# taz.de -- Steinmeier Rede zum 9. November: Der einerseits-andererseits-Präsident
> Frank-Walter Steinmeier warnt vor Zusammenarbeit mit der AfD – und bleibt
> trotzdem unscharf.
IMG Bild: Frank-Walter Steinmeier im Schloß Bellevue vor seiner Rede zum 09. November
Frank-Walter Steinmeier neigt nicht zur schrillen, griffigen Formulierung.
Außer in Sachen Demokratiegefährdung. „Nie in der Geschichte unseres
wiedervereinten Landes waren Demokratie und Freiheit so angegriffen“,
[1][so der Bundespräsident im Schloss Bellevue zum 9. November.] Denn die
Republik werde „durch einen russischen Aggressor und durch rechtsextreme
Kräfte bedroht“. Die Republik dürfe der neuen „Faszination des Autoritären“
nicht erliegen.
Der 9. November, bekanntlich ein schillernder Tag deutscher Geschichte,
erscheint Steinmeier angesichts der aktuellen Gefahren verdunkelt. [2][107
Jahre nach dem 9. November 1918 gehe „das Drehbuch der Antidemokraten
mühelos auf“.] 87 Jahre nach den Pogromen des 9. November 1938, sei der
„Antisemitismus von rechts, von links, aus der Mitte und unter muslimischen
Einwanderern“ auf dem Vormarsch. Und 36 Jahre nach dem 9. November 1989
wachse die „Fremdheit zwischen Ost- und Westdeutschen wieder“.
Die historische Lehre dieser sinistren Bilder, so Steinmeier, sei
eindeutig. „Der waghalsige Versuch, Antidemokraten zu zähmen, indem man
ihnen Macht gewährt, ist nicht nur in Weimar gescheitert.“ Keine
Zusammenarbeit mit der AfD, so die Ansage.
Steinmeier bekennt sich zur wehrhaften Demokratie. Verfassungsfeinde
dürften nicht „Richterin, Lehrer oder Soldat“ sein [3][und sollten auch,
wie in Ludwigshafen geschehen, von Wahlen zum Bürgermeister ausgeschlossen
werden]. Das sei nicht „per se undemokratisch“.
## Nicht mehr als der Common Sense
Es ist ein Missverständnis, dass der Bundespräsident unbedingt originell
oder provokant sein soll. Das ist nicht der Teil der Jobbeschreibung. Er
ist kein unabhängiger Intellektueller, der einen Paradigmenwechsel
provozieren soll. Aber er benötigt ein Gespür, wenn der common sense in
Bewegung ist und einen Anschub braucht.
Eine bemerkenswerte Rede eines Bundespräsidenten zeichnet sich dadurch aus,
dass sie den common sense bedient und an ein, zwei Punkten darüber
hinausgeht. Frank-Walter Steinmeier ist seit acht Jahren Bundespräsident –
und seinen Ansprachen fehlt der zweite Teil.
In der Rede zum 9. November lobt er das Engagement für das Ehrenamt in
Deutschland. Er warnt vor den Gefahren der Algorithmen, die auf Social
Media-Plattformen die Grundlagen der Demokratie, die Wahrnehmung der
Anderen und die Kompromissfähigkeit, ruinieren würden. All das ist schon
oft gesagt worden. Hier fehlt jeder leise Hinweis, wie sich das ändern
lassen könnte.
Der Kampf um die Demokratie ist Steinmeier glaubhafterweise eine
Herzenssache. Doch bei zwei zentrale Fragen dieses Kampfes, dem AfD-Verbot
und der politischen Sprache, bleibt er unscharf.
[4][Beim AfD-Verbot, das angesichts der massiven Vorbehalte der Union
sowieso nicht auf der Tagesordnung steht,] bleibt Steinmeier in einem
gefahrlosen und erkenntnisarmen Ungefähr. Einerseits müsse „eine
aggressive, verfassungsfeindliche Partei immer mit der Möglichkeit des
Verbots rechnen“. Anderseits sei ein „Parteienverbot die Ultima Ratio“. Man
müsse daher weiter prüfen, was zu tun ist. Nunja. Wenn man Steinmeier recht
versteht, heißt das: Die derzeitige Lage – man redet mitunter über ein
Verbotsverfahren, von dem alle wissen, dass es nicht kommt – ist in
Ordnung.
Zur Sprache sagt Steinmeier: Einerseits müsse bürgerliche Politik immer
„Distanz zur Sprache der Rechtsextremen wahren“. Andererseits müssten
„Themen wie Migration und Sicherheit besprochen werden können, ohne dass
sofort der Rassismusvorwurf im Raum steht.“ Bei dieser Definition dürfe der
Arbeitskreis Migration der SPD ebenso nicken wie CSU-Innenminister
Dobrindt. Nur geklärt ist damit nichts.
9 Nov 2025
## LINKS
DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=nE90kwgqo6Q
DIR [2] https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2025/11/251109-9-November-Matinee.html
DIR [3] https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/ludwigshafen/afd-paul-scheitert-am-bundesverfassungsgericht-100.html
DIR [4] https://www.deutschlandfunk.de/afd-verbot-102.html
## AUTOREN
DIR Stefan Reinecke
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