# taz.de -- Anhörung Wehrdienstgesetz im Bundestag: In alter Militarismustradition
> Militärhistoriker Neitzel nennt das Wehrpflichtgesetz „halbherzig“.
> Generalleutnant Robert Sieger hält den Regierungsentwurf hingegen für
> sinnvoll.
IMG Bild: Protestaktion gegen die Wehrpflicht von Greenpeace vor dem Bundestag in Berlin am 10. November
Sönke Neitzel setzte einen scharfen Ton in der Bundestagsanhörung zum
Wehrdienst-Modernisierungsgesetz. Der Entwurf von Verteidigungsminister
Boris Pistorius (SPD) sei zwar „zweifellos ein Schritt in die richtige
Richtung, um die Bundeswehr kriegstüchtig zu machen“, sagte der
Militärhistoriker der Universität Potsdam am Montag im
Verteidigungsausschuss. Zugleich sei er jedoch „ein weiterer Beleg für die
Halbherzigkeiten der deutschen Sicherheitspolitik der letzten dreieinhalb
Jahre“ und „ein weiteres Dokument des Zögerns und Zauderns“.
Insgesamt sechs Sachverständige hatte der Verteidigungsausschuss
eingeladen. André Wüstner vom Deutscher Bundeswehrverband war wie Neitzel
auf Vorschlag der Union mit dabei. Offen schürte er die Angst vor einem
bald bevorstehenden Krieg. „Was tun wir, auch in diesem Hause, wenn in zwei
Jahren ein Krieg ausbricht und die Bundeswehr nicht kämpfen kann?“, fragte
Neitzel. „Für einen raschen personellen Aufwuchs der Bundeswehr wäre die
Einführung einer Auswahlwehrpflicht zwingend notwendig“, forderte er.
In alter deutscher Militarismustradition redete Neitzel den
Bundestagsabgeordneten ins Gewissen, die „Teil der Zeitenwende, nicht einer
Zeitenbremse“ sein sollten. Falls es zu einer militärischen
Auseinandersetzung der Nato mit Russlands kommen sollte, „wird man auf Sie
schauen“, sagte er. „Man wird Sie fragen, was Sie getan haben.“
Auch Wüstner kritisierte, dass die Bundesregierung beim anvisierten
Personalaufbau „auf das Prinzip Hoffnung mit Blick auf die freiwilligen
Meldungen“ setze. Er forderte, bereits jetzt einen „Umschaltmechanismus“ im
Gesetz zu verankern, falls sich nicht genug Freiwillige meldeten.
## Wehrgerechtigkeit in Friedenszeiten: wurscht
Der von der AfD benannte ehemalige Generalleutnant Joachim Wundrak sprach
sich dafür aus, die Wehrpflicht direkt wieder einzusetzen. Alle Männer ab
dem Jahrgang 2008 sollten für einen dreimonatigen Grundwehrdienst
eingezogen werden. Für alle, die den Kriegsdienst verweigern, könne man
einen Ersatzdienst von „mindestens neun Monaten“ vorsehen.
Neitzel und Wüstner sprachen sich hingegen für eine
[1][„Auswahlwehrpflicht“] aus. „Wir können nicht zur alten Wehrpflicht
zurückkehren“, sagte Neitzel. Denn so groß sei der Bedarf nicht. Dass eine
solche Auswahl ein Problem mit der Wehrgerechtigkeit mit sich bringen
würde, räumte er zwar ein, befand es aber als nicht besonders relevant.
„Historisch betrachtet ist die Wehrpflicht im Frieden nie gerecht gewesen“,
so Neitzel. „Sie war immer gerecht im Krieg, weil dann alle Männer, die
irgendwie laufen können, in der Armee dienen mussten.“
Generalleutnant Robert Sieger, der Präsident des Bundesamts für das
Personalmanagement der Bundeswehr, verteidigte hingegen erwartungsgemäß den
vorliegenden Gesetzentwurf. Er ermögliche Bewerber:innen „schon ab
einer Dienstzeit von sechs Monaten direkt als Soldatinnen und Soldaten auf
Zeit eingestellt zu werden“, sagte Sieger, den die SPD als Sachverständigen
vorgeschlagen hatte. Dies sei sinnstiftend und mache „den persönlichen
Einsatz für den Schutz der eigenen Heimat greif- und erlebbar“. Zudem
steigerten ein höherer Sold und ein Zuschuss zum Führerschein die
Attraktivität des Dienstes. Alle Indikatoren wiesen darauf hin, „dass wir
in keinem Fall am Ende der Freiwilligkeit stehen“, so Sieger.
## Verunsicherung bei jungen Menschen
Und wie sehen das Ganze diejenigen, die es unmittelbar betrifft? Das hätte
man gerne von Quentin Gärtner von der Bundesschülerkonferenz erfahren. Doch
der blieb leider eine Antwort schuldig. Benannt von den Grünen, zog sich
Gärtner darauf zurück, nur immer wieder eine stärkere „Jugendbeteiligung an
diesem Prozess“ zu fordern – ohne jedoch irgendeine Position zu beziehen.
„Wir haben uns weder zur Wehrpflicht positioniert noch zu allgemeinen
Dienstpflichten“, sagte Gärtner. Aber klar sei, dass es sich bei dem Thema
um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handele, die „in einer
Verantwortungsgemeinschaft von Staat und eben auch der Generation, die es
richten wird, gesehen werden muss“, sagte er in bestem Politikerdeutsch.
Die von der Linkspartei benannte Vorsitzende des Deutschen
Bundesjugendrings (DBJR), Daniela Broda, kritisierte, dass der
Gesetzentwurf viele junge Menschen verunsichere. „Sie fühlen sich nicht
einbezogen, unzureichend informiert und in ihren Zukunftsentscheidungen
alleine gelassen“, sagte sie. Der DBJR lehne bereits die in dem
Gesetzentwurf festgeschriebene verpflichtende Bereitschaftserklärung ab.
Falls diese trotzdem eingeführt würde, müssten junge Menschen umfassend und
ausgewogen über „sämtliche Formen des Engagements für Staat und
Gesellschaft“ informiert werden – und zwar ausdrücklich auch über zivile
und soziale Möglichkeiten, etwa in den Freiwilligendiensten, im
Katastrophenschutz oder im Rettungswesen. Nur auf dieser Grundlage könne
eine selbstbestimmte und informierte Entscheidung getroffen werden, so
Broda.
10 Nov 2025
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## AUTOREN
DIR Pascal Beucker
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