# taz.de -- Debatte über Abschiebungen: Die Realitätsverweigerer der Union
> Die Union will von Mahnungen ihres Außenministers zur Lage in Syrien
> nichts wissen. Diesen Fehler hat Deutschland schon einmal gemacht.
IMG Bild: „Wir haben natürlich immer noch im Stadtbild dieses Problem“: Damaskus, Syriens Hauptstadt, am 19. Oktober 2025
Offensichtlicher geht es eigentlich gar nicht mehr. Die CDU betreibt
komplette Realitätsverweigerung. Kompetenz, Abwägung, Ortskenntnis gar
spielen keine Rolle mehr. Das einzige, was zählt, ist populistischer
Rassismus, der Abschiebungen als Allheilmittel für sämtliche Probleme der
Republik anpreist. Ganz egal, ob sie nun real sind oder allenfalls gefühlt.
Anders ist das seit Tagen anhaltende öffentliche Abwatschen von
Bundesaußenminister Johann Wadephul nicht mehr zu erklären. Der ist der
bisher ranghöchste Christdemokrat, der ins Nachbürgerkriegs-Syrien gereist
ist. [1][Er hat sich vor Ort kundig gemacht und festgestellt: Wir haben ein
Problem.] Im Angesicht der Ruinen einer völlig zerstörten Vorstadt von
Damaskus kam ihm die logische Erkenntnis, dass man dorthin vorerst keine
Menschen abschieben sollte.
Doch in der Union will man davon nichts wissen. Bundeskanzler Friedrich
Merz verkündete prompt, [2][dass „selbstverständlich“ nach Syrien
abgeschoben werden könne]. Wadephul [3][sagte daraufhin in der Fraktion,
Syrien sehe schlimmer aus als Deutschland 1945]. Wohl in der Annahme, dass
seine Fraktionskolleg:innen sich vielleicht besser mit deutscher
Geschichte als mit der Lage in Nahost auskennen. Aber die Folge war: Noch
mehr Aufregung.
Denn von den versprochenen Abschiebungen will die Union, die sich ja schon
im Wahlkampf den Xenophoben als [4][Alternative zur Alternative für
Deutschland] angepriesen hat, auf gar keinen Fall abbringen lassen. Schon
gar nicht durch ein ruiniertes Stadtbild in einem Vorort von Damaskus. Man
darf mittlerweile davon ausgehen, dass weite Kreise der Union das nicht
machen, um die AfD zu stoppen, sondern weil sie aus tiefstem Herzen
rassistische Abschottung einer menschenzugewandten Problemlösung vorziehen.
## Die Abschiebungen sind lange vorbereitet
Angelegt wurde die Möglichkeit zur massiven Abschiebung schon vor fast
einem Jahrzehnt. Bis Anfang 2016 hatten fast alle aus Syrien Geflüchteten
in Deutschland Asyl bekommen – und damit einen sicheren, dauerhaften
Aufenthaltsstatus, der die Basis für gelungene Integration ist. Dann aber
verabschiedete die damalige schwarz-rote Bundesregierung unter Angela
Merkel [5][das sogenannte Asylpaket II.] Syrer:innen bekamen fortan in
der Regel kein Asyl mehr, sondern nur noch den sogenannten subsidiären
Schutz. Auf gut Deutsch bedeutet dies: Sie dürfen bleiben, solange Krieg
ist. Aber dann eben nicht mehr.
Mit anderen Worten: Das ist eine lange vorbereitete
Integrationsverweigerung von oben. Sie lässt die Betroffenen in einem
Schwebezustand, in jahrelanger Unsicherheit – die auf vielen Ebenen die
Probleme, die Migrationskritiker:innen heute aufstoßen, erst
geschaffen hat, statt sie zu beseitigen.
Und es ist die Wiederholung einer fatalen Politik, [6][die schon in den
1990er Jahren gegenüber den aus Bosnien Geflüchteten angewendet wurde.] Den
Rechtstitel des subsidiären Schutzes gab es damals zwar noch nicht, das
Vorgehen aber war ähnlich. Bosnier:innen erhielten eine Duldung. Die
mehrfach verlängert wurde. Bis irgendein Entscheider in einer
Ausländerbehörde entschied, dass es jetzt aber mal reicht.
Die Konsequenz: reihenweise Abschiebungen von [7][ganzen] oder [8][auch]
nur [9][halben Familien]. Jugendliche, die allenfalls als Kleinkind in
Bosnien gelebt hatten oder sogar in Deutschland geboren waren, die von der
Polizei aus Schulen geholt und in Abschiebeflieger gesteckt wurden. All das
lief fast immer nach Recht und Gesetz. Und war und bleibt dennoch absolut
unmenschlich.
## Alles muss raus, wenn nötig auch Wadephul
Denn Flüchtlinge sind Menschen. Sie bauen soziale Bindungen auf. Sie
entwickeln ein Gefühl für ein Zuhause, auch wenn die Regierung das nicht
vorsieht. Unionsfraktionschef Jens Spahn will Syrer:innen gar zum
Wiederaufbau in Syrien verdonnern, weil das angeblich patriotisch sei.
Deshalb werden Massenabschiebungen nach dem Modell Bosnien nun von Merz,
Spahn, Dobrindt und Co. wortstark vorangetrieben. Alles muss raus, raus,
raus. Und falls er dem weiter widersprechen sollte, dann eben selbst
Außenminister Wadephul, der die Frechheit hat, seine
Parteikolleg:innen an die Realität, an das Machbare, vielleicht sogar
an einen letzten Krümel christlichen Humanismus zu erinnern.
5 Nov 2025
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## AUTOREN
DIR Gereon Asmuth
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