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       # taz.de -- EuGH-Urteil zu Mindestlohn: EU darf Arbeitnehmer vor Dumping-Löhnen schützen
       
       > Das Gericht hat die Brüsseler Zuständigkeit bestätigt, aber auch zwei
       > bestehende Regelungen gekippt. Das könnte sich auf Deutschland auswirken.
       
   IMG Bild: In Deutschland kommt der Mindestlohn auch besonders Mitarbeiter:innen im Gastgewerbe zugute
       
       Dänemark ist mit dem Versuch gescheitert, die 2022 eingeführte
       Mindestlohnrichtlinie der EU zu kippen. Der Europäische Gerichtshof in
       Luxemburg lehnte am Dienstag eine „Nichtigerklärung“, also Aufhebung, des
       lange umstrittenen EU-Gesetzes ab. Allerdings erklärten die höchsten
       Richter zwei wichtige Bestimmungen für ungültig. Das könnte auch für
       Deutschland noch Folgen haben.
       
       Bei der Klage ging es vor allem um die Frage, ob die EU überhaupt für
       [1][Mindestlöhne] zuständig sei. Hier sieht der EuGH keine grundsätzlichen
       Probleme. Die Richtlinie soll Arbeitnehmer vor Dumpinglöhnen schützen sowie
       angemessene Löhne und bindende Tarifverhandlungen fördern. Sie setzt aber
       keine Mindestlöhne fest, sondern nennt lediglich einen Rahmen, den die
       EU-Länder dann ausfüllen.
       
       Dieser Rahmen dürfe nicht zu eng ausfallen, meinen die Luxemburger Richter.
       Konkret beanstanden sie zwei Bestimmungen. Dabei geht es zum einen um die
       Kriterien, die EU-Länder bei der Festlegung von Mindestlöhnen
       berücksichtigen mussten. Zum anderen kippt der EuGH das Verbot einer
       Senkung des gesetzlichen Mindestlohns für den Fall, dass es einen
       automatischen Anpassungsmechanismus an die Inflation gibt. Wenn der
       Mindestlohn bei [2][steigenden Preisen] automatisch steigt, darf er also
       auch wieder sinken, wenn die Preise das ebenfalls tun.
       
       Vor allem das Urteil zur Frage, welche Kriterien bei der Festlegung des
       Mindestlohns herangezogen werden, ist für Deutschland relevant. Die
       Richtlinie nennt die Kaufkraft, das allgemeine Lohnniveau, die
       Wachstumsrate der Löhne und langfristige nationale
       Produktivitätsentwicklungen. Das wertete der EuGH als direkten Eingriff in
       die Festsetzung des Arbeitsentgelts und somit als unzulässig.
       
       ## SPD wollte gekippte Regel für höheren Mindestlohn nutzen
       
       In der Praxis spielt vor allem der sogenannte Medianlohn eine Rolle. Laut
       EU soll der Mindestlohn nicht 60 Prozent dieses Medians unterschreiten.
       Diese Vorgabe wurde auch in den Koalitionsvertrag übernommen. Union und SPD
       hielten fest, dass sich die Mindestlohnkommission „sowohl an der
       Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von
       Vollzeitbeschäftigten“ orientiere.
       
       Die SPD will über diesen Hebel bis 2026 [3][einen Mindestlohn von 15 Euro]
       erreichen. Ob dies gelingt, ist nach dem Urteil wieder fraglich. Die EU
       dürfe nicht vorgeben, welche Kriterien die Mitgliedsstaaten zur Ermittlung
       des Mindestlohns berücksichtigen müssen, urteilten die Richter. Die
       60-Prozent-Regel ist davon aber nicht betroffen, heißt es bei der
       gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
       
       Bestehen bleibt hingegen das Ziel, die Tarifbindung in Europa
       voranzutreiben. Deutschland muss hier mehr tun, denn immer weniger
       Arbeitnehmer sind mit Tarifverträgen abgesichert. „Entgegen dem
       europäischen Trend ist die Tarifabdeckung in Deutschland in den letzten
       zwei Dekaden rapide gesunken, auf um die 50 Prozent“, sagte der
       Politikwissenschaftler Martin Höpner vom Max-Planck-Institut für
       Gesellschaftsforschung.
       
       Von einem Urteil für das „soziale Europa“ sprach der CDU-Europaabgeordnete
       Dennis Radtke. Der EuGH habe „ein für allemal“ bestätigt, dass die EU
       zuständig sei. Die Bundesregierung müsse die Mindestlohn-Richtlinie nun
       vollständig umsetzen. Ähnlich äußerte sich die Dienstleistungsgewerkschaft
       Verdi: Die Regierung bleibe in der Pflicht, die Tarifbindung entscheidend
       zu verbessern.
       
       Einen Wermutstropfen sieht die Linke im EU-Parlament: Es sei „bedauerlich“,
       dass in dem EuGH-Urteil „einige Kriterien annulliert wurden, die bei der
       Festlegung gesetzlicher Mindestlöhne als Orientierung dienen sollten“,
       erklärte die linke Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel. Umso wichtiger sei
       es, dass die 60-Prozent-Regel erhalten bleibe und in Deutschland auch
       durchgesetzt werde.
       
       11 Nov 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
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