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       # taz.de -- Runder Tisch zum Missbrauch: Betroffene sind skeptisch
       
       > Die Vorschläge Christine Bergmanns zur Aufarbeitung des sexuellen
       > Kindesmissbrauchs werden von den Betroffenen begrüßt. Mancher sieht aber
       > auch Gefahren. Und das Familienministerium schweigt.
       
   IMG Bild: Vorschläge sind gemacht, Konsequenzen müssen noch folgen: Der Abschlussbericht.
       
       BERLIN taz | Bei Betroffenen herrscht Skepsis, was die Umsetzung der
       Vorschläge von Christine Bergmann zur Verhinderung sexuellen Missbrauchs
       anlangt. "Was Frau Bergmann vorschlägt, ist ein riesiger Schritt nach
       vorne", sagte Henning Stein der taz. "Aber noch ist nichts gut, jetzt geht
       es erst richtig los." Steins Sohn wurde in einer Klinik schwer sexuell
       misshandelt. Er kämpft seit langem vergeblich um Anerkennung und
       angemessene Entschädigung.
       
       Die Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen
       Kindesmissbrauchs, Christine Bergmann, hatte am Dienstag dazu Vorschläge
       unterbreitet: Sie will eine professionelle Nachfolge für ihre bis Oktober
       befristete Einrichtung. Bergmann forderte, das Missbrauchstelefon nicht
       abzuschalten, sowie klare Regeln für Therapie und Entschädigung.
       
       Weitere Betroffenenvertretungen und Missbrauchsexperten sind skeptisch.
       "Hoffen wir, dass die Politik endlich handelt", so Julia von Weiler von
       Innocence in Danger. "Es ist bedauerlich, dass die meisten Forderungen der
       Missbrauchsbeauftragten schon seit Jahren von Beratungsstellen und anderen
       Fachstellen erhoben werden und sich bis heute so wenig getan hat."
       
       Christian Bahls von Mogis ("Eine Stimme für Betroffene"), warnte vor dem
       Bermudadreieck verschiedener Ministerinnen am runden Tisch. "Manchmal hat
       man das Gefühl, die Unabhängige Beauftragte wurde eingesetzt, damit man die
       Betroffenen hin- und herschieben kann." Bahls hatte in einem Ministerium
       die Auskunft bekommen, er solle sich an die Beauftragte wenden: "Die
       spricht für Sie."
       
       Bergmanns Team freilich kann nur, wie sie es selbst formuliert, "das Ohr
       der Betroffenen sein, aber nicht ihre Stimme". Denn Bergmann hat keinerlei
       exekutive Befugnisse. Am runden Tisch zum Missbrauch sind die
       Bundesministerien Justiz, Bildung und Familie vertreten. Bahls forderte, ab
       sofort auch die Ressorts Arbeit und Gesundheit einzubeziehen - nur mit
       denen könne man über Therapien und das Opferentschädigungsgesetz sprechen.
       
       Die Ministerinnen am runden Tisch äußerten sich zurückhaltend bis
       distanziert zu Bergmanns Vorstoß. Bundesjustizministerin Sabine
       Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte: "Ich werde mich innerhalb der
       Bundesregierung für eine Fortführung der Arbeit der Anlaufstelle
       einsetzen." Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) sagte: "Es spricht
       vieles dafür, die Arbeit fortzusetzen."
       
       Das Bundesfamilienministerium, das den Runden Tisch gegen sexuellen
       Missbrauch organisiert, sah sich am Mittwoch überhaupt nicht in der Lage,
       ein Interview zu Bergmanns Vorschlägen zu führen. Die Ministerin in der
       Babypause, der Staatssekretär zu wichtigen Preisverleihungen, hieß es nach
       Stunden. Dies habe aber nicht etwa mit nachrangiger Bedeutung des Themas zu
       tun. „Denn dafür haben wir ja den Runden Tisch“, sagte Sprecherin Katja
       Laubinger am späten Nachmittag der taz.
       
       25 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Füller
       
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