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       # taz.de -- Rabin-Vertrauter über Israel und Frieden: „Echter Frieden bedeutet auch heute, das Land zu teilen“
       
       > Uri Dromi war Pressesprecher von Jitzhak Rabin. Dann wurde der
       > Friedensstifter von einem Rechtsextremen ermordet. Was bleibt von Rabins
       > Schaffen?
       
   IMG Bild: Am Rande einer Kundgebung zum 30. Jahrestag der Ermordung Rabins ist sein Foto an einer Graffiti-Wand in Tel Aviv zu sehen
       
       Vor dreißig Jahren, am 4. November 1995, erschoss ein rechtsextremer
       jüdischer Terrorist den israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin.
       Minuten zuvor hatte er Tausende Anhänger auf einer Friedenskundgebung in
       Tel Aviv auf den Oslo-Friedensprozess mit den Palästinensern eingeschworen
       – trotz der Hetze aus dem rechten Lager und trotz der palästinensischen
       Terroranschläge, die das Land erschütterten. Der Friedensprozess erlitt
       damit einen Schlag, von dem er sich bislang nicht mehr erholte. 
       
       taz: Wie würden Sie [1][Ihrem früheren Chef Rabin] erklären, wo Israel 30
       Jahre nach seiner Ermordung steht? 
       
       Uri Dromi: Das wäre schwer. Was heute Regierungspolitik ist, widerspricht
       fundamental seinen Überzeugungen. Rabin war Soldat, kein großer Demokrat,
       aber er respektierte das Gesetz und die Gerichte. Der heutige
       Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und seine Minister wollen die Justiz
       und das demokratische System unter ihre Kontrolle bringen.
       
       Rabin umgab sich mit Leuten, die ihm sagten, was er nicht gerne hören
       wollte. Die derzeitige Regierung schickt sich an, die unabhängige Presse
       abzuschaffen. Als 1994 die Hamas einen israelischen Soldaten entführte, um
       den Friedensprozess zu stoppen, übernahm Rabin die volle Verantwortung –
       obwohl es nicht seine Schuld war. Heute verhindert Netanjahu seit über zwei
       Jahren die Aufarbeitung [2][des Hamas-Überfalls am 7. Oktober 2023].
       
       taz: Rabin galt selbst lange als Hardliner. Er ordnete während der ersten
       Intifada als Verteidigungsminister brutale Methoden gegen den
       palästinensischen Aufstand an. 
       
       Uri Dromi: Es war aber ebenfalls Rabin, der damals erkannte, dass sich die
       Palästinenser nicht gewaltsam unterdrücken und ignorieren lassen. Es waren
       auch diese Erfahrungen, die ihn überzeugten, dass Frieden der einzige Weg
       zur Sicherheit ist. Das war keine moralische Einsicht, es war pragmatisch.
       Dafür war er bereit, dem Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation
       PLO, Jassir Arafat, [3][in Washington die Hand zu geben] – obwohl viele
       Israelis diesem die Unterstützung von Terror vorwarfen.
       
       taz: Hätte Rabin anders auf den Hamas-Überfall am 7. Oktober reagiert? 
       
       Uri Dromi: Das kann ich nicht sagen. Aber mir war schon vor dem Überfall
       klar, [4][dass man zwei Millionen Menschen nicht so behandeln] kann. Und
       dass die Situation explodieren wird – auch wenn mich das Ausmaß schockiert
       hat. Ich halte die anfängliche Reaktion Israels für gerechtfertigt, aber
       wir sind irgendwann zu Vergeltung übergegangen. Jetzt haben wir Gaza
       zerstört, die zwei Millionen Menschen sind noch immer dort. Es gibt keine
       Möglichkeit mehr für Israel zu sagen, es hätte damit nichts zu tun. Wir
       hätten den Krieg viel früher stoppen müssen.
       
       taz: [5][Israel wird von vielen Seiten Völkermord vorgeworfen].
       
       Uri Dromi: Diesen Vorwurf lehne ich ab. Denn ich glaube nicht, dass es
       einen Plan gab, die palästinensische Bevölkerung auszulöschen. Das
       humanitäre Völkerrecht akzeptiert zivile Opfer. Aber dafür gibt es zwei
       Voraussetzungen: eine militärische Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit.
       Wenn man auf die Zerstörung und den zwischenzeitlichen Hunger in Gaza
       blickt, sind wir eindeutig zu weit gegangen.
       
       taz: Wie würden Sie das nennen, was in Gaza geschehen ist? 
       
       Uri Dromi: Ich bin Patriot und war einmal Sprecher einer israelischen
       Regierung. Manches fällt mir schwer auszusprechen. Aber es gibt definitiv
       Dinge, die ich heute für falsch halte. In der israelischen Gesellschaft
       gehöre ich damit aber zu einer kleinen Minderheit.
       
       taz: Rabin stand für die Hoffnung auf Frieden. Wie haben Sie auf seinen Tod
       reagiert? 
       
       Uri Dromi: Als ich bei meinem ersten Besuch im Büro des Ministerpräsidenten
       nach dem Attentat [6][Shimon Peres] (der Rabins Amt nach seinem Tod
       übernahm; Anm. d. Red.) statt Rabin traf, spürte ich bereits: Der Terrorist
       Jigal Amir hatte den Friedensprozess selbst getroffen. Peres konnte die
       Israelis nicht überzeugen, dass Frieden nicht auf Kosten von Sicherheit
       ging, so wie Rabin es zuvor getan hatte.
       
       taz: Heute sitzen die Vertreter von Jigal Amirs religiös-nationalistischer
       Ideologie in der Regierung. Wie konnte das passieren?
       
       Uri Dromi: Die Linke hat die Gefahren von rechts unterschätzt. Heute ist
       diese Bedrohung klarer, aber auch weiter fortgeschritten. In Israel wird
       offen über die Gefahr eines Bürgerkriegs gesprochen. Zudem hat die rechte
       Ideologie längst Einfluss auf staatliche Institutionen wie die Polizei:
       Antikriegsdemonstranten etwa werden wegen Kleinigkeiten wochenlang
       eingesperrt.
       
       taz: Am vergangenen Samstag haben mehr als 100.000 Israelis auf dem
       Rabin-Platz in Tel Aviv des Attentats gedacht. Bringt das Gedenken Israel
       zusammen? 
       
       Uri Dromi: Es ist vor allem ein Gedenktag für jene, die an den Weg Rabins
       glaubten. Viele Rechte verstehen hingegen: Die Linke versucht, uns
       kollektiv die Schuld zu geben. Einerseits wollen sie nicht sehen: Worte
       kommen vor Kugeln und Netanjahu selbst nahm vor dem Mord an einer
       Demonstration mit Mordaufrufen teil. Andererseits haben die Organisatoren
       des Rabin-Gedenkens es in der Vergangenheit verpasst, Versöhnung
       zuzulassen. [7][Aryeh Deri], ein ultraorthodoxer und ehemaliger Minister
       unter Rabin, wollte bei einer der vergangenen Gedenkveranstaltungen
       sprechen. Es wurde ihm verweigert.
       
       taz: Sehen Sie trotzdem noch eine Chance für Rabins Weg? 
       
       Uri Dromi: An der Grundannahme, dass [8][Frieden nur zwischen Israelis und
       Palästinensern geschlossen werden kann, hat sich nichts verändert]. Alle
       Versuche, die Palästinenser zu umgehen, werden scheitern.
       
       taz: Welche Kompromisse müsste Israel heute bei Verhandlungen akzeptieren? 
       
       Uri Dromi: Echter Frieden bedeutet auch heute, das Land zu teilen. Für Gaza
       bedeutet das eine Absage an jüdische [9][Siedlungsfantasien]. Die Menschen
       dort brauchen Hoffnung für ihre Kinder und einen politischen Horizont. Mit
       Blick auf das Westjordanland müssen zumindest die kleineren Siedlungen
       aufgegeben werden. Im Rahmen eines Friedensprozesses wäre ich außerdem
       [10][für eine Freilassung] von Marwan Barghouti, weil er bei Palästinensern
       aus allen Lagern Unterstützung genießt. Frieden muss man mit seinen Feinden
       schließen.
       
       Illusionen mache ich mir nicht: Netanjahu und seine Minister betrachten die
       Palästinensische Autonomiebehörde (PA) nicht als Partner. [11][Sie
       bewaffnen stattdessen Banden in Gaza], nachdem sie seit 20 Jahren die Hamas
       gewähren ließen. Stattdessen müsste man zulassen, dass die PA, ergänzt
       durch Kräfte aus arabischen Ländern, dort wieder eine Rolle spielt.
       
       taz: Nach all den Rückschlägen in 30 Jahren: Haben Sie noch Hoffnung? 
       
       Uri Dromi: Ich mache mir große Sorgen, wenn ich sehe, wie viele Israelis
       das Land verlassen. Andererseits sehe ich die Energie, mit der die
       israelische Gesellschaft für die Demokratie und für ein Kriegsende in Gaza
       gestritten hat. Ich sehe auch [12][die arabischen Israelis, die etwa
       zwanzig Prozent der israelischen Bevölkerung ausmachen], als mögliche
       Brücke zu anderen Palästinensern. Ich habe zu meinen Lebzeiten Frieden mit
       Ägypten und Jordanien und die Abraham-Abkommen gesehen. Und wenn wir
       Frieden mit den Palästinensern schließen, wäre Saudi-Arabien der nächste
       Partner. Das Potenzial des Friedens gibt mir noch immer Hoffnung.
       
       4 Nov 2025
       
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