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       # taz.de -- Gloger und Mascolo über Russlandpolitik: Eine direkte Linie von Butscha nach Berlin
       
       > Katja Gloger und Georg Mascolo zeigen in ihrem Buch „Das Versagen“,
       > welches Desaster die deutsche Russlandpolitik über Jahrzehnte hinweg war.
       
   IMG Bild: Alles lauscht: Der russische Präsident Wladimir Putin spricht am 25. September 2001 vor dem Deutschen Bundestag im Reichstag
       
       Mit Standing Ovations wird am 25. September 2001 im Reichstag die Rede des
       Gasts bedacht. Am Pult steht ein schmächtiger blonder Mann – Wladimir Putin
       hat für seinen ersten Staatsbesuch als russischer Präsident Berlin gewählt.
       Einen großen Teil seiner Rede hält er „in der Sprache von Goethe, Schiller
       und Kant“. Begleitet von viel Applaus sagt er: „Russland ist ein freundlich
       gesinntes europäisches Land.“
       
       Mit Putins Reichstagsrede beginnen Katja Gloger und Georg Mascolo ihre
       „investigative Geschichte der deutschen Russlandpolitik“. Die Rede
       etabliert die Fallhöhe und dient als Beispiel dafür, wie der neue russische
       Präsident von Anfang an Deutschland als bevorzugten Raum der Einflussnahme
       wählt. Die Autoren können zeigen, dass die Textbausteine für die Rede
       großteils von dem Ex-Kohl-Berater Horst Teltschik sowie von Klaus Mangold,
       dem damaligen Vorsitzenden des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft,
       stammen. Die Rede, die bis heute oft herhalten müsse als Beleg für den
       „anderen Putin“, hätten sich die Deutschen in gewisser Weise also selbst
       geschrieben, bemerken Gloger und Mascolo.
       
       Die Autoren vermeiden den Fehler, im Nachhinein alles besser zu wissen als
       die Zeitgenossen. Stattdessen tragen sie zusammen, was man zum jeweiligen
       Zeitpunkt hätte wissen können. Sie erinnern etwa an einen offenen Brief
       einer Gruppe Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen. Diese kritisierten
       anlässlich von Putins Staatsbesuch, dass die Menschenrechte der
       Zivilbevölkerung im zweiten Tschetschenienkrieg „grausam missachtet“
       würden. Der frühere DDR-Bürgerrechtler und damalige Bundestagsabgeordnete
       Werner Schulz, der einer derjenigen war, die den Brief unterzeichnet
       hatten, sagte, die deutschen Politiker hätten Putin wie einen „Enkel
       Gorbatschows gefeiert“, und ihn nicht als „Ziehsohn des KGB erkannt“. Genau
       diesen Typus Geheimdienstler kenne er aber – und er misstraue ihm zutiefst.
       
       ## Angela Merkel will keine größeren Fehler in ihrer Russlandpolitik
       erkennen
       
       Gloger und Mascolo haben intensiv Akten studiert. Sie zitieren unter
       anderem aus Papieren des Kanzleramts, des Auswärtigen Amts, des
       Bundeswirtschaftsministeriums, des Bundestags und der Hamburger
       Staatsanwaltschaft. Manche dieser Akten sind bis heute als Verschlusssachen
       eingestuft. Der Fußnotenapparat mit den Quellennachweisen, ihrer Herleitung
       und Hintergrundinformationen ist 85 Seiten lang und liest sich mindestens
       so spannend wie der Hauptteil des Buchs.
       
       Katja Gloger war in den 1990ern Moskau-Korrespondentin des Stern, später
       berichtete sie auch aus Washington. Georg Mascolo war von 2008 bis 2013
       Chefredakteur des Spiegel und leitete von 2014 bis 2022 den
       Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung.
       
       Ihre gute Vernetztheit hat sicherlich dabei geholfen, eine beeindruckende
       Zahl von relevanten Gesprächspartnern zu gewinnen. Zu den hochkarätigsten
       gehören der heutige Bundespräsident und frühere Kanzleramtschef und
       Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der sich heute selbstkritisch gibt,
       sowie William Burns, ehemaliger US-Botschafter in Moskau, später
       Vizeaußenminister unter Barack Obama und CIA-Direktor unter Joe Biden.
       
       Interview-Absagen kamen dagegen vom Gazprom-Lobbyisten Gerhard Schröder –
       aus gesundheitlichen Gründen – und von Angela Merkel, die bis heute keine
       größeren Fehler in ihrer Russlandpolitik erkennen will.
       
       ## Merkels Regierung bot Russland eine „Modernisierungspartnerschaft“ an
       
       „Bruchpunkte“ der deutsch-russischen Beziehungen gelte es genauer zu
       betrachten, schreiben die Autoren. Dazu zählt der Nato-Gipfel 2008 in
       Bukarest. Während die US-Regierung von George W. Bush dort Georgien und der
       Ukraine einen Weg in die Nato öffnen will, stemmen sich Merkel und ihr
       Außenminister Steinmeier dagegen. Die Autoren nehmen die Leser mit in den
       großen Palast von Bukarest, wo der Gipfel stattfand – und schneiden dann
       nach Butscha im April 2022. [1][Nach dem Abzug der russischen Soldaten
       wurden dort massenhaft ermordete Zivilisten entdeckt und die kleine Stadt
       nordwestlich von Kyjiw wurde zum Symbol russischer Kriegsverbrechen.]
       
       Wolodymyr Selenskyj lädt in aufgebrachter Stimmung daraufhin Angela Merkel
       nach Butscha ein, sie solle sich anschauen, wohin ihre Blockade des
       Nato-Beitritts geführt habe. Für die ukrainische Regierung führe eine
       direkte politische Verantwortungslinie von Butscha nach Berlin, schreiben
       Gloger und Mascolo. Sie sagen nicht, dass das stimmt, aber durch die
       Anordnung des Materials präsentieren sie die These als diskussionswürdig.
       
       Nach dem Gipfel von Bukarest bot Merkels Regierung Russland eine
       „Modernisierungspartnerschaft“ an. Ausgerechnet auf dem Feld des
       Militärischen trieb man dabei die deutsch-russische Kooperation voran, so
       dass man diese Strategie „Wandel durch Wehrtechnik“ nennen könnte, witzeln
       Gloger und Mascolo. Ein bitteres Lachen entfährt einem an der Stelle, an
       der man liest, wie ausgerechnet der Rüstungskonzern Rheinmetall im Jahr
       2012 einen 135-Millionen-Großauftrag mit Russland feierte.
       
       In Mulino, rund 350 Kilometer östlich von Moskau, sollte der deutsche
       Konzern ein Hightech-Trainingszentrum für die russische Armee errichten –
       unter anderem mit Lasertechnologie, mit deren Hilfe sich im Manöver messen
       lässt, ob man getroffen hätte. Man sei „Weltspitze“ in dieser Technik und
       freue sich darauf, „das in Russland beweisen“ zu können, sagte der damalige
       Rheinmetall-Chef Klaus Eberhardt.
       
       Dazu kommt es nicht. Im März 2014 annektiert Russland die Krim, ein klarer
       Bruch des Völkerrechts. Die EU verhängt daraufhin Sanktionen – und die
       deutsche Ausfuhrkontrollbehörde widerruft fünf bereits erteilte
       Genehmigungen für den Export der Militärtrainingstechnik. Die Paletten mit
       dem für Mulino bestimmten Hightech-Equipment werden in Bremerhaven
       eingelagert. Nach dem 24. Februar 2022 prüft Rheinmetall, ob man sie der
       Ukraine kostenlos zur Verfügung stellen könnte. Doch das ist weder
       technisch noch militärisch sinnvoll. Außerdem ist das Material nach Angaben
       des Unternehmens in Teilen bereits verrostet und verschimmelt.
       
       ## Nord-Stream 2, ein „rein privatwirtschaftliches Projekt“
       
       Nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 beginnt Putin im Osten der Ukraine
       einen hybriden Krieg. [2][Sogenannte Separatisten werden von Russland mit
       Waffen ausgerüstet, russische Soldaten kämpfen angeblich in ihrem „Urlaub“
       gegen die ukrainische Armee]. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte man
       erwarten können, dass Berlin auf maximale Distanz zu Moskau geht.
       [3][Stattdessen treibt man ab 2015 aber den Bau der Gaspipeline Nord Stream
       2 voran,] gegen großen Widerstand bei den Partnern.
       
       Die Osteuropäer lehnen den Bau ab, ebenso die EU-Kommission, in den USA
       sind sowohl Republikaner als auch Demokraten dagegen. In Deutschland gibt
       man angesichts dessen die Formulierung aus, dass es sich um ein „rein
       privatwirtschaftliches Projekt“ handele. Ein Wording, bei dem man sich
       schon damals fragte, wer das eigentlich glauben sollte. Für ein Abendessen
       mit dem polnischen Premierminister schreiben Merkels Mitarbeiter ihr im
       Jahr 2017 folgenden Satz zur Verteidigung der Röhre auf: „Wir empfinden das
       russische Methan-Molekül nicht als Bedrohung.“
       
       Sigmar Gabriel, der als damaliger Wirtschaftsminister den Bau der Pipeline
       vorantrieb, erklärt heute im Interview mit den Autoren, dass man zu dieser
       Zeit ja mit Putin über Frieden in der Ukraine verhandelte und ihm deshalb
       nicht sein Lieblingsprojekt habe wegnehmen können. Nach dieser Lesart diene
       die geopolitisch aufgeladenen Röhre sogar noch der Friedenssicherung,
       betonen Gloger und Mascolo.
       
       Die Autoren sind sich sicher: Die Frage, ob eine andere Russlandpolitik und
       eine frühere Aufrüstung der Ukraine den großen Krieg hätte verhindern
       können, wird noch Generationen von Historikern beschäftigen. Sie selbst
       lassen diese Frage offen. Mit ihrem Buch haben Gloger und Mascolo einen
       wichtigen Beitrag zur Debatte über die Fehler der deutschen Russlandpolitik
       geleistet. Beim Lesen kommt man nicht umhin, darüber nachzudenken, welche
       Verantwortung Deutschland gegenüber der Ukraine auf sich geladen hat.
       
       29 Dec 2025
       
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