# taz.de -- Feiertag in Russland: Folklore und Waffen
> In Russland wird der Tag der Volkseinheit begangen. In der Hauptstadt
> Moskau hält sich die Feierlaune der Menschen in Grenzen.
IMG Bild: Moskau, 4. November: Glückwünsche zum Tag der Einheit auf einer digitalen Werbetafel im Internationalen Geschäftszentrum
Ein verlängertes arbeitsfreies Wochenende ist selbst bei tristem
Novemberwetter eine feine Sache, sollte man meinen. Einst war der 7.
November in Russland Feiertag. Nicht irgendeiner, sondern der Tag der
Oktoberrevolution von 1917. Russische Kommunisten halten daran fest, obwohl
der Kreml vor exakt zwanzig Jahren einen Ersatzfeiertag kreiert hat, den
Tag der Volkseinheit. Er wird am 4. November begangen.
Hintergrund ist die Befreiung Moskaus von polnisch-litauischen
Interventionstruppen 1612. Historisch betrachtet ist am 4. November jenes
Jahres nichts Relevantes passiert. Aber wen kümmert das schon? Bis zur
Covid-Pandemie versammelte sich an diesem Tag die extreme russische Rechte
zum alljährlichen Aufmarsch, seither herrscht totales Demonstrationsverbot.
Feiern hingegen ist erlaubt.
In den Abendnachrichten auf dem Ersten Kanal sind strahlende Gesichter zu
sehen, von Wladiwostok bis zur annektierten sogenannten Donezker
Volksrepublik. Mit von der Partie sind auch Kriegsteilnehmer. [1][Sie
präsentieren Kindern und Erwachsenen Waffen, durch deren Einsatz tagtäglich
Menschen in der Ukraine sterben]. Diesen Part blendet das Staatsfernsehen
grundsätzlich aus.
Festivitäten finden auch in Moskau statt. Familienorientiert hat die Partei
Neue Leute Feierwillige in ein Einkaufszentrum zur folkloristischen
Kostümprobe eingeladen. Sich als Russe oder Tschuwaschin zu verkleiden,
funktioniert offenbar ohne martialische Komponente.
## Alles ist abgesperrt
Im Stadtzentrum herrscht an diesem grauen Dienstagnachmittag reges
Getümmel. Rund um den Roten Platz und dem nur einen Steinwurf vom Kreml
entfernt gelegenen Manege-Ausstellungszentrum, ist alles abgesperrt. Sogar
das unterirdische Einkaufszentrum am Platz ist geschlossen.
Irritierte Gesichter, man fühlt sich buchstäblich ausgeschlossen. Ein
schwer bewaffneter Polizist hinter der Absperrung wird gefragt, was hier
los sei. Er antwortet, da fände eine Veranstaltung statt, Näheres wisse er
nicht. Wann denn die Veranstaltung zu Ende sei? „Ich hoffe bald“, fährt er
mit kaum zu vernehmendem Seufzen fort. Später heißt es in den Nachrichten,
Wladimir Putin habe in der Manege der Eröffnung [2][einer grandiosen
Ausstellung] zum Sieg im Großen Vaterländischen Krieg beigewohnt.
Aber womöglich fühlen die Menschen ja in der gemeinsamen Erfahrung des
Ausgeschlossenseins die für den 4. November verordnete Einheit des Volkes?
Eine junge Kirgisin mit Kleinkind verneint das. Sie finde sich, im
Gegensatz zu ihrem Mann, der in Moskau schon länger arbeite, ohnehin kaum
noch zurecht.
## Eisiges Schweigen
Ein stattlicher älterer Herr hingegen bejaht. Woran er das festmache? „Sie
sind meine Volkseinheit“, entgegnet er augenzwinkernd und setzt seinen Weg
fort. An einer belebten Unterführung sitzt ein Pärchen, dem Aussehen nach
gerade mal volljährig geworden. Fühlen sie sich heute als geeintes Volk?
Eisiges Schweigen. Nach kurzem Überlegen hat der junge Mann dann doch einen
Kommentar parat: „Na, so was, ein richtiger Feiertag. Danke, ich merke es
mir.“
Ein Stück weiter auf dem Arbat verzieht eine Frau Anfang 60 bei der Frage
das Gesicht. „Natürlich nicht!“ Es wirkt, als ob die Frage an sich
deplatziert sei. Vielleicht besser bei einer Gruppe Mittvierziger
nachfragen, die durch Aufnäher in den Farben der Staatsflagge und
Georgsbändchen unschwer als Patrioten zu identifizieren sind.
„Klar“, meint ein bärtiger Typ und zeigt auf seine Kollegen. Aber wie
verhält es sich mit dem Rest des Volkes? Noch, so der Bärtige, hätten sich
die Menschen nicht völlig voneinander entfremdet. Aber das sei nur eine
Frage der Zeit. „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.“ Niemand seiner
Kollegen widerspricht.
5 Nov 2025
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## AUTOREN
DIR Vera Bessonova
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