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       # taz.de -- Machtkampf in Kamerun: Ein Land, zwei Präsidenten
       
       > Kameruns Oppositionspolitiker Issa Tchiroma Bakary hat zu einem
       > Generalstreik aufgerufen. Er zweifelt den Wahlsieg von Langzeitherrscher
       > Paul Biya an.
       
   IMG Bild: „Ville morte“ – tote Stadt: Oppositionsführer Issa Tchiroma Bakary hat aus dem Versteck zu einem dreitägigen Generalstreik aufgerufen
       
       In Kamerun herrscht Stillstand. Zum Wochenbeginn hat Oppositionsführer Issa
       Tchiroma Bakary landesweit zu „villes mortes“ ausgerufen, zu „toten
       Städten“. Märkte bleiben geschlossen, Straßen sind leer, während die
       unterbrochenen Handelswege die Preise für Lebensmittel in die Höhe schießen
       lassen. Das Handelsministerium prangerte zuletzt „missbräuchliche und
       ungerechtfertigte Preiserhöhungen“ an.
       
       Doch Behördendrohungen, Läden, die sich am Streik beteiligen, für einen
       Monat zu versiegeln, fruchten vor allem in den Oppositionshochburgen in
       Garoua und Douala nur wenig. Zu groß ist dort [1][die Unzufriedenheit mit
       dem Langzeitherrscher Paul Biya], der sich am vergangenen Montag vom
       Verfassungsgericht des Landes mit 53,66 Prozent der Stimmen im Amt
       bestätigen ließ. Oppositionsführer Tchiroma aber veröffentlichte andere
       Zahlen. Laut dem 79-Jährigen kam Paul Biya lediglich auf 31,3 Prozent, er
       selbst auf 54,8 Prozent. [2][Seither reklamiert Tchiroma als
       selbsternannter Befreier Kameruns den Wahlsieg für sich] und hat zum
       Protest aufgerufen.
       
       Wie breit gefächert der Protest tatsächlich ist, lässt sich schwer sagen.
       Das Internet ist seit Wochen gedrosselt, während jede politische Seite
       versucht, die Deutungshoheit zu behalten. Die im Netz kursierenden
       Informationen könnten unterschiedlicher nicht sein. Bilder von
       menschenleeren Straßen stehen Videos von mit im Stau stehenden Autos
       gegenüber. Die Straßen seien voller Menschen, suggeriert das Regime in
       Kameruns Hauptstadt Yaoundé eine angeblich landesweit herrschende
       Normalität. Wie schon während der Auszählung der Wahlergebnisse bemüht sich
       jedes Lager, die Situation aus ihrem Blickwinkel darzustellen – und
       beschuldigt das andere, mit Fake News zu manipulieren.
       
       ## Abgetauchter Oppositionsführer Tchiroma meldet sich
       
       Der langjährige Minister und Regierungssprecher Tchiroma hatte sich rund um
       die Präsidentschaftswahlen am 12. Oktober vom treuen Gefolgsmann Biyas zu
       seinem schärfsten Gegner gewandelt. „Es gibt nun zwei Präsidenten – einen,
       der vom Volk gewählt wurde, und einen, der vom Verfassungsrat ernannt
       wurde“, sagte Tchiroma in einer Videoansprache am 4. November aus einem
       unbekannten Versteck heraus. Der Oppositionsführer war abgetaucht, nachdem
       Gerüchten zufolge ein Entführungsversuch gegen ihn vereitelt werden konnte.
       Unter anderem Kameruns Innenminister Paul Atanga Nji hatte offen die
       Festnahme Tchiromas gefordert.
       
       In dem nächtlichen Video bekräftigte Tchiroma, dass es ihm gut gehe und er
       dem politischen Druck nicht nachgeben würde. Sein Wohnsitz in Garoua war
       seit Wochen von Sicherheitskräften der Regierung überwacht worden. Nun wird
       spekuliert, dass er eine Flucht nach Nigeria geschafft habe.
       
       ## Angst vor Entführungen Oppositioneller
       
       Tchiroma wäre nicht der Einzige aus dem Oppositionslager, der in den
       vergangenen Tagen das zentralafrikanische Land verlassen hat. Immer mehr
       Berichte über Entführungen von kritischen Stimmen machen die Runde. Laut
       dem Anwalt Emmanuel Simh wurde der Oppositionspolitiker Anicet Ekane
       verschleppt, auch der bekannte anglophone [3][Menschenrechtsanwalt und
       Regimekritiker Felix Agbor Balla] musste fliehen und befindet sich jetzt im
       Ausland, wie dieser in einer kurzen Textnachricht der taz bestätigt. Ebenso
       die Anwältin Michelle Ndoki, die eine Sammlung der Wahlprotokolle initiiert
       hatte. Mindestens 57 weitere Personen sollen zudem allein in den
       vergangenen Tagen in verschiedenen Städten des Landes festgenommen worden
       sein und dem Militärgericht in Yaoundé vorgeführt werden.
       
       [4][Wie viele Verletzte, Tote oder Festnahmen] es seit der offiziellen
       Verkündung der Wahlergebnisse am 27. Oktober gegeben hat, ist noch immer
       nicht bekannt. Bis heute haben die Behörden keinerlei Zahlen
       veröffentlicht. Ein Kollektiv an zivilgesellschaftlichen Organisationen und
       Anwälten versucht nun, Licht in die Sache zu bringen. Schätzungen zufolge
       soll es mehr als 2.000 Festnahmen gegeben haben, darunter viele
       Minderjährige, die bislang keinen Zugang zu juristischer Unterstützung
       erhalten haben sollen.
       
       Laut dem Wahlgesetz haben die Behörden bis zum 9. November Zeit, die
       Amtseinführungszeremonie zu organisieren. Doch während die Regierung
       versucht, zum Tagesgeschäft überzugehen und den Anschein von Ruhe zu
       vermitteln, befindet sich das Land schon längst in seiner nächsten Krise.
       
       5 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Helena Kreiensiek
       
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