# taz.de -- Zugang zu Bildung für Geflüchtete: Stillstand, der Spuren hinterlässt
> Das deutsche Bildungssystem betrachtet die Bildung Geflüchteter als deren
> Bringschuld – nicht als gemeinsame Verantwortung.
IMG Bild: Kundgebung von Afghan*innen in Berlin: für das Recht auf Bildung in ihrer Heimat aber auch hier in Deutschland
Als ich aus Afghanistan nach Deutschland kam, hatte ich bereits einen
Abschluss in Politikwissenschaft und viele Jahre Berufserfahrung als
Journalistin bei TOLOnews, einem der größten Fernsehsender des Landes. Doch
hier zählte das plötzlich kaum.
Neun Jahre später weiß ich: Der Weg [1][in den deutschen Arbeitsmarkt ist
für Geflüchtete] lang, steinig – und voller unsichtbarer Barrieren. Als ich
ankam, durfte ich zwei Jahre lang keinen Integrationskurs besuchen – nur
wegen meines Asylstatus'.
Ich durfte nicht arbeiten, nicht studieren, nicht offiziell Deutsch lernen.
Ich fühlte mich, als wäre mein Leben angehalten. Ich suchte selbst nach
einem Weg, lernte Deutsch zu Hause. Schließlich bezahlte Reporter ohne
Grenzen meinen ersten Sprachkurs. Das war ein Wendepunkt: Ich konnte wieder
lernen, wieder sprechen, wieder denken.
Doch zwei Jahre Stillstand hinterlassen Spuren. Viele Geflüchtete verlieren
in dieser Zeit nicht nur Wissen, sondern auch Selbstvertrauen. Wer nicht
sofort lernen darf, verliert oft die Chance, sich langfristig zu
integrieren. [2][Das deutsche Bildungssystem ist komplex] – selbst für
Deutsche. Für viele Geflüchtete ist es fast undurchdringlich. Zeugnisse
werden häufig nicht anerkannt, berufliche Erfahrungen zählen wenig, und
ohne perfekte Sprachkenntnisse bleibt der Zugang zu Studium oder Ausbildung
versperrt.
## Ohne Bezahlung, aber mit Leidenschaft
[3][ Ich wollte als Journalistin weiterarbeiten], aber überall hieß es:
„Ihre Sprache ist noch nicht gut genug.“ Oder: „Ihre Abschlüsse sind schwer
einzuordnen.“ Trotzdem gab ich nicht auf. Nachdem ich Deutsch gelernt
hatte, absolvierte ich ein Jahr lang eine journalistische Weiterbildung.
Von Anfang an war ich außerdem ehrenamtlich und freiwillig als Journalistin
tätig – ich schrieb Artikel für verschiedene Zeitungen und Online-Medien,
oft ohne Bezahlung, aber mit Leidenschaft. Integration in Bildung und
Arbeit braucht Zeit, Geduld und Unterstützung. Doch sie wird in Deutschland
oft als Bringschuld verstanden – nicht als gemeinsame Verantwortung.
2023 begann ich als ambulante Familienhelferin in Dormagen zu arbeiten.
Parallel schreibe ich weiterhin journalistisch und arbeite als Content
Managerin bei Toneart Shop. Diese Arbeit gab mir das, was viele Geflüchtete
lange vermissen: Selbstständigkeit, Würde und das Gefühl, gebraucht zu
werden.
Arbeit ist mehr als Einkommen. Sie ist Teilhabe, Selbstbewusstsein,
Identität. Ich kenne viele Menschen, die in Afghanistan Ärztinnen,
Ingenieurinnen oder Lehrerinnen waren – und hier als Reinigungskräfte oder
Paketfahrerinnen arbeiten, weil ihre Qualifikationen nicht anerkannt
werden. Das ist nicht nur ein persönlicher Verlust, sondern auch ein
gesellschaftlicher. [4][Deutschland sucht Fachkräfte] – und gleichzeitig
werden viele Talente verschwendet.
## Gemeinsames Projekt statt Prüfung
Ich weiß, wie viel Kraft es kostet, sich in einem neuen System
zurechtzufinden. Ich musste nicht nur eine Sprache lernen, sondern auch
eine Gesellschaft verstehen – mit anderen Regeln, Erwartungen und stillen
Grenzen. Doch ich glaube: Bildung und Arbeit sind die stärksten Brücken
zwischen Geflüchteten und der Gesellschaft.
Wer lernt, wer arbeitet, wer gebraucht wird, kann auch ankommen.
Integration sollte nicht als Prüfung verstanden werden, sondern als
gemeinsames Projekt – als gegenseitiges Lernen. Ich selbst bin noch nicht
ganz angekommen, aber ich bin auf dem Weg. Und das ist vielleicht das
Wichtigste.
Ein Projekt der [5][taz Panter Stiftung.]
9 Nov 2025
## LINKS
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## AUTOREN
DIR Khatereh Tawala
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