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       # taz.de -- Prozess wegen NSU-Terrorhilfe: Die Zschäpe-Freundin schweigt
       
       > 14 Jahre nach dem NSU-Auffliegen steht nochmal eine Helferin vor Gericht:
       > Susann Eminger. Ein NSU-Opfer reist zum Prozessauftakt und wird
       > enttäuscht.
       
   IMG Bild: Susann Eminger am Donnerstag vor Prozessbeginn im Dresdner Gericht
       
       taz | Es gibt alte Fotos von [1][Susann Eminger], rund 20 Jahre her, da
       trägt sie lange schwarze Haare, die Arme tatöwiert. Ein früherer Bekannter
       schilderte sie als rechtes Skingirl mit Springerstiefeln. Nichts davon ist
       am Donnerstag mehr zu sehen. Susann Eminger trägt die Haare kurz und
       blondiert, Brille, große weiße Ohrringe. Nur am Handrücken, wo es die Ärmel
       ihres Pullovers nicht verdecken, lugen noch Tattoos hervor.
       
       So setzt sich die 44-Jährige auf die Anklagebank im Hochsicherheitssaal des
       Oberlandesgerichts Dresden. Sollte sie angespannt sei, lässt sie es sich
       nicht anmerken. Vor den Fotografen versteckt sie ihr Gesicht hinter einem
       Ordner, begrüßt Richterin Simone Herberger mit einem kurzen „Guten Morgen“,
       nennt ihr knapp ihre Personalien: geboren in Zwickau, verheiratet, gelernte
       Hauswirtschafterin, aktuell tätig als „Pflegekraft“. Dann schweigt Susann
       Eminger.
       
       Dabei gibt es viele Fragen, die Eminger wohl klären könnte. Und
       schwerwiegende Vorwürfe, die lange zurückliegen, die sie nun aber auf die
       Anklagebank brachten. Denn die Sächsin war einst [2][die engste Freundin
       der NSU-Terroristin Beate Zschäpe], als diese mit ihren zwei Kumpanen Uwe
       Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund in Zwickau lebte. Beide Frauen
       trafen sich regelmäßig, mit Emingers Kindern oder abends zu Cocktails oder
       Konzerten. Und Susann Eminger überließ Zschäpe ihre Krankenkassenkarte für
       Zahnarztbesuche, lieh ihr ihre Personalien etwa für Bahncards.
       
       Vor ziemlich genau 14 Jahren dann, am 4. November 2011, flog der
       „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) auf – als sich Mundlos und
       Böhnhardt nach einem gescheiterten Banküberfall in Eisenach erschossen,
       Zschäpe das letzte Versteck in Zwickau anzündete und die Bekennerschreiben
       verschickte. Offenbart wurde nun, wer hinter einer jahrelangen Mordserie an
       neun migrantischen Gewerbetreibenden und einer Polizistin steckte, hinter
       drei Anschlägen und 15 Überfällen. Eine Mordserie, bei der stets die
       Angehörigen verdächtigt wurden.
       
       In Dresden wirft die Bundesanwaltschaft Susann Eminger nun Unterstützung
       einer terroristischen Vereinigung vor. Die Frage aber lautet: Wusste
       Eminger bei ihren Hilfen für das Trio, dass dieses Terrortaten beging?
       
       ## Staatsanwalt nennt die Opfer
       
       Die Bundesanwaltschaft glaubt, dass es so war. Zu Prozessbeginn trägt
       Oberstaatsanwalt Wolfgang Barrot die Anklageschrift vor. Auch als er noch
       einmal die Namen der Mordopfer benennt – Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru,
       Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros
       Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat, Michèle Kiesewetter – zeigt
       Eminger keine Regung, starrt nur auf Barrot.
       
       Ob sie etwas zur Anklage sagen wolle, fragt danach Richterin Herberger.
       Emingers Anwalt verneint: Seine Mandantin werde sich vorerst nicht äußern.
       
       Die Bundesanwaltschaft aber argumentiert: Wer, wenn nicht Zschäpe-Freundin
       Susann Eminger, sollte in die Terrortaten eingeweiht gewesen sein? Dafür
       spreche schon die „intensive Freundschaft“ der beiden Frauen. Aber auch das
       konspirative Verhalten: Eminger sprach Zschäpe mit ihrem Tarnnamen „Liese“
       an, rief sie von Telefonzellen statt vom Handy an, sah im Versteck die
       Überwachungskameras samt Monitor.
       
       ## Mit Emingers Mann zur Polizei
       
       Und als Ende 2006 die Polizei einmal an die Tür der Trio-Wohnung klopfte,
       wegen eines Diebstahls im Haus, gab sich Zschäpe als Susann Eminger aus und
       ging unter diesem Alias später auch zusammen mit deren Ehemann André zu
       einer Vernehmung aufs Revier. Der Beamte bemerkte die Täuschung nicht – das
       Trio blieb unerkannt.
       
       Es müsse nach diesem Vorfall gewesen sein, dass Susann Eminger „konkret“
       über die NSU-Terrortaten eingeweiht wurde, entweder durch Zschäpe oder
       ihren Ehemann, wirft ihr die Anklage vor. Dennoch habe sie das Trio weiter
       unterstützt. Noch vor dem letzten NSU-Überfall habe Eminger Zschäpe und
       Böhnhardt zur Abholung des Wohnmobils gefahren. Zum Dank erhielt die
       Familie eine teure Musikanlage und eine Reise ins Disneyland Paris.
       
       Bis zu zehn Jahre Haft drohen Susann Eminger nun. Wenn ihr denn
       nachgewiesen werden kann, dass sie von den Terrortaten wusste.
       
       Wie schwer das ist, zeigt der Fall ihres Ehemanns. [3][Auch André Eminger
       half jahrelang den Untergetauchten], organisierte diesen Wohnungen und
       Papiere, mietete für sie Wohnmobile an, mit denen sie zu ihren Taten
       fuhren. Noch auf Zschäpes Flucht holte er sie mit seinem Auto ab, fuhr sie
       nach Hause, gab ihr neue Kleidung seiner Frau Susann und setzte sie am
       Bahnhof Chemnitz ab. Vier Tage später stellte sich Zschäpe der Polizei. Und
       André Eminger war ideologisch auf Linie: Schon als Jugendlicher gründete er
       eine Kameradschaft, seinen Körper überzog er mit Tattoos wie „Die Jew Die“,
       sein eigener Anwalt nannte ihn einen „Nationalsozialisten mit Haut und
       Haar“.
       
       ## Zschäpe als Zeugin
       
       André Eminger gehörte deshalb, wie Beate Zschäpe, zu den fünf Angeklagten
       im ersten NSU-Prozess in München. Eminger schwieg dort bis zum Schluss. Und
       als das Gericht, nach fünf Jahren Verhandlung, im Juli 2018 sein Urteil
       verkündete, hielt es auch nur für nachweisbar, dass Eminger bei seinen
       Hilfen erst ab 2007 in die Terrortaten eingeweiht war. Die meisten Taten
       waren damit verjährt. Während Zschäpe lebenslange Haft erhielt und die
       anderen Angeklagten bis zu 10 Jahre Haft, wurden es für Eminger nur
       zweieinhalb Jahre Haft. Sein Haftbefehl wurde noch im Gerichtssaal
       aufgehoben. Neonazis auf der Empore brachen in Jubel aus.
       
       Seitdem wurde kein Helfer des NSU mehr verurteilt, alle Verfahren gegen
       Beschuldigte sind eingestellt. Der Prozess gegen Susann Eminger ist ein
       letzter Versuch, doch noch eine Helferin zu verurteilen. Die
       Bundesanwaltschaft beruft sich dabei auch auf Aussagen von Zschäpe, die
       diese 2023 bei Befragungen des BKA in der JVA Chemnitz machte und wo sie
       etwa erklärte, Susann Eminger „wusste, weswegen wir weg sind“ – obwohl
       Zschäpe ihre frühere Freundin bis dahin in Schutz genommen hatte.
       
       Im Dresdner Prozess wird Zschäpe nun als Zeugin geladen, für den 3. und 4.
       Dezember. Die Frage ist, ob sie weiter auspackt: [4][Denn inzwischen
       befindet sie sich in einem Aussteigerprogramm, bei Exit]. Und nicht nur
       sie: Auch André Eminger ist seit 2022 in einem Aussteigerprogramm.
       
       ## NSU-Opfer reiste an
       
       Serkan Yildirim hat da bei beiden seine Zweifel. Der 45-Jährige ist am
       Donnerstag extra als Zuhörer ins Gericht gereist. [5][Er war das erste
       Opfer des NSU]. In seiner Nürnberger Bar explodierte am 23. Juni 1999 eine
       mit Sprengstoff präparierte Taschenlampe, Yildirim wurde schwer verletzt.
       Wer dafür verantwortlich war, wurde erst im NSU-Prozess bekannt, als ein
       Mitangeklagter dies offenbarte.
       
       Im Gerichtssaal fixiert Yildirim die Angeklagte. Er wolle den
       Verantwortlichen einmal ins Gesicht schauen, begründet er seine Anreise.
       Den Auftritt von Susann Eminger aber kommentiert er bitter. „Wie kann man
       bei dem Thema so locker und ruhig auftreten? Sie wirkte, als kommt sie nur
       auf eine Kaffeepause vorbei.“
       
       Gerne wäre Yildirim auch Nebenkläger im Prozess gewesen. Das Gericht aber
       ließ dies nicht zu, weil der Anschlag nicht zu den Vorwürfen gegen Susann
       Eminger gehört. „Enttäuschend“, nennt Yildirim das. Dabei hatte der
       Gastronom einst bei einer BKA-Vernehmung auf vorgelegten Fotos aus dem
       NSU-Komplex eine Frau wiedererkannt. Erst Jahre später erfuhr er, auf wen
       er gezeigt hatte: Susann Eminger.
       
       ## Immerhin etwas
       
       Nach Dresden angereist ist auch [6][Barbara John], Ombudsfrau der
       NSU-Hinterbliebenen. Sie hält der Bundesanwaltschaft zugute, dass sie
       diesen Prozess erkämpft hat. Denn das Oberlandesgericht Dresden wollte das
       Verfahren erst nicht zulassen, weil es einen Nachweis, dass Eminger von
       Terrortaten wusste, für nicht mehr wahrscheinlich hielt. Die
       Bundesanwaltschaft aber legte Beschwerde ein, der Bundesgerichtshof gab ihr
       Recht und ordnete das Verfahren an. Das sei ein wichtiges Signal an die
       Hinterbliebenen, findet John.
       
       Serkan Yildirim aber beklagt, dass weiter so viele Fragen im NSU-Komplex
       offen sind. Der Prozess gegen Susann Eminger sei jetzt nochmal eine Chance
       auf Aufklärung. Aber er habe nicht viel Hoffnung, sagt Yildirim.
       
       Auch eine kleine Kundgebung vor dem Gericht fordert Aufklärung ein. Das
       Gericht nimmt sich zumindest für die Beweisaufnahme Zeit: Es hat Termine
       bis Ende Juni nächsten Jahres angesetzt, am Freitag geht der Prozess
       weiter.
       
       6 Nov 2025
       
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