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       # taz.de -- Prozessbeginn zum Magdeburger Anschlag: 6 Tote, mehr als 300 Verletzte
       
       > In Magdeburg startet der Prozess gegen den Täter vom
       > Weihnachtsmarktanschlag 2024. Welche Dimensionen die Tat hat, macht die
       > Anklageschrift deutlich.
       
   IMG Bild: Der Täter nimmt im temporären Gerichtssaal in einem Glaskasten Platz
       
       In jeder Reihe wenden Nebenkläger:innen ihren Blick ab, als das
       Gesicht des Täters vom [1][Weihnachtsmarktanschlag] 2024 auf den
       Bildschirmen im weitläufigen Gerichtssaal erscheint. In den zwei Stunden
       zuvor ging es bei diesem ersten Prozesstag am Landgericht in Magdeburg um
       seine Taten und ihre Folgen: seine Fahrt über den belebten Weihnachtsmarkt.
       Die mehr als 300 Verletzten und die sechs Toten. Fünf Frauen und ein
       9-jähriger Junge. Nun hat der [2][Angeklagte] Zeit, sich zu äußern, wenn er
       will.
       
       Er will. „Stundenlang, vielleicht auch tagelang“, kündigt der Täter an. Das
       ist keine Überraschung. Schon frühere Äußerungen haben gezeigt, dass er die
       öffentliche Aufmerksamkeit sucht. Trotzdem: „Sie werden die Zeit bekommen“,
       sagt der Vorsitzende Richter Dirk Sternberg, so ist das im Rechtsstaat.
       
       Das Verfahren gilt als eins der umfangreichsten in der bundesdeutschen
       Geschichte. In der extra errichteten Leichtbauhalle stehen 17 Reihen Tische
       und Stühle allein für die Nebenkläger:innen und ihre Anwält:innen.
       Damit auch die in der letzten Reihe alles Wichtige mitbekommen, hängen über
       den weißen Tischen große Bildschirme an der Decke. Gegenüber den
       Kläger:innen, auf der anderen Seite des Gerichtssaals, steht mitten in der
       Halle ein großer Kasten, dessen Wände aus Sicherheitsglas bestehen.
       
       Am Montagmorgen nimmt in diesem Glaskasten der Täter des Anschlags auf den
       Magdeburger Weihnachtsmarkt Platz. Am 20. Dezember vergangenen Jahres fuhr
       er mit einem gemieteten SUV durch das bunte Treiben. 6 Tote, mehr als 300
       Verletzte: Welche Dimensionen diese Zahlen haben, das macht am Montagmorgen
       im temporären Gerichtssaal die Anklageschrift deutlich.
       
       ## 348 Meter mit 48 km/h
       
       Es ist 10.43 Uhr, Oberstaatsanwalt Matthias Böttcher blickt hinab auf einen
       dicken Stapel Papiere. Dann beginnt er, die Anklage zu verlesen. Auf einer
       Distanz von 348 Metern sei der Täter mit bis zu 48 km/h durch die
       Menschenmenge gefahren, beginnt Böttcher. Die Generalstaatsanwaltschaft
       Naumburg werfe ihm unter anderem Mord und versuchten Mord vor. Dann geht
       Böttcher Namen für Namen durch.
       
       Zu jeder geschädigten Person erläutert die Anklageschrift detailliert die
       Verletzungen und deren Ursachen. Wie lange die Geschädigten im Krankenhaus
       waren. Ob und woran sie verstarben, ob sie vom Auto direkt erfasst oder von
       weggeschleuderten Personen getroffen wurden. Platzwunden, Frakturen,
       Trümmerfrakturen, abgeschürfte Haut, geprellte Hüften, verletzte
       Weichteile, hoher Blutverlust.
       
       In den Reihen der Nebenkläger:innen sind an diesem Montag viele Stühle
       leer. Für mehr als 170 wäre Platz, etwas weniger als 50 sind gekommen,
       Betroffene und ihre gesetzlichen Vertreter:innen. Und die anderen?
       Vielleicht wollten sie nicht noch einmal den Abend des 20. Dezembers
       durchleben.
       
       Der Täter beschleunigte, machte Lenkbewegungen nach links, nach rechts,
       heißt es in der Anklage. Schlangenlinien. Das sei nicht durch Hindernisse
       nötig gewesen. Er wollte wohl so viele Menschen wie möglich überfahren.
       
       ## Karussell, Grünkohlstand, Glühweinpyramide
       
       Im Glaskasten hat der Täter den Kopf leicht gesenkt, blickt auf einen
       Laptop, den er für die Prozessakten hat. Die Anklageverlesung geht
       ununterbrochen weiter. Ein Mann wurde unter dem Auto mitgeschleift, erlitt
       zahlreiche Brüche, trägt Oberstaatsanwalt Böttcher vor. Ein Nebenkläger
       setzt seine Brille ab, drückt sich die Finger in die Augen, als wolle er
       Tränen aufhalten. Eine andere hält sich wie erschrocken die Hand vor den
       Mund.
       
       Die Anklage benennt auch die Hintergründe. Eine Geschädigte hielt ihr
       dreijähriges Kind an der Hand, als das Auto kam. Ein Geschädigter hatte
       seine Tochter auf dem Arm. Eine Geschädigte wurde vom SUV erfasst und kam
       erst 40 Meter von der Kollision entfernt zum Liegen. Einige seien zu Besuch
       in Magdeburg gewesen, standen vor dem Karussell, dem Grünkohlstand oder der
       Glühweinpyramide, als der Täter mit seinem Auto über den Weihnachtsmarkt
       raste.
       
       Etwa zwei Stunden dauert die Verlesung der Anklage. Danach hat der Täter
       das Wort. Er spricht [3][von den linksorientierten Medien, die die Wahrheit
       über den Islam verschleiern würden]. Dann richtet er sich an die Eltern des
       getöteten Jungen, scheint dabei zu weinen. In der sechsten Reihe hält sich
       eine Nebenklägerin die Ohren zu. Ein Mann mit gelben Pullover schüttelt den
       Kopf und massiert sich mit der rechten Hand die Schläfe. Nach fast
       anderthalb Stunden ist der Verhandlungstag vorbei. Der Täter will seine
       Einlassung am Dienstag fortsetzen.
       
       10 Nov 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR David Muschenich
       
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