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       # taz.de -- Klima-Diplomat über Vorgehen der USA: „Das war brutal“
       
       > Jochen Flasbarth leitet die deutsche Delegation zum UN-Klimagipfel. Mit
       > der taz spricht er über Zuversicht, das 1,5-Grad-Ziel und die USA.
       
   IMG Bild: Jochen Flasbarth ist beim UN-Klimagipfel in Belém dabei
       
       taz: Herr Flasbarth, UN-Generalsekretär António Guterres hat das
       1,5-Grad-Ziel für tot erklärt, das vor zehn Jahren im Pariser
       Klima-Abkommen vereinbart wurde. Stimmen Sie zu? 
       
       Jochen Flasbarth: Wir haben tatsächlich die 1,5 Grad erstmals
       überschritten. Viele Klimawissenschaftler sagen, dass sie das antizipiert
       haben und dass es jetzt darum geht, die 1,5 Grad im Mittel beizubehalten.
       Es wird „Overshoot-Jahre“ geben, in denen die globale
       Durchschnittstemperatur über 1,5 Grad steigt, und es wird hoffentlich viele
       geben – daran müssen wir jetzt arbeiten –, die darunter liegen. Anders als
       der UN-Generalsekretär erkläre ich das 1,5-Grad-Ziel nicht für tot. Ich
       kämpfe weiter.
       
       taz: Seit 2015 im Pariser Klimaabkommen dieses 1,5-Grad-Ziel vereinbart
       wurde, ist viel passiert: Donald Trump wurde zweimal zum US-Präsidenten
       gewählt. Großbritannien hat die EU verlassen. Es gab eine Pandemie. Aber
       zwei Dinge sind so wie damals: Sie sind Staatssekretär im
       Umweltministerium, und die CO2-Emissionen steigen. 
       
       Flasbarth: Ja, das ist so. Es wäre wünschenswert, wir hätten den Gipfel der
       Emissionen schon erreicht. Aber es ist auch nicht überraschend. Das Pariser
       Abkommen ist ja so gebaut, dass die Staaten selbst ihre Klimaziele setzen.
       Weil absehbar war, dass das nicht reicht, müssen sie alle fünf Jahre ihre
       Anstrengungen verstärken. Dass die Emissionen noch ziemlich lange danach
       gestiegen sind, liegt daran, dass die Entwicklungsländer für sich in
       Anspruch nehmen, weiter wachsen zu können, ohne die gleichen
       Klimaverpflichtungen zu haben wie die Industriestaaten.
       
       taz: Sind Sie heute zuversichtlicher als 2015, dass wir das hinbekommen mit
       dem Stopp der Erderhitzung? 
       
       Flasbarth: Das Pariser Abkommen sagt: Die Erwärmung soll unter 2 Grad
       bleiben und nach Möglichkeit ist 1,5 Grad als Deckel zu erreichen. Ich war
       damals dabei. Und ich weiß sehr genau, dass selbst die Vertreter kleiner
       Inselstaaten das damals nicht als ernsthaftes Ziel verstanden hatten,
       sondern das war eine Art politische Versicherung, dass wir die Staaten
       nicht alleinlassen, die am anfälligsten für den Klimawandel sind. Der
       Special Report des Weltklimarats zu 1,5 Grad hat dann 2018 gezeigt, dass
       niemand, der bei Sinnen ist, sich eine 2-Grad-Welt anstelle einer
       1,5-Grad-Welt wünschen kann. Inzwischen redet eigentlich keiner mehr über 2
       Grad, sondern nur noch über 1,5 Grad. Und das ist richtig so.
       
       taz: Also hat Paris nationale Klimaziele und 1,5 Grad als Orientierung
       gebracht. Was noch? 
       
       Flasbarth: Vor Paris waren wir auf dem Weg zu einer 4- bis 5-Grad-Welt.
       Jetzt liegt die Schätzung bei knapp 3 Grad. Das ist nicht toll, aber es
       zeigt eine Richtung an – und das in einer Zeit, wo, anders als vor zehn
       Jahren, die Ökonomie auf unserer Seite ist. 2015 hatten die Erneuerbaren
       schon eine wahnsinnige Kostensenkung hingelegt. Ich habe mir nicht
       vorstellen können, dass das so weitergeht, aber es geht immer noch weiter.
       Währenddessen bekommen all diejenigen, die wie in den USA wieder in Fossile
       investieren wollen oder immer noch an Atomkraft glauben, diese Träume nur
       mit sehr viel Subventionierung hin. Deshalb bin ich da ganz guter Dinge.
       
       taz: Während der ersten Trump-Regierung haben die USA Klimaschutz eher
       ignoriert. [1][Jetzt gehen sie gegen ihn in die Offensive]: Sie haben ein
       Abkommen verhindert, das erstmals die internationale Schifffahrt mit einem
       CO2-Preis belegt hätte. Und zusammen mit dem katarischen Außenminister üben
       sie gerade Druck auf die EU aus, das Lieferkettengesetz abzuschwächen,
       damit Flüssiggas einfacher importiert werden kann. Muss man Klimaschutz
       jetzt gegen die USA machen? 
       
       Flasbarth: Ja. Es ist ganz klar und bizarr und bitter, dass ein Land, dem
       wir uns historisch freundschaftlich verbunden fühlen, in diesen Bereichen
       nicht mehr unsere Werte teilt. In der Weltschifffahrtsorganisation hatten
       wir im Frühjahr eine Mehrheit. Dann ist ein unsäglicher Druck ausgeübt
       worden, auch auf einzelne Staaten und sogar auf einzelne Menschen in diesen
       Staaten, mit der Androhung von Visaentzug und solcherlei Dingen. Das war
       brutal. Wir müssen uns alle zusammenreißen und zeigen, dass wir uns eine
       Anti-Klimapolitik von den USA nicht gefallen lassen.
       
       taz: Funktioniert ein System wie Paris noch, wenn einige Länder so brutal
       dagegen vorgehen? 
       
       Flasbarth: Ich glaube schon. Ich war gerade in Riad, in Saudi-Arabien. Auch
       Staaten, die nicht zu den „Frontrunnern“ im Klimaschutz zählen, wollen,
       dass das System erhalten bleibt.
       
       taz: Warum? 
       
       Flasbarth: Die sind überhaupt keine Klimaleugner. Ich versuche das mal ganz
       neutral zu beschreiben: Sie haben ein volkswirtschaftliches Modell, das
       fossilbasiert ist. Das umzubauen ist nicht trivial. Gleichzeitig haben sie
       eine Zukunftsperspektive, weil sie gesegnet sind mit enormem Potenzial für
       Erneuerbare. Und sie sind nicht an disruptiven Entwicklungen interessiert.
       Sie sehen, dass überall auf der Welt – die erfolgreiche Volksabstimmung in
       Hamburg hat gezeigt, dass es Ausnahmen gibt – die öffentliche Unterstützung
       für den Klimaschutz auf einer Durststrecke ist. Aber sie glauben nicht,
       dass das so bleibt. Die nächsten großen Klimakatastrophen können das sofort
       wieder umdrehen. Und sie sind nicht daran interessiert, dass daraus
       disruptive Prozesse entstehen. Deshalb sind sie jetzt zwar nicht die
       engsten Verbündeten. Aber sie sind verlässlich und man kann damit umgehen.
       
       taz: Die USA teilen unsere Werte nicht mehr, China in vielen Bereichen auch
       nicht. Aber die Chines*innen sind immerhin beim Klimaschutz dabei: mit
       gigantischen Solar-Kapazitäten, fortschrittlichen Batterien und E-Autos.
       Müssten Brüssel und Peking künftig viel enger zusammenarbeiten? Stattdessen
       streiten sie sich um E-Auto-Zölle. 
       
       Flasbarth: Dass der deutsche Außenminister seine China-Reise absagen
       musste, zeigt, dass wir über sehr unterschiedliche Vorstellungen von der
       Welt und der Gesellschaft reden. Das sage ich, um nicht missverstanden zu
       werden, bevor ich dann sage: Ja, wir müssen mit China unbedingt mehr
       zusammenarbeiten. Was die globalen öffentlichen Güter, also Klima,
       Artenvielfalt, Weltmeere angeht – ohne China wird es nicht gehen. Und sie
       haben auch eine verdammt große Lösungskompetenz.
       
       taz: Jetzt fällt in diese ganze Dynamik die Klimakonferenz in Brasilien.
       Was soll die dieses Jahr bringen? 
       
       Flasbarth: Was in diesem Jahr in Belém auf der Tagesordnung steht, ist
       eigentlich nicht besonders kompliziert. Einmal: Wie verhalten wir uns zu
       den nationalen Klimazielen? Und dann gibt es eine offene Stelle bei
       Anpassung an den Klimawandel. Da ist bei der vorletzten Klimakonferenz ein
       weltweites Anpassungsziel formuliert worden. Das ist aber noch zu
       grobkörnig. Klimaanpassung ist für sehr viele Entwicklungsländer eines der
       kompliziertesten Themen überhaupt, und es ist nicht ernst genug genommen
       worden in der Vergangenheit. Da müssen wir gute Ergebnisse erzielen.
       
       taz: Wie sähen die aus? 
       
       Flasbarth: Ein solches Ziel muss man natürlich herunterbrechen, sodass man
       daraus Politik ableiten kann. Bei den Vorverhandlungen hat es einen
       Riesenstreit gegeben, weil die klassischen Industrieländer nicht wollten,
       dass es einen Indikator gibt, der „Mittel zur Umsetzung“ heißt, weil das
       nach Geld riecht. Das sind ehrlich gesagt Dinge, die wir uns nicht mehr
       erlauben können.
       
       taz: Obwohl die Entwicklungsetats [2][in Deutschland und den meisten
       westlichen Ländern gekürzt werden]? 
       
       Flasbarth: Das ist keine komfortable Situation. Aber ich habe eine Antwort
       darauf, wie das gehen kann. Wenn wir alles richtig machen, darf künftig das
       klimaschädliche Investment nicht mehr stattfinden. Und das grüne Investment
       muss das neue Normal werden. Da haben wir gar keine schlechten
       Voraussetzungen. Ich habe eben schon über die Kostendegression bei den
       Erneuerbaren gesprochen. Das Gleiche findet bei Batterien und grünem
       Wasserstoff statt. Wir haben gute Chancen, Klimaschutz zum
       subventionsfreien Business zu machen. Aber das wird bei Klimaanpassung nur
       in begrenztem Umfang gelingen.
       
       taz: Wann wird die Klimakonferenz in Brasilien [3][ein Erfolg]? 
       
       Flasbarth: Wir müssen einen Beschluss zur Anpassung fassen. Und ich freue
       mich sehr, dass wir beim brasilianischen Vorschlag vorankommen, einen
       dauerhaften Finanzierungsmechanismus für die stehenden Regenwälder zu
       schaffen. Viele Länder unterstützen das. Und der Bundeskanzler hat in Belém
       erklärt, dass Deutschland auch dabei ist. Vor allem ist die Konferenz aber
       ein Erfolg, wenn von ihr das Gefühl ausgeht, dass der Rest der Welt außer
       den USA zusammenhält und sich zum UN-Prozess bekennt. Der Wille zu zeigen,
       „wir können es auch ohne die Amerikaner“, der ist riesengroß.
       
       13 Nov 2025
       
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