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       # taz.de -- Französischer Literaturpreis: Ein Haus voller Gewalt
       
       > Für einen dunklen Familienroman, der die Gewalterfahrungen der Weltkriege
       > widerspiegelt, hat Laurent Mauvignier den renommierten Prix Goncourt
       > gewonnen.
       
   IMG Bild: Freut sich über die Auszeichnung: Laurent Mauvignier
       
       Dieses Haus hat es wirklich gegeben. Zwar nicht so groß wie im Roman „La
       maison vide“ (Das leere Haus), für den der 58-jährige Autor Laurent
       Mauvignier jetzt den renommierten französischen Literaturpreis [1][Prix
       Goncourt] bekam. „Aber es war immer da, in Erzählungen meiner Kindheit. Da
       haben sich Phantasien dran geknüpft, und es ist immer größer geworden“, hat
       er einmal gesagt.
       
       Groß ist auch der Erzählungs- und Erinnerungsraum des geerbten Landhauses,
       das der Vater des Protagonisten – und der Autor spricht sehr offen von
       Autofiktion – nach 20 Jahren öffnet und materielle Zeugen dreier
       Generationen der Familie findet. Ein Klavier ist darunter, eine versehrte
       Marmorkommode – und Familienfotos, aus denen das Gesicht seiner Großmutter
       herausgeschnitten ist.
       
       Wer das tat, kann er auch im Roman, einer [2][groß angelegten
       Familienrecherche], nur vermuten. Den Grund kennt er aber inzwischen: Die
       Großmutter hatte im Zweiten Weltkrieg eine Beziehung zu einem deutschen
       Besatzungssoldaten. Wie viele dieser Frauen in den einst besetzten Ländern
       war sie nach dem Krieg als „Deutschenflittchen“ geächtet und mit
       geschorenen Haaren durch die Straßen gejagt worden. „Als Kind fühlte ich
       mich schon schuldig, wenn ich nach ihr fragte“, sagt der in einer
       Arbeiterfamilie aufgewachsene Autor.
       
       Umso dringlicher wollte er wissen, wer diese Großmutter war. Recherchiert
       hat er, der erst Kunst studierte und 1999 seinen ersten Roman
       herausbrachte, es dann literarisch und ist so Europas Geschichte des 20.
       Jahrhundert auf die Spur gekommen.
       
       ## „Aber sind Männer selbstbestimmter?“
       
       Schon in früheren Büchern hat Mauvignier die Körper und Psyche zerstörende
       Wucht des Kriegs benannt, etwa in „Wunde“ über einen traumatisierten
       Veteranen des Algerienkriegs. Auch in „Geschichten der Nacht“ geht es um
       aufbrechende Gewaltexzesse; erratische Biografien, die [3][Auswirkungen von
       Gewalt].
       
       In „La Maison vide“ ist das einerseits die autoritäre Gewalt gegen Frauen
       wie seine Urgroßmutter, deren Pianistinnentraum der Vater zerstörte. „Aber
       sind Männer selbstbestimmter?“, fragt Mauvignier. Sein Großvater starb als
       Soldat des Ersten Weltkriegs; man nannte es „Heldentod“. „Wie viel
       Spielraum hatten die – freiwilligen und unfreiwilligen – Soldaten, gefangen
       in tradierter und von Herrschenden befeuerter toxischer Männlichkeit?“
       
       Mauvigniers Vater hat diese Brüche nicht mehr ausgehalten. Er nahm sich das
       Leben, als der Junge 16 war. Der Sohn umkreist seither schreibend den Tod.
       
       5 Nov 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Petra Schellen
       
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