# taz.de -- Vielfalt in Bibliotheken: Ein Ort für alle
> Öffentliche Bibliotheken erreichen noch viel zu wenig migrantische
> Menschen. Das wollen sie ändern – und können von Schwarzen Bibliotheken
> lernen.
IMG Bild: Früh übt sich: Blick in eine Schwarze Kinderbibliothek
Der Weg in eine Utopie muss kein Spektakulärer sein. In Berlin-Mitte läuft
man an der [1][gläsernen Front der Zentral- und Landesbibliothek Berlin
(ZLB)] vorbei, schlüpft durch einen Nebeneingang hinein und steigt hoch in
den ersten Stock. Vorbei an Stehtischen, Whiteboards und einer Garderobe
führt er in einen Stuhlkreis. Hier werden an einem grauen Nachmittag im
Oktober Zukunftsvisionen für die öffentlichen Bibliotheken der Hauptstadt
erdacht.
Die meisten der etwa dreißig Personen im Stuhlkreis sind Zugezogene, viele
eingewandert. Es sind Mitarbeitende der ZLB und solche von den
Bezirksbibliotheken Berlins dabei. Die sind im Verbund öffentlicher
Bibliotheken in Berlin (VÖBB) zusammengeschlossen. Außerdem sind Mitglieder
des Migrationsrats hier. Der repräsentiert rund 90 migrantische
Selbstorganisationen.
Es wird Zeit, dass sie zusammenkommen, finden sie alle. Denn öffentliche
Bibliotheken schaffen es bislang nicht gut genug, Menschen mit
Migrationsbiografien zu erreichen. Und das trotz hoher Besuchszahlen.
[2][Gut 8,5 Millionen Besuche wurden im Jahr 2024 in den Berliner
Bibliotheken verzeichnet.] Fast eine halbe Million gültige Leseausweise hat
der Berliner Verbund registriert. Und gut 1,2 Millionen Euro flossen 2024
aus dem zentralen Medienetat der Stadt in die Anschaffung von E-Medien, wie
Hörbücher oder E-Paper.
„Wir sagen, wir sind für alle da, aber das stimmt so nicht“, sagt Marina
García-Andrade Rodenas von der Bezirksbibliothek Pankow-Buch. Sie will,
dass Bibliotheken sich deutlich breiter aufstellen: „Ich fände
Sozialarbeiter:innen in Bibliotheken wichtig.“ Sie steht aus dem
Stuhlkreis auf und hält ihre Idee sogleich am „Meckertisch“ mit einem
Permanentmarker auf einem Stück Pappe fest.
## Der Bibliotheks-Zugang wird für manche erschwert
Ein ungewöhnlicher Gedanke, für jene, die Bibliotheken vor allem vom
Buchverleih kennen. Doch für García-Andrade Rodenas ist er naheliegend.
Denn Besuchende kämen oft genug mit Fragen zu Terminen beim Jobcenter, dem
Jugendamt oder der Ausländerbehörde in die Bibliotheken, die sie wegen
Sprachbarrieren oder der komplizierten Bürokratie dort nicht haben klären
können. Bibliotheksmitarbeitende könnten sie aber nur an die Behörden
zurückverweisen, ohne ihnen weiterzuhelfen. Ein Teufelskreis.
Auch der Zugang zu den Bibliotheken ist für manche, zum Beispiel für
Geflüchtete, schwierig: „Ist es nicht problematisch, wenn ein
Bibliotheksbesucher etwas sehr Persönliches wie den Aufenthaltsstatus
erklären muss – nur um den Ausweis zu bekommen?“, fragt Mallika Basu vom
Migrationsrat. Eine Lösung wird sogleich diskutiert: [3][eine City-ID, wie
in New York oder Bern]. Die könnte den 60.000 bis 100.000 Menschen, die
ohne Papiere in Berlin leben, Teilhabe ermöglichen. Das Problem mit dem
Zugang zum Bibliotheksausweis und die mögliche Lösung landen ebenfalls auf
der Pappe des „Meckertischs“.
An einem weiteren Stehtisch sammeln andere „Best Practices“, also wie
Probleme in einigen Bibliotheken schon gut gelöst werden. An einem dritten
Tisch ersinnen sie „Utopien“ für die städtische Bibliothek der Zukunft.
## Die Schwarze Kinderbibliothek
Menschen mit Migrationsbiografie sind in Bibliotheken noch zu selten
vertreten, findet auch Magdalena Benavente. Sie hat das Treffen vonseiten
des Migrationsrats mitorganisiert. „Migrantische Communitys sind dabei sehr
heterogen.“ Herkunft, Aufenthaltsstatus oder Sprachkenntnisse prägen, wie
Bibliotheken genutzt werden. Und: „Wer schlechte Erfahrungen mit Behörden
gemacht hat, kann das schwer von der Bibliothek als weiterer Institution
trennen“, so Benavente.
Dabei gibt es schon lange gut etablierte Kennenlernangebote der Berliner
Bezirksbibliotheken. Auch schon für ganz kleine Kinder. Stempelkarten, wo
mit jedem Besuch Sticker gesammelt werden können, zum Beispiel. Oder
Kinderlesungen, Schulausflüge in die Bibliotheken, Bücherkisten für Kitas
und Schulen, erzählt Dania Schüürmann. Sie hat das Treffen vonseiten der
ZLB und des VÖBB mitorganisiert. Auch für Schulkinder, Studierende und
ältere Menschen wollen die Bibliotheken attraktiv sein, mit Orten zum
Lernen und Räumen für Rückzug. „Wir sehen, dass wir gerne genutzt werden,
wenn zu Hause die Ruhe fehlt, um Hausaufgaben oder Gruppenarbeiten
vorzubereiten“, sagt Schüürmann. Auf all diesen Wegen ließen sich auch
Menschen mit Migrationsbiografien einfach ansprechen – wieso funktioniert
es dann noch nicht richtig?
Ein [4][Besuch in der Schwarzen Kinderbibliothek in Bremen – kurz
SchwaKibi]. Auch sie stellt Bücherkisten für Schulen zur Verfügung,
speziell zu den Themen Vielfalt und Empowerment. Hier gibt es eine
Leseecke, in die man sich zum Schmökern zurückziehen kann und bodennahe
Regale, in denen Bücher mit Schwarzen Charakteren gut sichtbar ausgestellt
sind. Die SchwaKibi hat es bereits geschafft. Sie ist Magnet für Menschen
mit Migrationsbiografie geworden, vor allem für Schwarze Personen. Um sich
das Sortiment anzusehen, reisen manche sogar aus anderen Städten an.
Die SchwaKiBi ist eine selbstorganisierte Schwarze Bibliothek, die
besonders auf junge Menschen mit Migrationsbiografien ausgerichtet ist.
Gerade für Kinder sei das wichtig, sagt Maimuna Sallah, eine der
Leiter:innen. „Bücher sind oft das erste Medium, mit denen viele Kinder in
Berührung kommen“, so Sallah. Nur selten würden Schwarze Realitäten abseits
von rassifizierten Darstellungen, die sie exotisieren oder herabsetzen, in
Büchern abgebildet. „Ich halte es für verheerend, wenn Kinder merken, dass
sie in der gesellschaftlichen Norm gar nicht mitgedacht werden – während
andere Menschen selbstverständlich dazugehören“, so Sallah.
Eltern kommen mit ihren Kindern nach der Schule in die SchwaKiBi,
Klassenlehr:innen begeben sich hier auf die Suche nach Schulmaterial.
Von dem, was Schwarze Bibliotheken wie die SchwaKiBi in Bremen, die Theodor
Wonja Michael Bibliothek in Köln und die Fasiathek in Hamburg bereits
leisten, können auch öffentliche Bibliotheken lernen. Sie sind wichtige
Safer Spaces und kommen gerade deswegen bei Menschen mit
Migrationsbiografie gut an. Denn in öffentlichen Räumen, in denen nicht
explizit auf eine diskriminierungsarme Kultur geachtet wird, müssen
marginalisierte Personen immer wieder mit Übergriffen rechnen. Auch in
Bibliotheken.
## Bei den Mitarbeitenden fängt es an
Von solchen Erfahrungen erzählen auch Besuchende der SchwaKiBi, so Maimuna
Sallah. Einmal habe ihr eine Schwarze Frau von einem Vorfall in einer
öffentlichen Bibliothek berichtet. Die Mitarbeiterin dort sei völlig
überrascht gewesen, dass sie als Schwarze Frau für ihr Kind ein Buch
ausleihen wollte. „Sie konnte sich nicht vorstellen, dass auch Schwarze
Familien gerne lesen“, erzählt Sallah. „Solche Erfahrungen führen dazu,
dass marginalisierte Gruppen sich nicht willkommen fühlen.“
Zurück in der ZLB. Die Frage, wie Bibliotheken zu Safer Spaces werden
können, beschäftigt auch die Teilnehmenden hier. Was tun, wenn sich
Mitarbeitende diskriminierend verhalten? Oder wenn ein älterer, weißer Herr
sich gestört fühlt von der migrantischen Mutter mit Kind? Sind Bibliotheken
überhaupt auf Konfliktmanagement dieser Art vorbereitet?
„Es kann passieren, dass Mitarbeitende Konflikte eher verschärfen“, so
Benavente vom Migrationsrat. Es brauche entsprechende Schulungen. Dania
Schüürmann und ihre Mitarbeitenden von ZLB und VÖBB wollen künftig
verstärkt auf Diversität bei der Einstellung achten, erzählt sie. Auch die
Mitarbeiterin einer Bezirksbibliothek erwähnt, sie sei zum Treffen
gekommen, um zu lernen, wie sie mit Stellenausschreibungen gezielt Menschen
mit Migrationserfahrung ansprechen könne.
Auf ihrer Mission, mehr migrantische Menschen zu erreichen, würde den
Berliner Bibliotheken eine eindeutige Gesetzgebung helfen – nicht zuletzt,
um sie vor Angriffen von außen, etwa von rechts, zu schützen, so
Schüürmann: „Wir warten auf ein Bibliotheksgesetz, das widerspiegelt, dass
wir auch zur Demokratiestärkung da sind.“ Eine Absicherung.
Zurück im Stuhlkreis meldet sich zum Abschluss des Treffens ein Herr und
fragt: Wie wär’s gleich mit einem nächsten Termin?
11 Nov 2025
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## AUTOREN
DIR Olivia Samnick
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