Axel Brockmann deutlich.
       
       In der aktuellen Definition von „Organisierter Kriminalität“ geht man immer
       von festen Zusammenschlüssen mehrerer Personen aus – und nicht von
       temporären Zusammensetzungen, dynamischen, projektbezogenen Gruppen.
       
       Die Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass dieser Markt weiter wachsen
       wird – und spezielle Expertise benötigt. Deshalb soll in Oldenburg im
       kommenden Jahr eine neue Zentralstelle „Cybercrime“ entstehen. 19 Stellen
       für Staatsanwälte, entsprechend spezialisierte Informatiker und
       Verwaltungskräfte im mittleren Dienst sind dafür vorgesehen.
       
       3 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.mi.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/lagebild-organisierte-kriminalitat-in-niedersachsen-2024-ok-bekampfung-weiterhin-auf-konstant-hohem-niveau-hohe-quote-bei-abgeschopftem-vermogen-246195.html
   DIR [2] /Rekord-bei-Sprengungen-von-Geldautomaten/!5899979
   DIR [3] /Drogenschmuggel/!t5010649
   DIR [4] /BGH-erlaubt-Nutzung-von-EncroChat-Daten/!5844194
   DIR [5] /Vorratsdatenspeicherung/!t5011510
   DIR [6] /Novelle-des-Polizeigesetzes-geplant/!6103015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
       ## TAGS
       
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