# taz.de -- 30 Jahre Soldaten-sind-Mörder-Beschluss: Generelle Kritik am Kriegshandwerk ist nicht strafbar
> Am 7. November 1995 verkündete das Bundesverfassungsgericht, dass die
> Äußerung „Soldaten sind Mörder“ von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.
IMG Bild: Demonstration gegen die Bundeswehr mit dem Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“, Dresden, am 26.6.1995
Seit 30 Jahren sind Soldaten Mörder. Darf man das so sagen? Nun ja,
tatsächlich waren Soldaten schon immer Mörder, zumindest potenzielle. Aber
vor 30 Jahren, [1][am 7. November 1995, verkündete das
Bundesverfassungsgericht], dass es auch erlaubt ist, das öffentlich zu
sagen. Zuvor hatten mehrere Gerichte in Bayern und Rheinland-Pfalz anders
entschieden, deren Urteile von den Karlsruher Richter:innen jedoch
zugunsten der Meinungsfreiheit aufgehoben wurden.
Soldaten sind Mörder. Seit der Weimarer Republik sorgt dieser Satz für
Erregungsstürme und beschäftigt die deutschen Gerichte. Denn wenn Soldaten
schon Mörder sind, dann höchstens die anderer Länder. Auf die beschränkte
sich [2][Kurt Tucholsky] aber nicht, als er [3][1931 in der Weltbühne]
anlässlich des 17. Jahrestages über den Ersten Weltkrieg schrieb: „Da gab
es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord
obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng
verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“
Da Tucholsky selbst bereits im Exil in Schweden lebte, wurde daraufhin der
verantwortliche Weltbühne-Redakteur Carl von Ossietzky vom damaligen
Reichswehr- und Innenminister, einem früheren Generalleutnant, wegen
„Beleidigung der Reichswehr“ angeklagt. Doch das Berliner Schöffengericht
sprach Ossietzky mit der Begründung frei, dass mit dem allgemeinen Satz
„Soldaten sind Mörder“ keine konkreten Personen gemeint gewesen seien und
eine unbestimmte Gesamtheit nicht beleidigt werden könne.
Eine ähnliche Begründung gab auch [4][das Bundesverfassungsgericht in
seinem Beschluss von 1995]. In der Verwendung des Wortes „Mörder“ müsse
„nicht notwendig der Vorwurf einer schwerkriminellen Haltung oder Gesinnung
gegenüber dem einzelnen Soldaten enthalten sein“, befanden die
Richter:innen. Zu überlegen sei vielmehr, „ob sich die Äußerung nicht gegen
Soldatentum und Kriegshandwerk schlechthin richtete, das verurteilt wird,
weil es mit dem Töten anderer Menschen verbunden ist, das unter Umständen
auf grausame Weise vor sich geht und auch die Zivilbevölkerung trifft“. Es
müsse also der „Unterschied zwischen einer herabsetzenden Äußerung über
alle Soldaten der Welt und die Soldaten der Bundeswehr beachtet“ werden.
## Heftige Reaktionen bis hin zu Morddrohungen
Der Karlsruher Beschluss rief heftige Reaktionen hervor. Nach anonymen
Morddrohungen mussten die Richter:innen sogar vorübergehend unter
Polizeischutz gestellt werden. Wobei er übrigens nicht einstimmig fiel. Die
konservative Verfassungsrichterin Evelyn Haas gab ein Sondervotum ab.
Äußerungen wie „Soldaten sind Mörder“ oder auch „Soldaten sind potenzielle
Mörder“ enthielten „ein Unwerturteil über Soldaten der Bundeswehr“, schrieb
sie.
Deswegen fand sie die Kriminalisierung solcher Äußerungen richtig: „Eine
Rechtsordnung, die junge Männer zum Waffendienst verpflichtet und von ihnen
Gehorsam verlangt, muss denjenigen, die diesen Pflichten genügen, Schutz
gewähren, wenn sie wegen dieses Soldatendienstes geschmäht und öffentlich
als Mörder bezeichnet werden.“
Auf die schlichte Idee, dass das Problem möglicherweise darin bestehen
könnte, junge Männer zum Waffendienst zu verpflichten und von ihnen
Gehorsam bis zur Bereitschaft zum Töten zu verlangen, kam die Richterin
Haas nicht. Was angesichts zweier von Deutschland entflammter Weltkriege,
in denen uniformierte deutsche Mörder gehorsam Europa in Schutt und Asche
legten, schon – vorsichtig formuliert – etwas bedauerlich ist.
Soldaten sind Mörder. In der Ukraine [5][demonstriert die russische Armee]
tagtäglich, warum dieser Satz auch heute noch eine Berechtigung hat. Und
das gilt auch für zahlreiche andere Kriege. In seinem Film „Monsieur
Verdoux“ lässt Charlie Chaplin die von ihm selbst gespielte Hauptperson
sagen: „Ein Mord macht zum Mörder, Millionen zu Helden, ob Mörder oder Held
wird von der Zahl entschieden.“ In Zeiten, in denen Deutschland wieder
„kriegstüchtig“ werden soll, kann es nicht schaden, sich dieser Worte zu
erinnern. Deutschland hatte im vergangenen Jahrhundert schon genug
„Helden“.
Es mag sein, dass der Satz „Soldaten sind Mörder“ heute noch mehr Menschen
empört als 1995, als das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss
verkündete, konstatiert der Publizist [6][Heribert Prantl im
„Deutschlandfunk Kultur“]. Aber der Krieg sei nun einmal das blutige
Handwerk der Soldaten. „Wer sich wünscht, dass dieses Handwerk ausstirbt,
ist ein pazifistischer Mensch“, so Prantl weiter. „Es wäre gut, wenn dieser
Wunsch in Deutschland auch wieder eine Heimat hätte.“ Eine Auffassung, die
leider nicht dem derzeitigen Zeitgeist zu entsprechen scheint. Aber
wenigstens ist sie nicht strafbar.
7 Nov 2025
## LINKS
DIR [1] /Alle-Soldaten-der-Welt-sind-Moerder/!1485537/
DIR [2] /Zum-125-Geburtstag-von-Kurt-Tucholsky/!5024399
DIR [3] http://www.zeno.org/Literatur/M/Tucholsky,+Kurt/Werke/1931/Der+bewachte+Kriegsschauplatz
DIR [4] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/1995/10/rs19951010_1bvr147691.html
DIR [5] /Sahra-Wagenknecht-und-der-Pazifismus/!6036622
DIR [6] https://www.deutschlandfunkkultur.de/soldaten-sind-moerder-beschluss-bundesverfassungsgericht-kommentar-100.html
## AUTOREN
DIR Pascal Beucker
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