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       # taz.de -- Trümmersprüche auf der UN-Klimakonferenz: Hinter vielen Phrasen steckt ein Sinn – Wir sind noch hier
       
       > Die Klimakrise nicht effektiv genug zu bekämpfen, ist ein Versagen. Aber
       > den Weltuntergang aktiv voranzutreiben, ist ein Verbrechen.
       
   IMG Bild: Überholte Phrasen, die doch irgendwie Sinn ergeben, ähnlich wie Nationalstaaten bei einer globalen Klimaerwärmung
       
       Wer Kinder hat, der kennt dieses plötzliche Erschrecken über sich selbst.
       Plötzlich purzeln Sätze aus unserem Mund, von denen wir dachten, wir würden
       sie nie sagen. „Lass Deine Schwester in Ruhe, auch wenn sie angefangen
       hat…“ oder „Ist mir egal, ob das alle anderen so machen. Wenn die aus dem
       Fenster springen, springst du ja auch nicht hinterher.“
       
       Es sind Eltern-Weisheiten, „Trümmersprüche“, wie eine Freundin sagt. Dinge,
       bei denen man sicher war, dass man sie nie, nie, nie so sehen, denken,
       sagen würde. Und genau dieses Gefühl beschleicht mich, als ich im
       Pressezentrum der UN-Klimakonferenz in Belém sitze und mir die Eröffnung
       anschaue. Es treten auf: PräsidentInnen, Premiers, MinisterInnen aus 194
       Staaten. Sie sagen: Mit wenigen Ausnahmen alle das Gleiche: [1][Wir haben
       in der Klimakrise ein echtes Problem], wir müssen und können handeln, wir
       müssen zusammenhalten und uns zusammenreißen, das wird teuer, aber es wird
       sich lohnen. Die meisten Reden gipfeln seit 20 Jahren in dem rhetorischen
       Feuerwerk: „The time to act is now!“
       
       Ich habe mich darüber oft lustig gemacht. Auch an dieser Stelle. Aber jetzt
       sitze ich da, lausche in den Kopfhörer und gleichzeitig in mich hinein und
       merke: Ich höre den politischen Phrasen zu, ohne gleich hämisch zu grinsen.
       Hinter vielen abgedroschenen Redewendungen findet sich ein Sinn: Wir sind
       hier. Das Thema ist uns wichtig. Wir wollen es lösen und lassen nicht nach.
       Auf uns könnt ihr zählen.
       
       Natürlich gibt es da viele Defizite, Halbwahrheiten, Täuschungen und
       Selbsttäuschungen. [2][Aber es gibt eben auch bei vielen den Willen, das
       Thema ernst zu nehmen.] Oder zumindest den zivilisierten Anschein zu
       erwecken, das zu tun. Denn inzwischen sind die Haltungen und Aktionen auf
       der großen Weltbühne ja ganz andere. Da ist die US-„Regierung“, die nicht
       nur das Thema zu Hause negiert, torpediert und gegen alle Vernunft
       kleinhäckselt, sondern die die Klimapolitik mit ihren Mafia-Methoden auch
       global zerstören will.
       
       ## Sie walzen alles platt, und sind auch noch stolz drauf
       
       Da sind Verbrecher und Autokraten in Russland, Syrien, Sudan, Gaza und
       anderswo, die ihre Kriege gegen Menschen und Natur führen und auch noch
       offen damit prahlen. Da sind Unternehmen, die endlich wieder offen und laut
       sagen dürfen, dass ihnen der Quartalsgewinn natürlich wichtiger ist als
       dieser Quatsch mit langfristiger grüner Transformation. Niemand von ihnen
       bemüht sich um Zurückhaltung, diplomatisches Geschickoder eine kunstvoll
       verschleierte Ablehnung. Sie nehmen den Bulldozer und walzen alles platt,
       was ihnen in den Weg kommt – und sie sind auch noch stolz darauf.
       
       Da schwinden in meinem Kopf Ironie und Sarkasmus gegenüber dem so
       waaaaaahnsinnig langsam und langsam waaaaaaahnsinnig machenden
       UNFCCC-Prozess. Ich merke, wie sehr ich diesen Klimazirkus auf eine
       verzweifelte Weise zu schätzen gelernt habe – angesichts der globalen Fight
       Clubs, wo der Stärkere den Schwächeren einfach fertigmacht. Klar: Der
       Klimaprozess leidet schon immer an einer Überdosis Pathos und an verlogenem
       „Wir haben uns alle lieb“-Stuhlkreisdenken. Aber der Gegenentwurf, den die
       gewissenlosen Verbrecher an Menschen und Natur jetzt überall laut und frech
       verkünden, ist um Dimensionen schlimmer: menschenverachtend,
       zukunftsfeindlich, Dummheit in Potenz.
       
       Ich höre die ewig gleichen Reden und denke: Moralinsauer und weltfremd ist
       nicht schön. Aber moralfremd und weltsauer ist noch viel schlimmer. Den
       Weltuntergang auf einer Klimakonferenz als rhetorische Floskel
       herbeizureden und in der Realität dagegen nicht genug zu tun, ist ein
       Versagen. Aber den Weltuntergang aktiv voranzutreiben ist ein Verbrechen.
       
       14 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
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